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Mittwoch, 15. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Der Garten der Hoffnung

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840  -  1916)

Der Garten der Hoffnung

Wie ein Warten liegt es in diesem Garten.

Ein Warten auf etwas Kommendes.

Auch wie Lauschen ist es auf Schritte, die drinnen im stillen Heim leise umhergehen, wie die Schritte jener zu tun pflegen, die eines leidenden Körpers nicht ganz sicher sind.

Die ragenden Hochwaldstannen stehen Wacht vor dem stillen Hause. Das weite Rund ihrer Äste, die edle Form ihrer machtvollen Schönheit spricht von Erinnerungen an die noch nicht zu ferne Zeit, da hier noch tiefschattender Bergwald weit zu Tal blickte.

Nun sind aus den stillen Wäldern weite, lebensbunte Gärten geworden, Gärten für jene, die Stille und Ruhe und Erholung für Leib und Seele suchen.

Denn der Garten ist die tiefe Sehnsucht der Leidenden und Müden ebenso wie er der Traum der Starken und Frohen ist.

Doch eine andere Melodie ist es, die über den Gärten jener und dieser liegt.

Alle aber suchen sie sich selbst in ihren Gärten, wo die Begegnungen mit der eigenen Seele zu heiligen Festen werden und der Segen der Stille zu den Suchenden kommt. –

Und die Frau, die eben heraustritt auf den Söller des Hauses, das umbaut von den hohen, ragenden Waldbäumen des Garten gewordenen Waldes, hoch über dem schweigenden Tale liegt, ist eine der Suchenden und Sehnsüchtigen, die zu diesem Borne des Friedens kam, um sich selbst neu zu finden nach vielem Leid des Lebens, das über ihre junge Seele einbrach und ihr die Kräfte der Jugend lähmte.

Mit schmerzwissenden Augen blickt sie zur Weite des Tales, das sich vor ihr breitet, zu den blauen Fernen, zu denen ihre noch unausgelebte Jugend mit schmerzhaftem Verlangen sich dehnt und streckt.

Wie viel hat die Ferne ihr noch zu geben. Welten locken. Stimmen rufen. Verheißungen werfen ihren Glanz über die Wege, die zu ihnen führen.

Ihre erste Jugend welkte am Leiden bitterer Dinge und Erkenntnisse.

Aber die andere, neue Jugend, die ihrer wartet und welche die höhere ist, weil sie an sich selbst im Leide reicher geworden, drängt in ihrem Blute, in ihrer Sehnsucht und in ihren weit wachen Augen, die noch so viel zu schauen haben von der Fülle der Zeiten und des Seins.

So lebt sie in der Einsamkeit ihres Gartens sich selbst und dem Leben entgegen.

In weiter Schönheit liegt er vor ihr, in morgenfrischem Leuchten, und sie steigt vom Söller mit den leisen, müden Schritten, die von langen Schwächen noch nicht zu ihrer Kraft zurückgefunden, die Stufen hinab zu dem Schatten und Licht ihres geliebten Gartens, zu seinen Farben und Düften, zu seinen Träumen und Verheißungen. Alles ist er ihr geworden in diesen Zeiten der Dunkelheit und Leere ihres äußeren Lebens. Besinnung und Stille gab er ihr. Ahnung zu allen Fernen, Kraft zu allen Überwindungen, die noch ihre Wege hemmen.

Mit leuchtenden Augen schreitet sie durch die Geheimnisse seiner Schönheit, die nur sie ganz kennt, die nur ihr sich ganz auftun bis zu ihren tiefsten Gründen.

Wo sie geht und steht, ist alles voll ihrer selbst.

All die Jahre des Wartens auf sich selbst hat sie hier das bittre Leid ihrer Verzweiflungen, alles selige Wellenspiel schwingender Hoffnungen durch diesen Garten getragen. Er hat mit ihr geweint und gelächelt, kennt ihr Verzagen und ihr Jubeln, wie es das Auf und Ab aller Leiden umschwebt.

Sie kennt das strahlende Leuchten seiner Morgenhelle, die zarte, schwellende Kraft, die aus diesem Leuchten zu ihr kommt.

Sie kennt seine weite, ruhende Mittagsstille, die alle Pein tausendfacher Fragen und Unruhen wie mit einem weichen Mantel deckt und umhüllt. Kennt seine Abende voll heimlicher Süße, in denen der lockende Rausch des Lebens sich in milde, gleitende Melodien löst und alles Ferne und Nahe, alle Tiefe und Höhe und Weiche sich in Eines zu binden scheint, in dem alle schmerzhaften Dinge, alle Qual der Sehnsucht, alle Pein der Erinnerung sich mit den fallenden Abendschatten mischen und von der weiten Ebene seiner gleitenden Stille in seine sanfte Ruhe aufgenommen werden.

Auch das tiefe Schweigen seiner Nächte kennt sie.

Wo alle Fragen der wachen Seele am lautesten reden.

Wo alle Springbrunnen der Erinnerung ungestüm zum Rande steigen und jede schmerzvolle Hemmung heftiger an ihren Ketten klirrt.

Wo die Einsamkeit wie eine Drohung uns zu Häupten steht und alles Schwache, Kranke und Unwirkende der Seele und des Leibes über die stumme Wüste der Nächte hin nach Erlösung rufen.

Wie oft schon ging sie durch den Kreis des Werdens und Vergehens, der ihres Gartens Schönheit zur Höhe der Vollendung und zur Tiefe des Sterbens trug.

Ihr Herz sang mit dem Frühling und blühte mit seinen Farben und Düften, fühlte sich selig aufgelöst in das Meer der Fülle, der seines Sommers Wellen über sie hinfluten ließ. Immer wieder neu feierte sie alle Erfüllungen mit, mit denen die lohende Herrlichkeit seiner Herbste sie überschüttete.

Und das weiche Leuchten, das dann so lange über die träumende Ruhe seiner Winterstille stand, das aber in der Tiefe voll neuen Werdens, seliger Möglichkeiten und fester Sicherheiten ist – breitete auch über ihr, von langen Erwartungen fast müde gewordenes Herz, die Ruhe des Wissens um den kommenden Frühling auch für ihre neue harrende Jugend, die auf der Schwelle der Zeiten ihrer wartet, um sie neu zu grüßen und zu den blauen Fernen ihrer schmerzhaften Sehnsucht zu führen.

In ihrem Garten findet sie, die mit allen Schmerzen Suchende, sich selbst zu ihren Kräften hin. Langsam durch den Kreis der seligen Einsamkeiten ihres Gartens wandelnd, wird ihr das Tor der Hoffnung aufgetan, durch das sie zu dem neuen Leben schreitet, zu dem all ihre brennende Sehnsucht wie ein Pfeil gerichtet ist.

So ist ihr der Garten ein Symbol der Hoffnung, aus dem sie täglich neu den Glauben an das Kommende findet, das schon auf dem Wege zu ihr ist.


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