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Sonntag, 24. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Utopia



Heute morgen wieder Rauhreif auf den Wiesen. Ich ging herum und schaute mir das an, und dabei wehte mich ein Thema an, über welches ich eine Weile nachdachte: Was ist eigentlich meine Utopie? Gibt es sie, und was stelle ich mir vor? Etwas Ideales, was vielleicht nicht erreicht werden kann. Nun, meine Utopie ist von meinem Leben geprägt, oder anders herum, meine Utopie hat mein Leben geprägt. Ich wollte dies: Ein Leben in den Gärten in Gemeinschaft. Dahinter der Gedanke, dass, wenn alle Menschen einen Teil ihrer Zeit in den Gärten verbringen würden, mit der würdevollen Handarbeit der Lebensmittelerzeugung, dann gäbe es mit der Verteilung kein Problem. 

Das ist sicher utopisch, und ich höre schon viele aufstöhnen, dass er oder sie gar keine Lust hat, sich mit schwarzer Erde die Hände zu beschmutzen, oder auch: "Als Kind hab ich schon genug im Garten arbeiten müssen, nie wieder!". Weil ich diese Reaktionen zur genüge kenne, verschone ich die Menschen meist mit meiner Utopie. Es ist halt die meine, etwas paradiesisches haftet für mich daran. Eine andere Definition von "Paradies" als die gängige, die eher so eine Art Schlaraffenland der Untätigkeit meint. Doch es ist ein Paradies, und auch im Ursprungsgedanken steht, dass Gott den Menschen in das Paradies entließ, dass er es bebaue und bewahre. Also nichts von "Hier fliegen euch die gebratenen Tauben ins Maul!"

Nun hege ich noch eine andere Utopie, eine die in einem gewissen Sinne unutopisch ist, da sie in historischer Zeit stattgefunden hat, und damit belegt worden ist: Die Konsensdemokratie. Einige Völker der nordamerikanischen Natives lebten diese, zum Beispiel der Irokesenverbund. Nun hat diese Art der Demokratie einen Haken: Sie verschlingt viel Zeit, da Entscheidungen immer wieder durch die Gremien gehen müssen, bis eine Einigkeit hergestellt ist. Und: Sie bedingt eine Erziehung zum Mitreden schon von Anfang an. 

Mit anderen Worten, meine Utopien lassen sich nicht einfach über die heutige Situation überstülpen, und, sie sind von sehr vielen Menschen nicht gewünscht. Da eine Konsensdemokratie ja keine Konsensdemokratie mehr ist, wenn sie befohlen wird, ob von einem Diktator oder einer Mehrheit, ist da egal, wird das wohl Utopie bleiben. 

Dann noch mein dritter utopischer Gedanke: Neben der Handarbeit in dem so wichtigen Teil des Lebens, der Ernährung, und der zeitfressenden Konsensfindung bei allen Entscheidungen, welche die Gemeinschaft betreffen, ist da noch der Wunsch nach unendlichem Wachstum in mir. Nein, kein solches Wachstum in der Materie, expotenzielles Wachstum, da wäre dann die Wasserstoffbombe, die zeigt, was dann geschieht. Ein Wachstum in die Qualität. In die Qualität der Gespräche, des Erzählten, des Gedachten. In die Qualität des handwerklich Erarbeiteten. Und ein unendliches Wachstum in die Phantasie, da kein Mensch mehr unerhört bleibt. 

Das also wären die drei Fundamente meines Utopias: Handarbeit, Konsensfindung und unendliches Wachstum in die Qualität. Ich könnte dazu mehr ausführen, doch ist mir gar nicht danach. Mich selber haben diese drei Fundamente zu dem Leben geführt, welches das meine ist. Nicht perfekt, nicht in Ausschließlichkeit, eher so, wie es ein spanisches Sprichwort beschreibt: "Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, doch sie weisen einem den Weg!"

Bei denjenigen, die bis hierhin mit gelesen haben, bedanke ich mich herzlich. Es fiel mir nicht einfach, das zu schreiben, eigentlich möchte ich meine Utopie für mich behalten, denn wenn sie erst einmal von vielen Seiten diskutiert wird, zerfällt sie zusehens. Das haben Utopien so an sich. So möge sich jede und jeder nach der eigenen Utopie fragen. Wenn es diese denn gibt. 

Mittwoch, 20. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Nichts ist. . .



"Nichts ist
- sagt der Weise.
Du lässt es erstehen.
Es wird mit dem Wind
Deines Atems verwehen
Unmerklich und leise.
Nichts ist. Sagt der Weise."

Mascha Kaléko

Wenn ich aus dem Inneren der Stadt zurück ins Dorf und  in die Gärten komme, dann atme ich tief durch und schaue mich in aller Ruhe um.

Ist es noch hell, dann schau ich nach den liebenswerten Pflanzen, die ruhig und beharrlich in den Beeten stehen. Ist es dunkel, dann schau ich nach den liebenswerten Sternen, die ruhig und beharrlich am Himmel stehen.

Dann fällt nach und nach die Erinnerung der Hektik der Stadt von mir ab. Die Welt zeigt wieder ihr friedliches Antlitz.

Blicke ich zurück auf das in der Stadt erlebte, dann kommt es mir vor, als blicke ich auf einen sonderbaren, kaum fassbaren Traum zurück. In dieser eigentlich so nach innen gerichteten Zeit kommen mir die Menschen vor, als wären sie auf der Flucht, vor was auch immer. 

Dann möchte ich ihnen gerne die oben genannten Verse in die Herzen senden. "Nichts ist. . ."

Dienstag, 19. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Realitäten-Besitzer


Beim Schlendern über einen Kirchhof in Niederösterreich fiel mir folgende Inschrift auf einer Grabplatte auf: "Hier ruhet Josef Wegl / Realitäten - Besitzer". Das Wort ließ mich Schmunzeln: "Realitäten - Besitzer". Wird der Begriff gegoogelt, ergibt sich folgende Auflösung: "Das ist kein Berufsstand. Realitäten ist ein anderes Wort für Immobilien, also Häuser oder Grundstücke oder einfach nur Land."  So in etwa hatte ich es schon vermutet. Doch auf dem Spaziergang zurück zu unseren Gastgebern ließ mir das Wort keine Ruhe. Immer wieder musste ich darüber nachdenken. "Realitäten - Besitzer".

Allein die Mehrzahl des Wortes Realität finde ich entzückend. Sie impliziert, dass es nicht nur mehrere Realitäten gibt, sondern auch, dass ich deren mehrere besitzen kann. So schaue ich mir meine Realitäten einmal an: Da ist mein KleinHäuschen. Es gehört mir und somit ist es sogar im engeren Sinne des Wortes eine Realität. (Wenn ich später einmal ruhen sollte, möchte ich auch diese Bezeichnung auf meiner Grabplatte). 

Die nordamerikanischen Indianer nun, welche von den weißen Realitätensuchern überrascht wurden, kannten kein Eigentum an Grundstücken, Häusern und Land. Sie lebten gewissermaßen außerhalb der weißen Realitäten, und das ist ihnen nicht gut bekommen. Ihre inneren Realitäten schlugen nicht zu Buche. 

Eine meiner Ausbildungskollegen hatte jedes Mal, wenn jemand sagte: "Das ist mein!" einen Spruch zur Antwort: "Schließ die Augen! Alles, was du dann siehst, das ist dein!" Er fand dieses Sprüchlein so lustig, dass er es bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit anwendete. Nun, mancher Acid-Head war entzückt oder entsetzt über die Fülle der Realitäten die ihn bei geschlossenen Augen heimsuchten. Bei geschlossenen Augen lassen sich Bilder schauen, und wenn ich intensiver die zarten Hände der Liebsten auf der Haut spüren möchte, schließe ich die Augen. Oder wenn ich mich ganz dem Genuss des Musikhörens hingeben möchte oder die Aromen eines leckeren Gerichtes ganz auf der Zunge zergehen lasse. Sind also diese Dinge die eigentlichen Realitäten? Ich selber vermute schon. Wusste doch schon meine Großmutter: "Nackt werden wir geboren und nackt gehen wir wieder". 

Da mag ich noch sosehr Realitäten - Besitzer im Äußeren sein, am Ende nehme ich nur das mit, was ich bei geschlossenen Augen sehen (und fühlen) kann. Nicht umsonst gibt es den Brauch, einem Toten die Augen zu schließen als letzte Liebesgabe. Bei geschlossenen Augen sind die Realitäten realer. Die, welche ich eigentlich besitze, wenn der Ausspruch des Kollegen dann Wahrheitsgehalt hat.

Es gibt eine Vielzahl von Realitäten, sonst ließe von diesem Wort wohl kein Plural formen. Auch das eröffnete mir das Nachdenken über den Begriff auf der Grabplatte. Wenn ich meinen Abenddienst in einem öffentlichen Haus tätige, läuft in einem Gemeinschaftsraum der Fernseher nebenbei. Wir sind angehalten, darauf zu achten, dass dort immer der gleiche Nachrichtensender läuft. So sind meine beiden Dienste in der Woche auch immer meine Fernsehstunden, in denen ich eine mir fremde Realität bestaunen kann. 

Dieser Nachrichtensender hat nämlich so seine Eigenheiten. Einmal gibt es alle halbe Stunde das, was er in seinem Namen führt: Nachrichten. Dann gibt es selbstverständlich vor und nach diesen Nachrichten die allgegenwärtige Werbung, dazwischen werden sogenannte Dokumentationen gesendet, die, wissenschaftlich verbrämt, wohl ein Abbild der Realität liefern sollen. Es ist eine sehr männliche Realität, die dort in der Regel gezeigt wird: Die größten Maschinen, die ausgefuchstesten Kriegsgeräte, dann Expeditionen in Urzeiten, wo brüllende Bestien herumlaufen, selbst wenn Insekten gezeigt werden, was selten vor kommt, scheinen auch diese brüllende Bestien zu sein. Dann wieder Polizeieinsätze in den von kriminellen Banden beherrschten Innenstädten in einigen Gegenden der Vereinigten Staaten, dann wieder etwas über die Entstehung der Welt, welche bekanntlich mit einem Big Bang begann, oder wieder Reportagen über mögliche Weltuntergänge durch Eiszeiten, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche und Tsunamiwellen.

Sowohl in den Nachrichten als auch außerhalb blitzt und kracht es, und wenn einmal etwas Bedeutendes geschieht, gibt es den Liveticker, wo neben Börsen- und Sportergebnissen eben auch der Fortgang der Ereignisse zum Beispiel in den Ruinen von Fukushima erscheint. In den eigentliche Nachrichten heißt es dann: "Die Regierung gibt erst einmal Entwarnung. Bleiben sie dran!", und dann können wieder knallige Vulkanausbrüche begutachtet werden, während unten im Liveticker die "reale" Katastrophe ihren Fortlauf nimmt. 

Die Realität, welche mir dort vermittelt wird, ist eine andere, wie die, in der ich mich bewege, wenn ich zum Beispiel im Garten arbeite, die duftenden Äpfel ernte, die Bäume beschneide, die warme Frühjahrssonne genieße. Es ist auch eine andere als die, in welche mein Sohn eintaucht, wenn er mit Freunden zusammen eines dieser Internet-Spiele spielt. Und eine andere als die, welche eine mit mir befreundete Sozialpädagogin erlebt, die mit Langzeitarbeitslosen arbeitet. Und. . . und. . . und. . .

So werden wir wohl alle zu Realitäten - Besitzerinnen und  - Besitzern, und jede und jeder hat so seine eigene. manchmal beschleicht mich das Gefühl, wenn ich darüber nachdenke, dass "Realität" etwas sehr Subjektives ist. Dem wiederum wird die Mehrzahl gerecht: "Realitäten". Ich schließe dann mal die Augen. . .

Montag, 18. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Möglichkeiten

 "Sie (die Seminolen, Native Americans) scheinen frei von Wünschen und Begehren zu sein. Kein grausamer Feind zum Fürchten; nichts, das ihnen Beunruhigung bereiten könnte, außer den allmählich zunehmenden Übergriffen der Weißen. Solcherart sich behauptend und ungestört, erscheinen sie munter und frei wie die Vögel in der Luft, und wie diese fröhlich und tatendurstig, harmonisch und lärmend. Der Anblick, die Bewegungen und das Verhalten der Seminolen stellen das meist beeindruckende Bild von Glücklichsein in diesem Leben dar; Vergnügen, Lebenssinn, Liebe und Freundschaft, ohne Tücke oder Erregungszustände, scheinen ihnen angeboren oder in ihrer lebendigen Geisteshaltung vorherrschend zu sein, denn sie verlassen sie erst mit dem letzten Atemzug."

William Bertram, 1739 - 1823, "Reisen durch Nord- und Süd-Carolina, Georgia, Ost- und West-Florida, das Cherokee Land etc.."

"Willst du denn wirklich zurück zu dem Leben der Natives?", werde ich oft gefragt. Nein, ich will nirgend wohin zurück, nicht in die Steinzeit, nicht zur Natur, nicht ins Mittelalter und nicht zurück in den Mutterbauch. "Alles Vergangene endete im heute". 

Das obige Beispiel aus historischer Zeit zeigt mir jedoch, dass es auch im Menschen angelegt ist, ein solches Leben zu führen. Ich möchte hier jetzt nicht auf die Frage hinaus, ob der Mensch prinzipiell gut oder böse sei. Ob das "sogenannte Böse" etwa in den Genen angelegt sei. Ich möchte "den Menschen", und damit mich selber auch, nicht auf irgendeine Stereotype festlegen.

Doch dass es so glücklich lebende Menschen wie die Seminolen gab, bezeugt, dass es uns Menschen, und damit auch mir, prinzipiell möglich ist, ein solches Leben zu führen. Glücklichsein in einer Gemeinschaft ist in uns angelegt. 

Das wiederum finde ich beruhigend. Und ich folge dieser Spur lieber, als der des "sogenannten Bösen". Warum? Einfach, weil ich mich damit wohler fühle.

Sonntag, 17. April 2016

Den Trommelschlag verstehen

Andrea Rausch: Portal zu zwei Welten zugleich


Sagte Ho-schan: 

"Wer übend lernt, den nennen wir Hörer. Wer ausgelernt hat, denn nennen wir Nachbar. Wer über diese zwei hinaus gelangt ist, den betrachten wir als einen, der in der Wahrheit darüber hinaus ist."

Ein Mönch trat vor und fragte:

"Was bedeutet `In der Wahrheit darüber hinaus`?"

Sagte Ho-schan:

"Den Trommelschlag verstehen"

Aus: Bi-Yän-Lu: Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand (Übersetzt von Wilhelm Gundert)

Das Ölbild "Portal zu zwei Welten zugleich" ist von der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung
Andrea Rausch auf Facebook:

https://www.facebook.com/profile.php?id=100011225959703&fref=ts



 

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: An der Zeit


Manchmal ist es noch nicht so weit. Da treibt mich ein Thema um, ist in den Gedanken und den Gefühlen immer wieder präsent und möchte ans Licht, doch in dem Augenblick, wo ich mich hinsetze, um dem Ganzen sprachlichen Ausdruck zu verleihen, entgleitet mir das Thema, und kein Wort erscheint geschrieben auf dem Bildschirm. Stirne blank, alles weg. Oder, wie Heinz Rudolf Kunze es einmal in einem seiner Lieder formulierte: "Was für´n Glück / Wenn die Stirn / spiegelglatt wie das Hirn / ich denke gar nichts / alles klar!"

Es gab Zeiten, da fürchtete ich, dass mir diese Formulierungen und Gedanken für immer entgleiten, dass sie in ein großes schwarzes Gedankenloch verschwinden, und auf immer ungreifbar werden. Heute weiß ich: Mit einigen ist es so. Doch das sind die Unwesentlicheren. Das wirklich wirklich Wichtige kommt zurück. Und dann ist auch die Zeit gekommen, darüber zu berichten. 

Oft kommt es dann gereift und bereinigt zurück, und, eine weitere Beobachtung, es findet Anklang. Mit einem Male ist es ein Thema, dass, wenn ich darüber berichte, es in vielen Seelen etwas zu schwingen bringt. "Darüber denke ich auch gerade nach!" höre ich dann. Besonders mit der Liebsten besteht da eine Korrelation, die immer wieder verblüffend ist.

So übe ich denn Gelassenheit. Und ich gewähre den Themen die Freiheit, dann zu mir zu kommen, wenn es an der Zeit ist.