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Dienstag, 27. Februar 2024

Verborgen

 



Verborgen

Ich schlafe den Schlaf der Gesundung
in meiner Höhle tief drunten im Wald,
über mir rauschen die Winde,
Baumwipfel neigen sich schwer,
und wie aus sternreichen Fernen
rauscht in meinen Träumen ein Meer

Die Welt draußen erstarrte im Kalt,
erstarrte in Trauer und Not,
Krieger nahmen den Segen vom Kinde,
doch in meinen tiefsamtenen Träumen
atmet die heimische Küche,
schneidet die Mutter das Brot

Aus wehmütig erhellten Tavernen
klingt Spiel, das sich im Dickicht verliert,
meine Hand umfasst mahnend die Pinne,
in meinem Herzen steigt eine Flut,
zwei Augen nachtblau in Wolken gebettet,
ein Falter, der auf schwankender Blüte ruht

Ein Käfer auf wankendem Halme der Ähre zu,
ein Ahnen im Summen des Sommers der Linde,
auf Tischen lockt Speise, glänzt Wein,
ach, wären wir doch alle gerettet,
ein Wirbel im Reigen tanzender Schuh,
so ruf ich in alldem meine Frage hinein

Die Antwort des Draußen verhallt,
ein heilsames Kraut auf meiner Verwundung,
ich schlafe den Schlaf der Gesundung
in meiner Höhle tiefdrunten im Wald

(Das Bild „Frühlingsabend“ ist von Hugo Simberg, 1873 - 1917)

Sonntag, 25. Februar 2024

Vollmond im Februar

 



Vollmond im Februar

Aus dem Nachthimmel geschaut,
des Mondes Hof großes Auge
bedeckt mit Wolken, es gerinnt
die Zeit, mich kleidet der Himmel

Es gibt nur den einen Krieg,
begonnen weit vor den Erinnerungen,
Kinder der Wälder, es wurden nie
nur die Menschen getötet

Doch hat die Verunsicherung
einen Anfang, als hätte es nie
ein Davor gegeben, träge eigentlich
ziehen die Tage vom Winter

in den Frühling, erste Veilchen blühen,
es ist alles wie immer, nur dass
ich immer seltener in die Ferne schaue,
außer herab in den Nachthimmel

Samstag, 17. Februar 2024

Was weißt Du von der Innenseite?

 



Was weißt Du von der Innenseite?

Kommst Du mit mir in die Wälder?
Es ist schön dort, und manchmal blickt
etwas sehr Archaisches hervor zwischen
bemoosten Stämmen. Oft sind vier Zeilen
zu wenig, das zu erzählen

Du brauchst keine Furcht zu verspüren,
es gibt kaum Wölfe dort, auch
wenn so viel darüber berichtet wird,
Du wirst eher einen Motor heulen hören,
denn einen Wolf

Ich selber habe einmal im Leben
welche gehört, das war in der Nähe
von Hannover, dort gibt es einen
Wolfspark, ich war mit meinem
kleinen Sohn dort

Er war ebenso traurig wie ich,
als wir gingen, es war schon Abend,
und sogar etwas Mond schien, und
da begannen sie zu heulen
im Gehege

Manche auch machen Survival,
wenn sie Geld über haben,
das wird oft gefilmt, und sieht sehr
urtümlich aus, etwas für sehr kernige
Menschen

Ich selber fand das Überleben
in der Stadt schwieriger, besonders
zum Ende des Monats, wenn
so viele damit begannen
Pfandflaschen zu sammeln

Ich möchte Dir auch nicht
verheimlichen, dass diese so
weiten Wälder gezähmte Forste
sind, und dass das Holz in China
gutes Geld bringt

Kommst Du mit? Ich vermag Dich
in Täler zu führen, die sich unberührt
anfühlen für Menschen wie wir, wo
noch eine ursprüngliche Schönheit leuchtet
zwischen bemoosten Stämmen

Ich habe mir als Wohnort ein
Dorf ausgesucht am Rande eines
großen Waldgebietes, und ich spüre
mehr und mehr, dass das etwas
von Altersweisheit hatte,

wenn ich manchen Abend heimkomme,
im Beutel ein paar Pilze, Steinpilze oder
Pfifferlinge oder ganz andere, je nachdem
wie weit das Jahr fortgeschritten,
und später im Sommer

gibt es Blaubeeren zu finden,
oft ist auch das Fließen eines Baches
zu hören, und wenn wir tief genug
eingesunken sind in das grüne Wogen,
dann scheint es der Anfang der Welt

Kommst Du mit, die Innenseite
der Welt zu erspüren?

Donnerstag, 15. Februar 2024

Zum Andenken an Andrea Rausch: Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen

 



In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2017 starb die Künstlerin Andrea Rausch in ihrer Wohnung in Fredelsloh. Dieses Jahr wurde ich wieder an sie erinnert, ich bekam eine CD von ihr ausgehändigt, es hieß, darauf wären Bilder von ihr gespeichert. Das erwies sich jedoch als nicht ganz richtig. Sicher, es waren auch Bilder von ihr darauf, jedoch eingebettet in von der Künstlerin geschriebenen Geschichten.

Diesen Geschichten war ein Brief angefügt mit folgendem Inhalt: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit übersende ich Ihnen einige Buchmanuskripte, Textauszüge und mehrere bebilderte Kurzgeschichten zur Ansicht. Einen ersten umfassenden Eindruck bekommen Sie, wenn Sie die Geschichte „Phantastische Atomgeschichten“ lesen.

Gerne sende ich auf Anfrage weitere Manuskripte und bebildere diese.

Wenn Sie an der Veröffentlichung meiner Arbeiten, weiteren Texten Interesse haben, wenden Sie sich bitte an mich.“
Datiert war der Brief nicht.

Dazu gab es als PDF verschiedene Manuskripte, zwei davon umfänglicher und bebildert: „Plutonium zum Frühstück - Oder: Wo Fliegen die Spinnen um die Ecke treten“ (73 Seiten) und „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“ (109 Seiten).

Zu einer Veröffentlichung kam es nicht, doch ich möchte die eine oder andere Geschichte, mit dazugehörigen Bildern der Künstlerin hier auf meinem Blog einstellen. Ich habe die Texte nicht verändert, außer wo sichtlich Flüchtigkeitsfehler waren, und ich habe ihre doch sehr eigenwillige Interpunktion etwas gemäßigt, zugunsten der Lesbarkeit der Texte. Der Nachlass der Künstlerin wird verwaltet von der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh. 

Ich sehe Andrea Rausch als eigenständige Künstlerin, die imstande war nicht nur in einer ihr eigenen Welt zu leben, sondern auch diese Welt uns zu zeigen. In Wort und Bild. Schmunzeln musste ich beim Vorwort zu „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“, in dem sie unter anderem ihre Wahrnehmung des Dorfes Fredelsloh schildert. Das möchte ich Euch nicht vorenthalten:

Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen

Für: Das Plutonium, das ich stets geliebt hatte und für mich schon seit Kindesbeinen an ein Vorbild gewesen war!

Vorwort

Glühbirne an der Decke geht kaputt und muss gewechselt werden. Arme zu kurz. Bild soll aufgehängt werden. Wieder das Gleiche. Stuhl muss her, und zuvor noch nach Hammer und Nägeln gekramt werden. Morgens fängt der Ärger ja schon an. Körper mit viel Geächze aus dem Bett wuchten und aufs kalte Klo schaffen. Jedes Mal beim Aufstehen erneut das anstrengende Gefühl dabei haben, nicht nach oben zu kommen – sondern den gesamten Planeten mit den Füßen und einer Mords – Anstrengung nach unten zu schieben!! Danach mit lauter Geschirr und diversen anderen Utensilien in der Küche herumhantieren, bloß um einen Kaffee zu erhalten. Von kompletten Menüs mal ganz zu schweigen! Da ist natürlich auch der Kühlschrank mal wieder leer. Es muss also losgelatscht werden zum Einkaufen – leider auch bei Kälte, Wind und Nässe. Danach mit schweren Taschen zurück, auf der Erde herumkriechend mit dem Tempo einer lahmen Schnecke, dafür voll gepackt wie ein Lastesel. Und aufpassen, dass nicht in die Hundescheiße getreten wird, die überall herumliegt. Traktor fährt vorbei. Kann man nichts gegen machen – außer Ohren zustopfen und Atem anhalten. Leider bin ich kein gelernter Taucher. 50 Kilometer weiter gibt’s eine lehrreiche Technik – Ausstellung. Man hat aber nur Füße. Kein Moped, kein Auto. Bus? – So 3x am Tag – wenn es hochkommt ! Keine Post mehr, Amtshaus dicht, keine Apotheke, keine Drogerie, zwei halbe Ärzte, eine Zahnärztin. Zum Glück hatte ich in meinem Leben noch niemals Zahnschmerzen, obwohl ich ein notorischer Zahnputzmuffel bin.

Was hat das öde Kuhdorf noch zu bieten? – Die üblichen, in meinen Augen so albern wirkenden – na ja – Eingeborenenbräuche. Ansonsten noch einen kleinen Lebensmittelladen im Stile eines Tante - Emma - Ladens. Der zweite, größere hatte schon vor Jahren dichtgemacht. Dafür gibt’s aber über ein halbes Dutzend Töpfereien (!) Außerdem eine Menge anderer diverser Ramsch- und Kitschläden, im Volksmund auch „Andenkenläden“ bezeichnet. Echt – zum Abgewöhnen! Also, was tun? – Verreisen ? – Ja, einmal im Jahr im Winter, ins warme Afrika. Wunderschön dort unten! Und – entsetzliche Scheiße, das Drumherum: Auf kalten Bahnhöfen herumstehen, auf überfüllte Züge warten, das ganze Theater auf den Flughäfen, über neun Stunden eingezwängt in einen engen Sessel, der vorn und hinten nicht passt, und die Knie müssen auch noch untergebracht werden. . . .

Insgesamt fast 24 Stunden, bis man endlich endgültig am Zielort ist! (Oder die Maschine ist kaputt, und der ganze Mist dauert noch zwei Tage länger So wie neulich auf dem Rückflug geschehen, und da gleich zweimal hintereinander (!)). Tja, die Realität des Daseins eben. Diese unerträgliche, so gottserbärmliche Realität! So widerlich, so bescheuert, ihr so hilflos ausgesetzt zu sein, nichts, aber auch rein gar nichts dagegen tun zu können! Viele Menschen flüchten vor ihr zu ihren Göttern in ihren Religionen, ich als Atheist setze meine Phantasie dagegen. Wo eine kaputte Glühbirne sich von selbst wechselt, nein: Sondern der kleine, durchgebrannte Glühdraht in ihrem Innern sich wieder von selbst flickt! Wo man fliegen kann. Hoch über aller Hundescheiße, ohne zu frieren nackt durch den dicksten Schneesturm, und in einer Viertelstunde bis nach Afrika, ohne das ganze störende Drumherum, 360° - Fensterplatz inklusive. . . . Wo es im kleinsten Tante-Emma-Laden neben Pommes auch Plutonium zu kaufen gibt! Und damit sind wir schon auf jener Welt, wo man sich schon zum Frühstück mit Plutonium anreichert. In allen Farben und Geschmacksrichtungen, sozusagen.

Zum Abschluss noch eine Selbstbeschreibung der Künstlerin und ein Video. Das Video hatte ich im Juni 2016 zusammengestellt, noch zu Andrea Rauschs Lebzeiten. Die Musik dazu haben mein Sohn und ich in der Klosterkirche Fredelsloh fabriziert, wir spielten Ziehflöten (und ich Gitarre) und genossen die unnachahmliche Akustik in der alten romanischen Kirche. Andrea hatte das auch gefallen, und sie hat sich sehr herzlich bedankt für dieses Filmchen.

"Ich heiße Andrea Rausch und bin am 13. 12. 56 in Bad Hersfeld geboren. Im Alter von 5 Jahren sind wir nach Göttingen umgezogen. In Göttingen wohnte ich bis Juli 1985, danach bin ich nach Fredelsloh, Tönnieshof, umgezogen, einem kleinen Dorf am Rande des Sollings. Gezeichnet hatte ich schon seit meiner Kindheit, und auch da schon ausschließlich Motive nach eigenen Ideen, niemals aus der Umwelt. Ab 1984 habe ich mit Ölmalerei begonnen - Renate, die ich in meiner Patientenzeit in der Psychiatrie Göttingen kennen gelernt hatte, brachte mir ein dickes Buch mit verschiedenen Maltechniken zum Durchlesen mit - und ein Glas voll Ölfarbentuben und eine Leinwand auf Keilrahmen. Nach dem Durchlesen habe ich sofort angefangen. Es war ganz simpel, es ging wie von selbst. Das erste Bild wurde rasch verkauft.

Seitdem male ich viel in Öl, aber zeichne auch viel in Blei- und Farbstiften. Auch Wasserfarbenbilder habe ich etliche. Ebenso male ich Steine an, kleine Bilder oder Muster drauf, je nach Form des Steines. Meine Motive sind stets phantastischer Art. Mein allergrößter Wunsch ist ein eigenes Haus mit eigenem Atelier auch für große Projekte, wie räumliche Plastiken und Objekte.

Ein Haus mit sehr viel Sonne und ohne jegliche Nachbarn in der Nähe."


Montag, 12. Februar 2024

Manchmal finde ich meine Insel

 



Es wird still um mich, geliebte Welt,
nicht hab ich mich geläutert, eher wohl ent-lautet,
vielleicht hab ich mich gehäutet, etwas leiser,
mir sind die Leut zu laut -

noch sing ich manche Lieder,
noch spreche ich die Werke,
und manchmal finde ich meine Insel,
mitten im Treiben der Welt,

dann schaue ich sinnend um mich,
wie aus einem langen Traume erwachend


1932 erschien der Roman "Brave New World" von Aldous Huxley. Jahre später schrieb er über dieses Buch: 

“If I were now to rewrite the book, I would offer the Savage a third alternative. Between the Utopian and primitive horns of his dilemma would lie the possibility of sanity… In this community economics would be decentralist and Henry-Georgian, politics Kropotkinesque and co-operative. Science and technology would be used as though, like the Sabbath, they had been made for man, not (as at present and still more so in the Brave New World) as though man were to be adapted and enslaved to them. Religion would be the conscious and intelligent pursuit of man’s Final End, the unitive knowledge of immanent Tao or Logos, the transcendent Godhead or Brahman. And the prevailing philosophy of life would be a kind of Higher Utilitarianism, in which the Greatest Happiness principle would be secondary to the Final End principle – the first question to be asked and answered in every contingency of life being: ‘How will this thought or action contribute to, or interfere with, the achievement, by me and the greatest possible number of other individuals, of man’s Final End?’”

„Wollte ich das Buch aufs neue schreiben, böte ich dem Wilden eine dritte Möglichkeit. Zwischen der utopischen und der primitiven Alternative des Dilemmas läge die Möglichkeit normalen Lebens […]. In dieser Gemeinschaft wäre die Wirtschaft dezentralistisch und henry-georgeisch, die Politik kropotkinesk und kooperativ. Naturwissenschaft und Technologie würden benutzt, als wären sie, wie der Sabbat, für den Menschen gemacht, nicht, als solle der Mensch (wie gegenwärtig und noch mehr in der »schönen neuen Welt«) ihnen angepasst und unterworfen werden. Religion wäre das bewusste und verständige Streben nach dem höchsten Ziel des Menschen, nach der einenden Erkenntnis des immanenten Tao oder Logos, der transzendenten Gottheit oder des Brahman. Und die vorherrschende Lebensphilosophie wäre eine Art von höherem Utilitarismus, worin das Prinzip des größten Glücks dem des höchsten Zwecks untergeordnet ist – denn die erste, in jeder Lebenslage zu stellende und zu beantwortende Frage hieße: ‚Inwieweit würde dieser Gedanke oder diese Handlung fördern oder hindern, dass ich und die größtmögliche Zahl anderer das höchste Ziel des Menschen erreichen?‘“

Aldous Huxley: Brave New World and Brave New World Revisited. Harper Perennial Modern Classics, 2005, S. 7.

Er machte die Ankündigung wahr, und schrieb dieses Buch aufs neue, und stellte 1962, ein Jahr vor seinem Tode, der Dystopie eine Utopie gegenüber  -  Den Roman "Island". Nun habe ich diesen Roman als ein Radiohörspiel aus dem Jahre 1984 (!) auf deutsch bei YouTube gefunden  -  sozusagen meine Insel gefunden, und so lausche ich an diesem trüben Februartag den Botschaften von dieser Insel. Übrigens, das Bild oben ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh als Nachlassverwalterin.