In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2017 starb die Künstlerin Andrea Rausch in ihrer Wohnung in Fredelsloh. Dieses Jahr wurde ich wieder an sie erinnert, ich bekam eine CD von ihr ausgehändigt, es hieß, darauf wären Bilder von ihr gespeichert. Das erwies sich jedoch als nicht ganz richtig. Sicher, es waren auch Bilder von ihr darauf, jedoch eingebettet in von der Künstlerin geschriebenen Geschichten.
Diesen Geschichten war ein Brief angefügt mit folgendem Inhalt: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit übersende ich Ihnen einige Buchmanuskripte, Textauszüge und mehrere bebilderte Kurzgeschichten zur Ansicht. Einen ersten umfassenden Eindruck bekommen Sie, wenn Sie die Geschichte „Phantastische Atomgeschichten“ lesen.
Gerne sende ich auf Anfrage weitere Manuskripte und bebildere diese.
Wenn Sie an der Veröffentlichung meiner Arbeiten, weiteren Texten Interesse haben, wenden Sie sich bitte an mich.“ Datiert war der Brief nicht.
Dazu gab es als PDF verschiedene Manuskripte, zwei davon umfänglicher und bebildert: „Plutonium zum Frühstück - Oder: Wo Fliegen die Spinnen um die Ecke treten“ (73 Seiten) und „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“ (109 Seiten).
Zu einer Veröffentlichung kam es nicht, doch ich möchte die eine oder andere Geschichte, mit dazugehörigen Bildern der Künstlerin hier auf meinem Blog einstellen. Ich habe die Texte nicht verändert, außer wo sichtlich Flüchtigkeitsfehler waren, und ich habe ihre doch sehr eigenwillige Interpunktion etwas gemäßigt, zugunsten der Lesbarkeit der Texte. Der Nachlass der Künstlerin wird verwaltet von der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh.
Ich sehe Andrea Rausch als eigenständige Künstlerin, die imstande war nicht nur in einer ihr eigenen Welt zu leben, sondern auch diese Welt uns zu zeigen. In Wort und Bild. Schmunzeln musste ich beim Vorwort zu „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“, in dem sie unter anderem ihre Wahrnehmung des Dorfes Fredelsloh schildert. Das möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen
Für: Das Plutonium, das ich stets geliebt hatte und für mich schon seit Kindesbeinen an ein Vorbild gewesen war!
Vorwort
Glühbirne an der Decke geht kaputt und muss gewechselt werden. Arme zu kurz. Bild soll aufgehängt werden. Wieder das Gleiche. Stuhl muss her, und zuvor noch nach Hammer und Nägeln gekramt werden. Morgens fängt der Ärger ja schon an. Körper mit viel Geächze aus dem Bett wuchten und aufs kalte Klo schaffen. Jedes Mal beim Aufstehen erneut das anstrengende Gefühl dabei haben, nicht nach oben zu kommen – sondern den gesamten Planeten mit den Füßen und einer Mords – Anstrengung nach unten zu schieben!! Danach mit lauter Geschirr und diversen anderen Utensilien in der Küche herumhantieren, bloß um einen Kaffee zu erhalten. Von kompletten Menüs mal ganz zu schweigen! Da ist natürlich auch der Kühlschrank mal wieder leer. Es muss also losgelatscht werden zum Einkaufen – leider auch bei Kälte, Wind und Nässe. Danach mit schweren Taschen zurück, auf der Erde herumkriechend mit dem Tempo einer lahmen Schnecke, dafür voll gepackt wie ein Lastesel. Und aufpassen, dass nicht in die Hundescheiße getreten wird, die überall herumliegt. Traktor fährt vorbei. Kann man nichts gegen machen – außer Ohren zustopfen und Atem anhalten. Leider bin ich kein gelernter Taucher. 50 Kilometer weiter gibt’s eine lehrreiche Technik – Ausstellung. Man hat aber nur Füße. Kein Moped, kein Auto. Bus? – So 3x am Tag – wenn es hochkommt ! Keine Post mehr, Amtshaus dicht, keine Apotheke, keine Drogerie, zwei halbe Ärzte, eine Zahnärztin. Zum Glück hatte ich in meinem Leben noch niemals Zahnschmerzen, obwohl ich ein notorischer Zahnputzmuffel bin.
Was hat das öde Kuhdorf noch zu bieten? – Die üblichen, in meinen Augen so albern wirkenden – na ja – Eingeborenenbräuche. Ansonsten noch einen kleinen Lebensmittelladen im Stile eines Tante - Emma - Ladens. Der zweite, größere hatte schon vor Jahren dichtgemacht. Dafür gibt’s aber über ein halbes Dutzend Töpfereien (!) Außerdem eine Menge anderer diverser Ramsch- und Kitschläden, im Volksmund auch „Andenkenläden“ bezeichnet. Echt – zum Abgewöhnen! Also, was tun? – Verreisen ? – Ja, einmal im Jahr im Winter, ins warme Afrika. Wunderschön dort unten! Und – entsetzliche Scheiße, das Drumherum: Auf kalten Bahnhöfen herumstehen, auf überfüllte Züge warten, das ganze Theater auf den Flughäfen, über neun Stunden eingezwängt in einen engen Sessel, der vorn und hinten nicht passt, und die Knie müssen auch noch untergebracht werden. . . .
Insgesamt fast 24 Stunden, bis man endlich endgültig am Zielort ist! (Oder die Maschine ist kaputt, und der ganze Mist dauert noch zwei Tage länger So wie neulich auf dem Rückflug geschehen, und da gleich zweimal hintereinander (!)). Tja, die Realität des Daseins eben. Diese unerträgliche, so gottserbärmliche Realität! So widerlich, so bescheuert, ihr so hilflos ausgesetzt zu sein, nichts, aber auch rein gar nichts dagegen tun zu können! Viele Menschen flüchten vor ihr zu ihren Göttern in ihren Religionen, ich als Atheist setze meine Phantasie dagegen. Wo eine kaputte Glühbirne sich von selbst wechselt, nein: Sondern der kleine, durchgebrannte Glühdraht in ihrem Innern sich wieder von selbst flickt! Wo man fliegen kann. Hoch über aller Hundescheiße, ohne zu frieren nackt durch den dicksten Schneesturm, und in einer Viertelstunde bis nach Afrika, ohne das ganze störende Drumherum, 360° - Fensterplatz inklusive. . . . Wo es im kleinsten Tante-Emma-Laden neben Pommes auch Plutonium zu kaufen gibt! Und damit sind wir schon auf jener Welt, wo man sich schon zum Frühstück mit Plutonium anreichert. In allen Farben und Geschmacksrichtungen, sozusagen.
"Ich heiße Andrea Rausch und bin am 13. 12. 56 in Bad Hersfeld geboren. Im Alter von 5 Jahren sind wir nach Göttingen umgezogen. In Göttingen wohnte ich bis Juli 1985, danach bin ich nach Fredelsloh, Tönnieshof, umgezogen, einem kleinen Dorf am Rande des Sollings. Gezeichnet hatte ich schon seit meiner Kindheit, und auch da schon ausschließlich Motive nach eigenen Ideen, niemals aus der Umwelt. Ab 1984 habe ich mit Ölmalerei begonnen - Renate, die ich in meiner Patientenzeit in der Psychiatrie Göttingen kennen gelernt hatte, brachte mir ein dickes Buch mit verschiedenen Maltechniken zum Durchlesen mit - und ein Glas voll Ölfarbentuben und eine Leinwand auf Keilrahmen. Nach dem Durchlesen habe ich sofort angefangen. Es war ganz simpel, es ging wie von selbst. Das erste Bild wurde rasch verkauft.
Seitdem male ich viel in Öl, aber zeichne auch viel in Blei- und Farbstiften. Auch Wasserfarbenbilder habe ich etliche. Ebenso male ich Steine an, kleine Bilder oder Muster drauf, je nach Form des Steines. Meine Motive sind stets phantastischer Art. Mein allergrößter Wunsch ist ein eigenes Haus mit eigenem Atelier auch für große Projekte, wie räumliche Plastiken und Objekte.
Ein Haus mit sehr viel Sonne und ohne jegliche Nachbarn in der Nähe."
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