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Samstag, 23. September 2023

Aus der Wortwerkstatt: An einem trüben Tag geschrieben

 



An einem trüben Tag geschrieben

Die Strümpfe von den Damen werden wieder blickdicht,
und braun die Röcke aus grobgestrickter Wolle;
und während mir der Nebel Tränen in die Haare flicht
erwacht dort oben, müde gähnend, die Frau Holle.

Im Laub der Ulmen zeigen sich die andren Farben,
gelb und siena im fahlen Grün am Hang.
Sie wirken müde, wie auch die Amsellieder hier erstarben,
der Sommer währte keine traute Stunde lang.

Wie fehlt mir diese Leichtigkeit im Beieinandersein,
das Ineinanderfließen zweier Körper, nackt und warm,
nur Lust, im Atem eine Spur von schweren roten Wein,
um unverhüllt dann wohlig einzuschlafen, Arm in Arm.

Nun tragen wir wieder diese dunklen Schichten auf,
und milchig blass wird unter groben Tuch die Haut.
Sag, welche grauen Geister beschwören wir herauf?
So dunkel wird die Stätte, so lichtlos und so unvertraut.

All die frohen Feste unter Himmelblau: Erinnerungen.
Schemen. Schimären. Schatten ohne liebliche Gestalt.
So hat sich auch mein Lied ausgesungen.
Ich gehe nun. Die Welt wird klamm und kalt.


Das Bild ist von Félix Valloton (1865 . 1925)

Dienstag, 19. September 2023

Die wundersame Welt des John Elsas, 2. Teil

 

John Elsas um 1929


John (eigentlich: Jonas Mayer) Elsas, geboren am 6. Juli 1851 in Frankfurt am Main; gestorben am 5.Juni 1935 ebendort, brachte ein Berufsleben als Kaufmann und Börsenmakler hinter sich und begann erst 1927, im Alter von 76 Jahren, mit seiner intensiven Arbeit als Bildender Künstler. Eines seiner Aquarelle versah er 1930 mit dem Text: „Mein ganzes Leben war ein Fehler / da wurd ich Maler und Erzähler“. Elsas’ umfangreiches Œuvre wurde um 1930 von der Kritik anerkennend besprochen; danach geriet es für rund 70 Jahre in Vergessenheit. Tochter Irma ordnete und verpackte den umfangreichen künstlerischen Nachlass. Von den Nationalsozialisten wurde ihr Vermögen konfisziert, der Grundbesitz „arisiert“. Sie lebte in Frankfurt zuletzt in einem so genannten „Judenhaus“, bevor sie am 18. August 1942 in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde; dort starb sie am 1. Mai 1944.

Aufmerksam auf den Künstler wurde ich durch einen Artikel des Jüdischen Museums Frankfurt anlässlich des Todestages am 5. Juni dieses Jahres. Ich war sozusagen sofort „schockverliebt“ sowohl in die künstlerischen Darstellungen, als auch in die gereimten Sinnsprüche, welche die Darstellungen begleiten. Beides von herzerfrischender Einfachheit. Ich bin wohl nicht als einziger der Faszination von John Elsas´ Kunst erlegen:

Der Kunstwissenschaftler Max Osborn schrieb in der „Vossischen Zeitung“ vom 16. Januar 1930: „..Im ‚Sturm’ (einer damals prominenten Berliner Galerie), bei Herwarth Walden, sieht man etwas ungemein Amüsantes: Klebebildchen von einem lebensfröhlichen alten Herrn in Süddeutschland, John Elsas genannt.

[… In diese Art, Buntpapiere, schimmernde Reste von irgendeiner Kartonhülle und dergleichen aneinanderzufügen, auch Aquarelltöne dazwischenzupinseln, steckt eine so reiche Phantasie, dass man Blatt um Blatt mit Lust betrachtet...“.

Gegen Ende der 1920er Jahre erregten seine Arbeiten in den Galerien verschiedener deutscher Städte sowie in Paris und Zürich wohlwollendes Interesse, was seine ohnehin ungewöhnliche Produktivität noch steigerte – seine letzten, 1935 von Irma Elsas verpackten Blätter trugen die Nummern 25 000 – 25 025.

Hier eine kleine Auswahl:




Selbst ein König
wird sich bücken,
spürte er Schmerz
in seinem Rücken




Es ist das grüne Kleid
mein Leben,
denn Hoffnung soll
mich stets umgeben




Geh ich aus mit dem Regenschirm
so ist immer der Schirm mein Retter
weil er mir bringt
das schönste Wetter.




Es läuft der Mensch durch´s Leben rasch
und denkt dabei an seine Tasch.





Es ist die Eintracht
hoch gepriesen,
auf Nachsicht
sind wir angewiesen.




Sagt man schöne Frau
und feiner Mann
kommt es immer auf die
Betonung an.





Reisen die Bilder
über die Schweiz,
erst dann erhalten sie
den Reiz.




Was alle Leute meinen,
das darfst du glatt verneinen.



Weil ich ein großer
Schuldner bin,
da kann ich wirklich prahlen,
da müssen meine Gläubiger
mir immer weiter zahlen.



Hier zeig ich Dir
ein Zukunftswesen,
es kann jedem
aus den Augen lesen.





Die Hülle war die Not und Pein,
ich darf jetzt ohne Hülle sein.
Ich mein, dass ein Gedenkstein
müsste immer freudig sein.

Montag, 18. September 2023

Zeit - weise

 


Zeit  -  weise

Es gab die, welche auf Menschen schossen,
und die, welche auf die Uhren schossen,
letzteres war selbstverständlich Tinnef,
als könne man stehenden Uhrens
die Zeit anhalten, das Tor zu öffnen,
welches hinaus führt aus den Wirren der Zeit,
als ließe sich die Mechanisierung
des Menschlichen so aufhalten

Versuch es - so als ein Experiment,
sagen wir mal: Etwa für eine Woche  -
Das „Etwa“ ist hier berechtigt,
denn vielleicht verlierst du dich.
Lege alle Uhren um dich herum still,
nehme Batterien und Akkus heraus,
stelle den Radiowecker stumm
und drehe den Kalender um

Wenn du kannst, dann geh in die Wälder,
dort gibt es nur Morgen Tag Abend Nacht,
an der Bushaltestelle
schau nicht auf den Fahrplan,
sei getrost, irgendwann kommt ein Bus.
Nenne dein Harren nicht warten,
nenne es Schauen, Lauschen,
Zeit verrinnt nicht,
ein Vogel singt, eine Nachbarin grüßt

Lerne zu schweigen von dem,
was du von Nahem erlebst,
erst das Schweigen verleiht
deinen Worten Kraft.
Vielleicht kehrst du frühzeitig
aus diesem Raum zurück -
was heißt denn schon „Eine Woche“?

Vielleicht verfällst du in Furcht,
jede und jeder, welche Fesseln ablegen,
und seien es nur die Handschellen
der Armbanduhren,
erleben früher oder später ähnliches,
als würden sie zerfallen,
sich aufteilen in die Einzeller des Urmeeres,
ein Zurück in der Zeit,
welches doch so eigentlich nicht möglich

Noch einmal: Wenn du zurückkehrst, schweige!
Nur soviel: Die welche auf Uhren schießen
sind mir allemal lieber,
als jene, welche auf Menschen schießen


Das Bild „Die Uhr“ ist von Ljubow Sergejewina Popowa (1889 - 1924)

Mittwoch, 13. September 2023

Fremd blicken mich Vergangenheiten an - Nachklang eines Traumes am Morgen

 



Nachklang eines Traumes am Morgen

Drei Fäden verflochten zu einem Seil
Trigonomie der Gefühle, nicht auf dem Markte feil,
ausgemessen in unendlich unwägbare Landschaft
Maria des Erdenmondes, himmlische Gesandtschaft

Wind streicht übers Rohr
Hans im Glück, kein Herz aus Stein
Tränen sind ein süßer Wein,
das Herz ein heimliches Tor

nicht Handeln mit Händeln
Papier, Schere, Stein,
wunschverlornes Sein
unter Sternen tändeln

Der Vogel der Wahrheit, erinnert ihr nicht mehr?
der Mistelzweig und das Wasser des Lebens,
dein Herz ist wo dein Schatz ist, ist das so schwer?
Manche Suche wäre vergebens
wenn das schlagende Herz nicht wär

Verstiegen in kalten Bergeswänden
der ersten Liebe, dem Fluch der Geburt,
Kätzchen hilf und Falke flieg, in meinen Händen,
verstrickt in der Zeit, setz über die Furt,
dich in andre Latifundien zu senden

Hatte in meinem Leben
mindestens fünf ewige Lieben,
und hoffe,
wir treffen uns alle wieder,
da drüben

Omne animal post coitum triste,
was ein Wahlspruch, finster lebensfeind,
ene mene miste,
weiß denn jemand, was Leben meint? -
So zu leben, dass am Ende jemand
wirklich um Dich weint -



Das Bild ist von Odilon Redon (1840 - 1916)

Montag, 4. September 2023

Tao Yuanming: Die Chrysanthemen

 



Zum Thema Chinesische Dichtung übersetzt:

Ich habe hier zum Vergleich vier Übersetzungen verschiedener Übersetzer eines Gedichtes von Tao Yuanming (365 - 427), die erste ist von Richard Wilhelm. Ich finde es interessant, wie sich das gleiche Gedicht so andersartig übersetzen lässt. Nun bin ich kein Sinologe und kann nicht beurteilen, welches der vier dem Original am Nächsten kommt. 


Die Chrysanthemen


In später Pracht erblühn die Chrysanthemen,
Ich pflücke sie, vom Perlentau benetzt.
Um ihre Reinheit in mich aufzunehmen,
Hab einsam ich zum Wein mich hingesetzt.
Die Sonne sinkt, die Tiere gehn zur Ruhe,
Die Vögel sammeln sich im stillen Wald. –
Fern liegt die Welt mit ihrer Unrast Kummer,
Das Leben fand ich, wo der Wahn verhallt.

Übersetzung. Richard Wilhelm (1873 - 1930)


Ich pflücke still am Ostzaun Chrysanthemen,
Seh nach dem Südberg am entlegenem Ort.
Des Berges Hauch so schön im Abendlicht;
In Scharen ziehn die Vögel heimwärts fort.
Und in dem allen liegt ein tiefer Sinn.
Ich will ihn sagen - und vergaß das Wort.

Übersetzung: Günther Debon (1921 - 2005)



Beim Weintrinken, fünftes Gedicht

Meine Hütte steht in bewohntem Gebiet,
und doch herrscht kein Lärm von Wagen und Pferden.
Du fragst, wie mir dies möglich sei?
Einem Herzen, das fern ist, wird still auch die Welt.
Chrysanthemen pflücke ich am östlichen Zaun
und schaue voll Frieden zu den südlichen Bergen.
Klar schimmern die Berge im Abendlicht,
in Paaren kehren die Vögel zurück.
Eine tiefe Wahrheit ist hierin enthalten,
sie auszusprechen, versagen mir die Worte.

Übersetzung: Árpád Romándy



Mitten im Treiben der Menschen baute ich mein Haus,
Doch ertönt hier kein Lärm von Wagen und Pferd.
Wie kann dies sein, so magst du fragen –
Hat das Herz sich entfernt, folgt der Ort ihm nach.
Am Zaun im Osten pflücke ich Chrysanthemen
Und blicke in Muße auf den Gipfel im Süden.
Rein ist die Bergluft bei Sonnenuntergang;
Die Vögel kehren heim in Scharen.
In all dem verbirgt sich so viel Sinn – 
Will ich’s erklären, fehlen mir die Worte.

Aus: Karl-Heinz Pohl; Rückzug in den Garten oder die Liebe zu den Chrysanthemen - Der Dichter Tao Yuanming


Das Bild zeigt Porträt von Tao Qian (Tao Yuanming), gemalt von Chen Hongshou (1599–1652)

Sonntag, 3. September 2023

Fremd blicken mich Vergangenheiten an - Exit

 





Das Bild ist von der 2016 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung der Hedi Kupfer Stiftung als Nachlassverwalterin