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Sonntag, 30. April 2023

Hans Schiebelhuth: Hexenhochzeit

 


Hexenhochzeit

Ganz tief im Brummbär-Brombeer-Wald
Da hauste eine Hex;
Alt war sie tausend Jahre bald
Und kannte jed Gewächs

Und jeden Vogel, jeden Stein
Und selbst das kleinste Tier;
Herrin im Hag war sie allein,
Die Wesen dienten ihr.

In ihrer Felsenküche gor
Manch giftig-zäher Saft,
Gebräu, Arznei und Schmer und Schmor
Von großer Zauberkraft.

Zur Maizeit in der Neumondnacht
Nahm sie den tollsten Trank,
Dazu ein Bad, da wars vollbracht,
Und jung stand sie und schlank:

Schneehell das Antlitz, zart und rund,
Das Auge frisch und klar,
Und rot und voll und weich der Mund,
Und Goldgelock das Haar.

Sie zeigt dem Spiegel ihr Gesicht,
Der sprach: »Schön seid ihr, Frau,
Drei Tage währts, doch länger nicht,
Drum richtet euch genau.«

Früh trat sie aus dem Baum hervor,
Bog das Gebüsch beiseit;
Dachs aus dem Bau und Has, ganz Ohr,
Erschienen dienstbereit.

Sie winkte, ging durchs Dickicht grad
Und blieb zuweilen stehn,
Sich umzusehn, sie nahm den Pfad,
Den Menschen manchmal gehn.

Bald kam ein Köhlerknecht des Wegs.
Er sah und – wie sichs gibt –
War ohne ein Erstüberlegs
Vergafft, verguckt, verliebt.

Er sprach: »Du blickst so wunderlich,
Daß du mich all entflammst.«
Sie sprach: »Du riechst so zunderlich,
Weil du vom Meiler stammst.«

Er sprach: »Was tuts? Schau besser her!
Bin ich nicht fest und frisch?«
Sie lacht'. Es war die Wahl nicht schwer.
Sie lud ihn ein zu Tisch.

Im prasergrünen Talpalast
Saß er beim Mahl mit ihr.
Zwölf Wildschweinrücken aß der Gast
Und trank drei Hechter Bier.

Bucheckerngrütz und Erpelklein
Gabs dann und Dommelzung
Und Bizzelspritzelwitzelwein,
Den Jahrgang jach und jung.

Zum Schluss gabs würzgen Wurzelgeist;
Er kippt' ihn mit Genuss
Und war beschwippst und wurde dreist
Und gab ihr einen Kuss.

Und sprach: »Mir fliegt die Liebeshitz
Wie Gnitzen ins Gesicht,
Wie Wut ins Blut und nimmt Besitz
Und – merkst du es denn nicht? –

Das Herz pocht an die Rippen mein,
Als hämmerte ein Specht;
Ich wollt, du wollst mein Bräutchen sein;
Sag, Schatz, dir ist's doch recht?«

Sie schwieg. Er spürt', sie willigt ein,
Trug sie zum Lager, toll;
Das Lein war sommerfädenfein,
Die Deck aus Distelwoll.

Sie sanken hin, genossen sich;
Sie fanden sich gewandt,
Erschlossen sich, ergossen sich,
Verströmten ineinand',

Vergnügten, fügten, habten sich,
Und wurden lass und leis,
Ergetzten, letzten, labten sich
Aufs Neue, hell und heiß.

Dann lagen sie und schwiegen lang,
Zart, schmiegsam, ausgetost,
Befangen noch vom Überschwang
Und wohlig nachliebkost.

Doch bald wars Mitternacht vorbei,
Da bat sie ihn aus Lieb
Zu gehn, weil es nicht schicklich sei,
Daß er noch länger blieb.

Er ging, lag unterm Hollerstrauch,
Schlief tief und traumerglüht;
Dort fand sie ihn im Morgenrauch
Laut schnarchend, taubesprüht.

Sie saß im Busch, bestaunte baß,
Wie dieser Schlafratz schnob,
Im Atemschlurf und Atemlaß
Die Brust sich senkt' und hob.

Sie kitzelt' ihn, er nieste darauf;
Mit einem lauten »Tzisch«
Erwacht er lachend und sprang auf,
Und war unendlich frisch.

Es war wie dieser Maitag toll
Noch nie ein Tag im Mai;
Sie herzten, scherzten, übervoll
Von Lust und Neckerei.

Er fragt': »Wie heißt du eigentlich?«,
Als drauf die Rede kam;
Sie blieb ein Weilchen schweigentlich,
Dann nannt sie ihren Nam':

»Gib acht! Ich bin die Hagidis!«
Er brummte: »Höh! Wie dumm!
Das sticht ja wie ein Natterbiß.
Weißt du, ich tauf dich um

Und nenn dich Weißchen-Meisenspeck
Und Wes'chen Küß-nicht-faul
Und Schnickelschnackelschnuckelschneck
Und Hummelhonigmaul.«

Sie nannt' ihn Schwarzwatz-Kohlenfratz
Und Rußrab-Riesegroß.
Zu Wonnen fand sich manch ein Platz
Im Gras und weichen Moos.

Bei Kuß und Kosen aber blieb
Nicht dieser Tag im Wald.
Er sprach: »Hast du mich wirklich lieb,
Dann heiratst du mich bald.«

Drauf sprach sie: »Schön und gut und fein!
Wenn es dir so gefällt,
Soll heute noch die Hochzeit sein;
Der Saal ist schnell bestellt.«

Zur Feier kamen, schön zu schaun,
Zwei Bärlein: Betz und Urs,
Zwei Quellenfraun, zwei Wellenfraun,
Vier Gnome und ein Thurs.

Aus Algenseide war ihr Kleid,
Der Umhang Hermelin,
Der Halsschmuck Bernstein-Goldgeschmeid,
Im Haar ein Krönchen schien.

Sie sprach zur Schar: »Nach altem Recht
Nehm ich und gutem Brauch
Zum Mann den Hartmut Köhlerknecht
Und wißt: Ich lieb ihn auch.«

Sie sprach zu ihm: »Mein holder Schatz,
Nun nehm in Nutz und Schutz
Ich Mondenkind dich Sonnenfratz,
Und dies hier sei dein Putz.«

Sie schenkt' ihm Schuh aus Binsenwand,
Ein Muschelkettchen gar
Und setzt' ihm auf mit linker Hand
Die Haub aus Hasenhaar.

Die Gäste johlten: »So ists echt!
Hei! So was sieht man gern!
Heil Hagidis! Heil Köhlerknecht!
Zur Heirat Glück und Stern!«

Man feierte, man aß, man trank,
Spielt' Haschmichrasch und Blindekuh,
Und wackeltanzte schwank und wank
Und gahlerte dazu.

Der Tag erschien, es losch der Kien,
Da war der Trubel um,
Sie taumelten zum Lager hin
Und stürzten selig-stumm

Eins in des Andern Arme, heiß
Verzehrt von der Begehr,
Vermählten sich und wurden leis,
Entschlummerten dann schwer,

Die glühen Glieder zartverschränkt,
Und nackend Brust an Brust,
Wachten zuweilen auf, beschenkt
Vom Ungestüm der Lust.

Schon trat die Drittnacht in den Hag;
Sie schliefen wunderbar,
Ihr Haupt an seiner Schulter lag,
Sein Atem blies ihr Haar.

Es kam die Mitternacht. Da spürt'
Ers kalt; auch wars, als hätt
Er Rindig-Rauhes angerührt...
Jäh fuhr er auf vom Bett...

Und sah schlaftrunken, wie da rasch
Ein runzlig Weib sich wandt,
Ins Leere langte, und im Hasch,
Ein Rauch, ein Hauch, entschwand.

Er sank zurück, begriff nur halb
Vom Schlaf zu sehr gesträngt,
Ihm deuchte wohl, ihm hätt ein Alb
Quälend die Brust geengt.

Ins Schlafgarn fiel er, wo nun traut
Ihn traf ein Traumgesicht,
Verschlief die Nacht, den Morgenlaut,
Und erst im Mittagslicht

Riss er die Augen auf: Da lag
Im Hollerstrauch er, ja,
Doch war der Wald wie alle Tag,
Vom Schloß kein Stein stand da.

Klang nicht ein Hüsteln, heiser-tief?
Er rannt' ihm nach, verwitzt:
Ein Kuckuck rief, ein Hase lief,
Ein Bär brummte verschmitzt.

Da gellte er: »Ich will dich!« schrill,
Da schrie er: »Hex herbei!«
Der Hag ward plötzlich sterbestill,
Sein Herz ein Klumpen Blei.

Ein Schauer scharf, ein Hexenschuss,
Fuhr ihm durch Mark und Bein;
Bang ward er und trug den Verdruss
Mit seiner Seel allein. –

Der Köhler fand zum Meiler heim,
Der raucht' noch, als er kam;
Es schien der Wald ihm ungereim,
Den Menschen ward er gram.

Er sagte nie ein Sterbensworte
Von dem, was er erfuhr;
Oft triebs ihn ruhlos suchend fort,
Nie fand er eine Spur.

So lebte er noch hundert Jahr ...
Sein Meiler, der verdarb,
Als, krumm vor Gicht, er, blind vom Star,
Die Hex verfluchend, starb.

Doch tief im Brummbär-Brombeer-Wald,
Sehr sicher des Verstecks,
Alt schon zweitausend Jahre bald,
Da haust sie noch, die Hex.

Unsichtbar! Und da spent und spukt
Ihr Wesen, und da zischts,
Da wuschelts, tuschelts, huschgeduckt,
Da schimmerts, schummerts, wischts;

Da sitzts und raschelts, wisperts, flitzts
Im Busch, am Wurzelknorren,
Am Bach, da glitzts, im Laub, da blitzts,
Den Zauber raunt es verworren.


Aus: Schalmei vom Schelmenried von Hans Schiebelhuth, Darmstädter Verlag, 1933

Hans Schiebelhuth, geboren am 11. Oktober 1895 in Darmstadt; gestorben am 14. Januar 1944 in East Hampton, New York, USA, expressionistischer Schriftsteller und Dichter.

Die Illustration ist von Edward Frederick Brewtnall (1846 - 1902)

Montag, 24. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: Des Anfanges friedliche Ausdehnung in die Weiten

 



Des Anfanges friedliche Ausdehnung in die Weiten

wir hätten
weniger gern
mehr

dass entwürfe
bei weitem überwiegen
denn vollendungen

nicht das allzu
offensichtliche
spricht wahr

Des Anfanges friedliche Ausdehnung in tiefviolette Weiten
Stille umfing, es war weder Zeit noch kärgliche Begrenzung
Ein lautloses Singen dunkeltönender Heiterkeit, des Herzens
Wissende Saat, Keime dorten, noch ehe die Sterne erstrahlten
Und in der Dunkelheit drunten unendliches Rauschen des Meeres
Noch davor das Erinnern an rosenfarbene pochende Wärme,
Das Feiern des Getragenseins.

Und die Nilgänse kommen wieder, die weißen schreitenden
Reiher, die schwarz gefiederten Störche, unter ihren Fittichen
erblühen die Apfelbäume, Streulicht auf den gewundenen Wegen,
zaghaft schon streckt sich Laub, die Wiese betupft mit
Schlüsselblumen, Sonnenwirbel, und in den Schatten die Busch-
Windröschen, erheiternd Haselwurz und Aronstab und Zweiblatt,
Des Neuen sanfte Segnungen.

mauler maulen
heuler heulen
krieg findet nicht statt

vornean die sättigung
im tal der unzufriedenen
frieden findet nicht statt

alle pläne geheim
ausgebreitet vor
staunendem volk von wissenden

jede jeder
der wissenden nachbar
auf seiner insel

der nachbar mäht den rasen
verstehen
findet nicht statt

So war es: Des Geheimnisses tieferes Geheimnis nannte er Keim,
Spiralsterne umarmen sich unverloren im Weben des steigenden Süd,
Des Warum enthoben, nah sich selbst, nahe dem Nächsten sowie
Nahe dem Fernsten, da gibt es keine unbeholfenen Wagnisse, einjedes
Vergänglichen Wiederkehr - im Mäandern im Entwinden im Sich-
Ergeben, kein Ich kein Du kein Wir fraglos Selbstgeworfnes alles
Da es keinen Werfer gibt.

Auch der Steinhummeln Behäbigkeit erfüllt die neuen Lüfte, der Falter
strahlendes Flattern, der Bienen Emsigkeit, und kleine schwarze
Käfer senken sich in gelbe Blüten - und ein Dottergelb und der
Ringelnattern erste Häutung, so verwundbar überdauert Leben
Im Pentagramm der aufblühenden Lärchen und erste kleine Fliegen
Tanzen ihren Tanz der Liebe in den wenigen Tagen des Daseins,
Und das ist es, wofür alles ist.

wann kam denn
die welt zur welt
vor mir nicht

den krieg verlieren
nein, ich möchte
ihn nicht wiederfinden

hoffe, dass
das fundbüro
geschlossen bleibt

ich bin ein guter verlierer

(Das Bild ist von Juan Brull 1863 - 1912)

Sonntag, 23. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: morgenstimmung

 



morgenstimmung


I

etwas vergangenes sagen
blüten
vor dem fenster

wolken
ziehende wolken
über dächern

als wir
noch amboss
hörten

comas sola
osmose
den wind in

den baumkronen
blüten
von innen

leuchtend
die morgende
so nah

greifbar
nah
nebel überm see

verwunschen
die eigene
flöte

hand in hand
trugen wir
sonne und mond

wir wussten


II

in die stille der tage hinein
unser gesang
fernher die melodien

es heben das haupt
welche zu lauschen
vermögen

unsere instrumente
einfach
fernher die harmonien

leise die botschaften
tröstungen
perlmuttsanft

des weges
wiederkehr
fernher die stimmungen

in das lärmen der tage hinein
unser gesang
unerhört

gewähren
wir
wiederkehr


III

bleiben wir
doch
einfach


(Das Bild ist von Giuseppe Pelizza da Volpedo, 1868 - 1907)


Samstag, 15. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: Die Gedichte und Gesänge des Tobias Troibusch

 



Die Gedichte und Gesänge des Tobias Troibusch


I  Mein Lebenslied

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
wer hat dir das angetan?
Das angetan, was schon als Kind begann?
Troibusch, Troibusch, alter Mann.

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
dein Vater war ein Säufer dann,
der Mutter falscher Bräutigam,
Troibusch, Troibusch, alter Mann.

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
für dich gabs Schläge dann und wann,
mehr als ein Kind ertragen kann,
Troibusch, Troibusch, alter Mann.

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
der Schnaps hielt dich in seinem Bann,
du fingst doch wie der Vater an,
Troibusch, Troibusch, alter Mann.

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
nie fing dir ein neues Leben an,
ein Leben, das dir gut getan,
Troibusch, Troibusch, alter Mann.

Troibusch, Troibusch, alter Mann,
ist es denn zu Ende dann,
kommst du doch im Himmel an,
Troibusch, Troibusch, alter Mann!


II  Mahnung

Meine Eltern haben mich in dieses Leben gebracht,
es war weder ihr noch mein Wille,
ich hoffe, wenigstens der Akt hat ihnen Spaß gemacht,
alles danach waren Schläge und Stille,
eine Kindheit aus einsamer Nacht.

Es gibt keine verlorenen Töchter und Söhne,
doch eine Kindheit kann sehr verloren sein,
und dann versinkt all das eigentlich Schöne
im Treibsand der Zeit, und Trauer, unergründlich, kehrt ein,
das Orchester des Lebens spielt die dunkleren Töne.

Kein Kind flüchtet freiwillig in die Einsamkeit der Straße,
da ist Sehnsucht nach Geborgenheit und Gehaltensein,
doch manchmal hat das Leid ungeahnte Maße,
in Dunkelheit und Kälte und Unbill allein  -  
nein, kein Kind flüchtet einfach zum Spaße.

So hab auch ich den Sprung ins Ungewisse gewagt,
es kam die Nacht, da war alles zu viel,
ich musste hinaus, noch ehe es tagt,
so verschwand ich ohne Zukunft und Ziel,
bedenkt dies, bevor ihr mir euer Mitgefühl versagt.


III  Nächtliche Wünsche

Ich möcht so gern an die Mauer des Finanzamts pissen.
Noch gibt’s dort keine Kamera.
Wenn ich einmal muss, dann werd ich mussen müssen,
und ich bin keine Ge em be Ha.

Ich würde gerne in der stillen Ecke
beim Amtsgerichte urinieren.
Es gibt kaum andere Verstecke,
und ich würd nur plassen und nichts ruinieren.

Des weiteren möcht ich am Polizeipräsidium pinkeln.
Dort gibt es bei Regen Überdachung,
und ich triebe mich dort trotz Videoüberwachung
herum, und zwar in toten Winkeln.

Wer Bier verkauft und keine Toiletten baut,
dem wird der ganze Park versaut.


IV  Morgens, bei einer Dose Hühnersuppe

Die Kippen, die ich aufgelesen,
die sind schon beinah aufgeraucht.
Die letzte Nacht war kalt und feucht gewesen.
Es ist so wenig, was der Mensch doch braucht.

Ich wünsche Flügel auszubreiten,
Um Flügel auszubreiten, braucht es Raum.
Nicht, um ein Schritt vor und ein zurück zu schreiten.
Vom Fliegen handelt auch mein Traum.

Das Leben ist ein Wagnis.
Ein Brückenbau ins Ungewisse.
Selbst wenn es nach dunkler Nacht
denn wieder Tag ist,
hab ich keine Flagge, die ich hisse.


V  Billiger Wein

Ich lass Dich in die Kehle fließen
und ich werde Dich ehren
und genießen
als wärest Du
der edelste Chateau du Dings.
Der Kellerstar.
Ist das Leben nicht wunderbar?


VI  Liebe Stammtischbrüder

Ihr, die ihr mich verachtet,
denkt bloß nicht, ihr hättet Gott gepachtet.

Auf eure aufgewärmten Extasen
könnten ihr euch einen blasen.

Es sind ja sowieso nur Extäschen,
so wird’s auch nur ein Bläschen.

Und bevor ihr eine Frau verführt
macht ihrs so richtig kompliziert.

Glaubt nicht, dass ich mit eurem Bierbauchrausch
mein wunderbar verqueres Leben tausch

Nur wer oftmals Hunger hat
wird wenn, dann richtig satt!


VII  Aus(!)sagen

Wenn alles vorbei ist, alles zu Ende,
du pleite bist, und abgebrannt,
hältst nur dein Lichtlein in der Hand,
wenn du alles hinter dich gelassen hast,
was einmal für dich zählte,
was dich einst quälte,
dann kannst du es wagen
Aus! zu sagen.

Du brauchst nicht mehr,
was du einst doch zu brauchen meintest,
die Verluste überstanden,
über die du vormals weintest.
Du schnürst dein Bündel
und ziehst los,
so groß die Welt,
die Welt so groß!

Es weitet sich das Herz in deiner Brust,
und dir wird mehr und mehr bewusst,
dass du in Freude lebst,
dass du so lebendig bist,
und du verstehst,
was in dir beständig ist.

In allem, allem liegt dann Sinn,
du gibst dich dem Leben hin
und stellst keine Fragen.
Du erinnerst dich:
es begann damit,
Aus! zu sagen.
So groß die Welt,
die Welt so groß
und du ließest endlich los!

Du kannst glücklich sein,
solang du nicht vergisst,
dass jedes Glück
ein Augenblicksglück ist.

Freitag, 14. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: a

 



Aus der Wortwerkstatt: Eines meiner frühesten Gedichte. Meinen Freundinnen und Freunden erzählte ich stolz, dass ich das kürzeste Gedicht der Welt geschrieben hätte. Ich war fünfzehn Jahre alt.

a


Die Illustration ist ein Ausschnitt aus der Collage Entrance Ticket (1922) von Kurt Schwitters (1887 - 1948), von dem auch eines meiner Lieblingszitate stammt: "Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache"

Samstag, 8. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: Osterspaziergang (Ein Lied)

 



Osterspaziergang (Ein Lied)

Prima Vera,
grün und neu,
nichts fällt schwerer,
grün und scheu

bin ich dabei
auf verlornem Posten,
mit schrillem Schrei
gen Osten

Frühjahrsoffensive
Tandaradei

Wirklichkeiten,
aufgefächert, so viele
in den Weiten,
alles Spiele,

nur ein ferner Schrei
gibt die Befehle
heißes Blei
aus heißer Kehle

Frühjahrsoffensive
Tandaradei

Sonne lockt. Dunkles Grab
Bild um Bild vergeht
ich schalte außen ab
was innen fortbesteht

lass mich nach dorten frei
Herz und Seele,
sei es, wie es sei
ich wähle

Frühjahrsoffensive
Tandaradei

Nah weit:
Seelen brennen,
andre Wirklichkeit:
nicht benennen

Sonne lockt. Agnus dei
nur eine Hülle
Ende der Litanei
in der Idylle

Frühjahrsoffensive
Tandaradei

Das Bild ist von Beda Stjernschantz (1867 - 1910)

Freitag, 7. April 2023

Aus der Wortwerkstatt: Passion

 




„Passion“ - Diesen Zyklus schrieb ich in jungen Jahren, ich war etwa Mitte zwanzig. Ich habe ihn bislang wenigen Menschen gezeigt, und bisher nur einmal auf einer Lesung vorgetragen, und auch das ist schon lange her. Ich habe eine gewisse Scheu, ihn zu zeigen. Zum einen ist es ein Jugendwerk, und entspricht nicht mehr dem, wie und was ich heute erarbeite, zum anderen liegt meine Scheu auch darin , dass ich eine gewisse Befürchtung hege, einer Art Religiosität „verdächtigt“ zu werden, die nicht die meine ist. Ich hatte mich damals dieses Themas angenommen, da mich die Geschichte der letzten Stunden des Menschen Jesu stark berührte, und ich dieses Thema für mich be- und verarbeiten wollte. In allen Aspekten und Facetten, die für mich darin enthalten waren. Es ist also weniger ein religiöser Zyklus, sondern eher eine Art Entdecken eines seelischen Nacherlebens, welches hier Ausdruck fand. Nichtsdestotrotz mag ich auch meine Jugendwerke, und bin bereit, auch diese Seite meines Erlebens zu zeigen, auch wenn die Zeit, als das geschrieben wurde, schon lange hinter mir liegt, und ich heute woanders stehe. Doch es ist auch ein Stück von mir.


Passion

Ich lote nach der Tiefe
meines Zorns.
Ich ziel nach meines Lebens
Ungewiss
und treffe ins Schwarze
meiner Trauer.


Auf dem Ölberge

„ Ich saß droben auf dem Felsen, Gott, Vater.
In der Wüste, die Tage ungezählt.
Der Versucher kam, versuchte mich.
Nicht Steine machte ich zu Brot.
Nicht der Engel Schwingen nahm ich mir.
Auch lernte ich nicht die Herrschaft
Über die Stämme der Welt.

„ Treu blieb ich Dir, Gott, Vater.
Nicht der Ruhm der Menschen verdarb mich,
Noch die Anbetung der Allzugläubigen
Hießen meinen Blick ohne Demut werden,
Und auch der Priester und Schriftgelehrten
Verzieh ich in den Winkeln meines Herzens.
Mir ward es schwer - doch ich lernte sie lieben.

„ Nun aber führte der Weg mich auf diesen Hügel.
Schwarz ringelt sich die Nacht heran.
Einsam ist es um mich, die Furcht ist tief,
Und niemand, der mich der Angst entnimmt -
Meine Gefährten schlafen, schon einmal ging ich,
Sie zu wecken, jedoch, es ist Nacht -
Schon betupfte der Schlaf wieder ihre Augen.

„ Nun führtest Du mich hierher, Gott, Vater,
Und sieh: Mein Leben hinter mir
Liegt wie ein Wahn und Gaukelspiel,
Mir, der zur Liebe ermahnte die Menschen,
Versagt jetzt der Mut -
Ungeliebt bin ich, verlassen,
in meiner schweren, schwersten Stunde.

„ Ich fürchte nicht den Tod, Gott, Vater,
Und doch, es ist ein Leid in mir,
Das lässt die Tränen mir versiegen, bitter,
Die Knie werden mir schwach und alt -
Nicht einmal des Nachtvogels Stimme
Dringt zu mir, so stille ists
In meiner schwarzen Bangigkeit.

„ Du weißt es, ganz genau weißt Du es.
Ich gehe diesen Weg bis an sein Ende.
Meine Seele verflog sich in ihre letzte Wüste -
Öde ists, so menschenleer die Nacht,
Der Himmel ohne blinkende Sterne. . .
Oh, wäre doch nur einer an der Stelle,
Mir mein wehes Herz zu wärmen!

„ Einst verließ ich die liebende Mutter -
Wie tat es ihr weh!
Ihr Sohn ging fort, verließ
Auch mit dem Herzen ihre blutende Seele -
Und auch mich schmerzte es.
Nur das Wissen um meinen Weg
Ließ mich sagen: Ich kenne dich nicht!

„ Verzeih mir, Mutter, nun weiß ich
Um die Trauer der Verlassenen,
Und wieder weiß ich um das Muss meines Weges. . .
Wehe, Mutter, wenn du morgen mich erblickst!
- - - Die Zeit entfloh mir,
Endlos ziehen die Stunden meiner Qual,
Nicht enden will mir diese Nacht - - -

„ Doch auch vor dem Tage graut mir.
Nie! Du weißt es Gott, Vater!
Nie widersetzte ich mich meinem Weg.
Immer ging ich die Pfade an ihr Ende, vertrauend,
Und gab, was immer mir gegeben, alles!
Nun gibt mir keiner, wo ich zu empfangen suche,
Wo meine Füße nicht mehr gehen möchten. . .

„ Gott! Vater! Sollte es denn möglich sein,
So nimm diesen Kelch von mir!
Lasse diese Nacht vergehen, und den Tag
Ohne Bitternis in den Abend verglühen.
Nicht fürchte ich den Tod,
Aber die Lust der Menschen an meinem Leide,
Diese Wunde brennt so tief!

„ Gott! Vater! Sollte es denn möglich sein,
So lasse diesen Kelch vorüberziehen,
Der Schmerz in mir ist übergroß -
Und ich so klein vor solcher Allmacht.
Gott! Mein Vater! Du aber weißt es,
Dass ich gehen werde, in die Nacht,
In meine dunkelste Nacht, als ein Menschensohn! “

Und in die Nacht hinaus
Erklang sein Weinen.


Auf dem Ölberge - Das zweite Gebet

In diese Dunkelheit hinein
fasst der Weltenraum mich an,
und er fühlt kalt, von
jenseits aller Kälte, der
ich wusste, wintertags.
Dies ist die Kälte, die
erstarren lässt,
wo selbst die Zeit erstarrt,
und jenseits aller Zeit und
unempfänglich jeden Glückes -
das heißt:
auch ohne Leben, jeder
Wandlung bar!
So ausgesondert von dem All
und Allem
lebe ich diese, meine
letzte Nacht als Mensch -
Nicht geboren bin ich,
um Märtyrer zu sein -
Märtyrer geben zu gerne
dem Leide sich hin, nicht mächtig
genug ist in ihnen die Liebe
zu allem Irdischen, sie sterben
gern, im Wissen um ihre Allmacht.
Mich aber schmerzt es, die bange
Einsamkeit des Unbekannten,
mich aber schmerzt die blanke
Lust an der Qual, am Martern,
in den Augen meiner Häscher.

Nicht mein Tod ist es, der mich
bangen macht, und auch nicht
die Schmerzen meines Körpers,
hin zum Tode. . .
Sieh! Dass ich so sterben muss,
in dieser Art: Bedeutet´s nicht,
dass andre töten müssen,
quälen müssen, einen Menschen, nur,
um der Erfüllung
Prophetenwortes willens?
Welch ein Irrsinn, welch ein Spiel
wird mir hier aufgetan?
Erlösen wollte ich, jedoch
nun treibe ich das Rad des Leidens
weiter an, auf, dass es rollt
in ferne, unbekannte Zeit. . .
Die Täter müssen büßen, einst,
Die Zeit wird heißen: Zeit
des Gerichts. Jedoch sie mussten
tun, um der Erlösung willen,
um ferner Zukunft Tat. -

Herr! Gott! Vater! Lass mich
halten dieses Rad ins Grenzenlose -
ich sehe tausendfachen Tod
in ferner Zeit -
Frucht einer Tat,
- dieser Tat! -
Oh! Noch liebe ich, ich kann
nicht anders, die Häscher, Mörder,
die dort kommen -
Herr! Gott! Vater! Warum
verließest du mich jetzt -
zu dieser Stunde?


Karfreitagstrauer

Gott ist die Liebe -
Die Liebe ist Gott,
eine Antwort
auf so viele Fragen.
Ich wollte dir
Gefolgschaft leisten,
nun seh ich Dich
ans Kreuz geschlagen!

Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich
verlassen?
Muss ich denn ewig -
hassen?


Späte Erkenntnis

Als der Vorhang zerriss,
und die Erde sich verdunkelte,
da ahnten wir,
dass dieser Mensch
wohl Gottes war. . .!

Jetzt, wo die Wüste wächst
und die Erde sich verdunkelt,
jetzt ahnen wir,
dass dieser Stern
wohl Gottes ist. . .!


Er lebt!

Es war ein Mächtigeres in Dir,
als Du starbst!

Was heißt hier sterben?
Die Liebe stirbt uns nicht!
Liebendes kann nicht verderben!
Geliebtes steht nicht vor Gericht!

Er lebt!
Nun wird in dieser Welt ein andres Sein!
Er lebt!
Und leben wird jetzt jeder Stein!

Er lebt!
Die Angst ist mir gebändigt!
Er lebt!
Auch meiner Seele Ostern wird bald sein!
Er lebt!
Die längste Nacht hat er beendigt!
Er lebt!
Und seine Sonne leuchtet mir ins Herz hinein!


Das Bild ist von Marianne von Werefkin (1860 - 1938)

Sonntag, 2. April 2023

Kalindi, die Nachtweberin

 



Kalindi, die Nachtweberin

Sagte Kalindi, mehr zu sich selbst, denn zu dem siebenäugigen Wesen dort in der Ecke: "Es ist an der Zeit, die Netze zu knüpfen."

"Denn siehe, die Fasern der Nesseln halten, und im Kessel dort der Sud, die Farben des Himmels darin, er ist sämig und wohlriechend!"

"Und wenn ich in den besternten Himmel schaue, mondlos, tief in allem, dann weisen unzählige Bilder die Wege!"

Sagte Kalindi, mehr zu sich selbst, denn zu dem zahnschnabeligen Wesen dort in der Ecke: "Es ist an der Zeit, die Winde zu lösen."

"Denn siehe, die Brücken, sie tragen, und die Farben des Himmels, die duftenden, nardelieblichen, wiegen im Wägen der Zeit, so sei es, dass alles seinen Ort finde!"

"Und schau der Sterne freundliches Antlitz, diademstrahlend das Himmelgewölbe, die Augenbrauen der schwarzen Göttin, funkelnd das Antlitz der Erde beträufend!"

Sagte Kalindi, mehr zu sich selbst, denn zu dem spaltzüngigen Wesen dort in der Ecke: "Es ist an der Zeit, die Stürme zu säen!"

"Denn siehe, die Windsbraut, die herrliche, gewandet in den Farben des Himmels, trunken des Weines der Gnade, der Liebe, der Lust. Wer sollte sie nicht freien?"

"Löscht die Lampen, die aufdringlichen, löscht Licht um Licht auf der Erde, das Dunkel zu feiern unter flimmernden Firmament!"

Und während Kalindi so mit sich selbst sprach, lächelte das schwarzflügelige Wesen dort in der Ecke.