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Sonntag, 19. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Der Garten der Kreatur

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840  -  1916)

Der Garten der Kreatur

Ein seltsames Bild gibt dieser Garten deiner Seele zu schauen. Wie eine Vision steht es da mitten im hellwachen Tage.

Unwirklich will es dir scheinen trotz der intensivsten Realität, die dort dir Schauen und Lauschen erfüllt.

Alle Zonen der Erde haben hier ihre Tore geöffnet, und aus ihnen strömt aller Wesen Wesen vor deinen erstaunten Augen zusammen. Aller Kreatur ist hier eine Stätte bereitet.

Und alle Gedanken, die dem Schöpferwillen in der Jahrtausende Fülle sich entrangen, findest du hier in ihrer gewaltigen Stufenleiter des Lebenden vom kleinsten Amphib bis zur grotesken Übergröße tropischer Gebilde zusammengerufen, und wie im Paradiese ruhen sie einträchtig beieinander.

Aller Kreatur ist in diesem Garten eine Heimat bereitet, eine Umwelt gegeben, wie sie jedem einzelnen gerade vonnöten. Wasser und Wiesen, Hochland und Höhlen, Waldesschatten und Sandwüsten sind von Menschenhand hingebreitet und aufgerichtet, um der tausendfachen Vielheit alles Lebenden eine Stätte der Schönheit und des Friedens zu geben.

Und dein Auge schaut ergriffen über die unerhörte Weite der bunten Möglichkeiten des schaffenden Urwillens, und der Erde unendlicher Kreis fügt sich vor deinen Blicken zu einem goldenen Zauberringe, der wie ein Symbol millionenfacher Zeugungsformen dich in einer kurzen Erdenstunde alle weltenweiten Horizonte jahrmillionentiefer Vorgänge des ewigen Werdens und Vergehens überfliegen lässt.

Mit Schauern der Ewigkeit aus der Zeiten Urwelttiefe und der Unendlichkeit ihrer greiflos gewordenen Fernen grüßt es dich aus diesen unzähligen Zeichen des gewaltigen Lebenswillens wie etwas Namenloses, Entschwundenes, das mit rätselhaften Geisterhänden an die Schwelle deiner eigenen Tage rührt.

Durch die ungeheure Menge tausendfacher Bewegtheit all dieser Kreatur umher, die wie ein Chaos von Form und Farbe und Bewegung hier die endlos weiten Räume füllt, zieht es sich wie ein roter Faden zu dir hin, der den schaffenden Urwillen aus den Nächten des Anfangs leise und geheimnisvoll mit den letzten Dingen deines eignen Wesens bindet und dich in seliger Beglückung für einen hauchkurzen Augenblick mit der heiligen Glut jenes gewaltigen Weltwillens erfüllt und dich deines Daseins tiefste Verbundenheit mit aller Kreaturen Sinn und Sein begreifen macht.

Und anders schaust du plötzlich um dich.

Ein Teil von diesem Allen bist du.

Milliarden sind der Zeiten Schritte, die das Urbild der kleinsten dieser Wesen durch der Ewigkeiten Räume trugen, bis es in dir sich zur Vollendung lösen konnte.

Tausendfach sind die Ahnungen aus dieser Zeiten dunklen Hintergründen, die, seltsamen Erinnerungen gleich, sich in deiner Seele Träume grüßen, und alle Liebe zu Tier und Baum und Blume dringt durch dies Erinnern weich und warm wie der Odem der Heimat zu dir her.

Hier in diesem seltsamen Garten fühlst du es angstvoll und jubelnd zugleich, wie feurig und doch linde die Einheit des Seins das All umspannt, daß die Melodien aller Kreatur aus eines Brunnens Tiefe steigen und die überschwängliche Fülle alles Geborenen mit dem Symbol des in sich zurückkehrenden Kreises tief verkettet ist. –

In tiefster Ergriffenheit wandelst du in der bunt und laut bewegten Welt dieses seltsam fremden Gartens, an dessen Ufer alle Fernen der Erde sich grüßen und erkennen.

Des Schauens ist kein Ende zu finden.

Wesen aus tausend Welten blicken dich an aus Millionen Augen, die hier wie kleine Sonnen leuchten.

Jedes hat einen andern Reflex in seinem beweglichen Rund. Von stiller vegetativer Hingegebenheit bis zu feurigster Leidenschaft ist die ganze Skala seelischer Entwicklungen in der sicheren Sprache des Blickes ausgewirkt. Menschlich mutet dich oft die Geste und das Schauen dieser Wesen an; als könntest du leise Zwiesprache mit ihnen halten, als haben sie dir aus tiefen Vergangenheiten geheime Botschaft zu sagen.

Eine Flut von Formen und Farben und Tönen umbrandet dich.

Und alles Gewoge von Menschen, Tier und Pflanzen, das dich umkreist, wächst in deinem Bewußtsein zu der gewaltigen Melodie des Lebens zusammen, die der Weltgeist in geheimnisvoller Fugenweise auf der Harfe seines Willens spielt. –

Da plötzlich tönen von der Rampe her die rauschenden Akkorde einer brausenden Symphonie, die alles Tönen umher, das wilde Brüllen der Löwen und Tiger, das Schreien der Affen, die krächzend heiseren Rufe der bunten Vögel, den seltsam schmerzlichen Laut des Lamas und all die tausend andern großen und kleinen Stimmen der bunt umherverstreuten Kreatur in die Rhythmen ihrer weiten Harmonien aufnimmt, sie auflöst aus ihrer Gebundenheit und von ihrer Schönheit umhüllt, sie in einer jubelnden Fanfare stolzen Triumphes zu den Grenzen des Alls hinträgt, zu denen der Menschengeist aus Drang und Enge sieghaft seine Wege fand. –

Der Menschengeist, der aller Kreaturen Spuren im Ringe seines Wesens trägt.


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