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Montag, 25. März 2024

Lilien weiß und Rosen rot - Eine Collage

 

Lilien weiß und Rosen rot - Gedichte zu Lilien und zu Rosen


Und ich glaube an die gold'nen Schwellen,
Wo die wirren, rothen Düfte quellen,
Wo im Winde hohe Lilien schaukeln,
Wo dich Träume wundersam umgaukeln.

Lisa Baumfeld


Ankunft

Lilie, auf die ich meine Strahlen male,
Öffne den Kelch dem süßen Licht entgegen,
Dein Frühling, der dir naht auf Sonnenwegen,
Steigt inbrunstleuchtend von dem hohen Saale.

Lilie, die mein ist, der ich mich vertraue,
Mein Schöpfer will, daß ich dich lenzlich kiese,
Aus blauen Firmamenten sehnend fließe
Mein Kuss in dich mit perlenreinem Taue.

Reinhard Johannes Sorge


Ich und Du

Wir träumten voneinander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund
Zerfließen in Eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.

Friedrich Hebbel


Nachtgesang

Sieh, die Treppen des Gebirges
Kam die Nacht heraufgestiegen,
Und sie pflückte alle Abendrosen ab.

Sieh, die Treppen des Gebirges
Kam der Mond heraufgestiegen,
Und er pflanzte
Stille weiße Lilien ein.

Wie sie zitternd Blüten treiben
Hoch und leuchtend in die Nacht.

Hör, die Treppen meines Hauses
Sehnsucht kommt heraufgestiegen,
Und sie pflückt mir meine roten Rosen ab.

Mädchen, kämst du wie ein Vollmond
Still herauf auf meiner Treppe,
In die Brust mir
Deiner Brüste Lilien pflanzend,

Daß sie große Blumen tragen
Weiß und traumhaft in die Nacht.

Ernst Wilhelm Lotz


Schwermut

Hinter langen Liliensäumen,
Die um schlanke Beete liefen,
Schliefen, schliefen
Rote Rosen schwer in Träumen.

Manchmal weckten sie Fontainen,
Die am Abend lauter sangen,
Und befangen
Fasste sie ein fernes Sehnen.

Und es seufzten auf die zarten
Rosen in den bleichen Zweigen.
Tiefes Schweigen -.
Doch voll Düfte stand der Garten.

Camill Hoffmann


Hülle Dich, Liebste, in weiße Gewänder,
Ehe die Saite zerspringt.
Lächle im Saale der Engel und Rosen,
Laß Dir die kindliche Stirne kosen,
Ehe das Echo verklingt.

Hugo Ball


Wo du wanderst,
Blühen die Rosen träumerischer,

Wo deine Stimme tönt,
Ist ein Echo aus himmlischen Sphären.

Wo deine Hände Gaben reichen,
Lacht der Frühling aus allen Beeten.

Wo du liebst,
Geht die Welt in Flammen auf!

Hans Bethge


Und ich glaube an die goldnen Schwellen - Aus: Glaubensbekenntnis, Lisa Baumfeld, geboren am 27. April 1877 in Wien; gestorben am 3. Februar 1897 ebenda. Lisa Baumfeld erkrankte schwer und verstarb innerhalb weniger Tage im Alter von 19 Jahren in Wien. Postum gab Ferdinand Groß 1899 eine Sammlung ihrer Gedichte unter dem Titel „Gedichte“ heraus.

Ankunft - Aus: Nachgelassene Gedichte, Vier Quellen Verlag 1925, Reinhard Johannes Sorge, geboren am 29. Januar 1892 in Rixdorf, heute Berlin-Neukölln; gestorben am 20. Juli 1916 in Ablaincourt an schweren Verwundungen, die er sich bei der Schlacht an der Somme zugezogen hatte. Dichter und Dramatiker. Mit seinem Stück Der Bettler, auf Vorschlag von Richard Dehmel mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, wurde er der Begründer der expressionistischen Dramatik.

Ich und Du, Friedrich Hebbel (1813 - 1863)

Nachtgesang, Ernst Wilhelm Lotz, geboren am 6. Februar 1890 in Culm an der Weichsel, Westpreußen; er fiel als Kriegsfreiwilliger am 26. September 1914 bei Bouconville, Frankreich. Er war Lyriker und Übersetzer, unter anderem übersetzte er Gedichte von Arthur Rimbaud und Paul Verlaine.

Schwermut - Aus: Adagio stiller Abende, Gedichte von Camill Hoffmann, Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 Camill Hoffmann wurde am 31. Oktober 1878 in Kolín, Böhmen geboren; im Oktober 1944 wurde er im KZ Auschwitz ermordet.

Hülle Dich, Liebste, in weiße Gewänder. . . Hugo Ball - Aus: Emmy Ball-Hennings: Hugo Ball - Sein Leben in Briefen und Gedichten; Mit einem Vorwort von Hermann Hesse; S. Fischer Verlag Berlin 1930

Wo du wanderst. . . aus: Hans Bethge Lieder an eine Kunstreiterin
1922 Gyldendalscher Verlag Berlin. Hans Bethge, geboren am 9. Januar 1876 in Dessau; gestorben am 1. Februar 1946 in Göppingen, Dichter, machte sich einen Namen durch seine Nachdichtungen orientalischer Lyrik.


Musik: 
Gert Wilden jun., aus: Die Schneekönigin 2002; Schumann, Dichterliebe - „Ich will meine Seele tauchen“; Moondog, Frost Flower; Anton Webern, Zwei Lieder op. 19, Goethe Weiß wie Lilien; King Crimson, Peace - A Theme; Laurie Anderson, White Lily; Schumann, Dichterliebe - „Die Rose, die Lilie“; Moondog, Sand Lily; Mark Levant, aus: The Woman in Green 1945.


Dichterliebe

Ich will meine Seele tauchen
In den Kelch der Lilie hinein;
Die Lilie soll klingend hauchen
Ein Lied von der Liebsten mein.

Das Lied soll schauern und beben
Wie der Kuss von ihrem Mund,
Den sie mir einst gegeben
In wunderbar süßer Stund'.


* * * 

Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
Die liebt' ich einst alle in Liebeswonne.
Ich lieb' sie nicht mehr, ich liebe alleine
Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
Sie selber, aller Liebe Bronne,
Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.

Fritz Wunderlich, Tenor; Hubert Giesen, Piano
Heinrich Heine, aus: Buch der Lieder, vertont von Robert Schumann


Weiß wie Lilien, reine Kerzen, 
Sternen gleich, bescheidner Beugung, 
Leuchtet aus dem Mittelherzen 
Rot gesäumt die Glut der Neigung. 

(So frühzeitige Narzissen 
Blühen reihenweis im Garten. 
Mögen wohl die Guten wissen, 
Wen sie so spaliert erwarten.) 

Johann Wolfgang von Goethe, Anton Webern, Zwei Lieder, op. 19 John Alldis Choir Members of the London Symphony Orchestra/Pierre Boulez 


Laurie Anderson - White Lily 

What Fassbinder film is it?
The one-armed Man walks into a flower shop and says:
What flower expresses Days go by
And they just keep going by endlessly
Pulling you Into the future.

Days go by Endlessly
Endlessly pulling you Into the future.

And the florist says: "White Lily."



Filmschnipsel und Bilder unter anderem aus: The Woman in Green 1945; Spencer Roth-Rose, White Lily (2017)


Dingefinders LYRA: LYRA ist die Abkürzung für LYrikRAdio und bezieht sich auf die Audiospur. Die Bilder sind für YouTube dazu gekommen. Das Projekt verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke, weder der Blog (Die Anderen Seiten) noch der YouTube-Kanal sind monetarisiert. Die Reihe wird fortgesetzt. 

Wenn schon alles gesagt, gesehen und gehört worden ist, ist die Collage vielleicht die Kunstform der Zukunft. 

Samstag, 16. März 2024

Also sprach der Pfarra Noia - Eine Collage

 

Das Wort zum Sonntag von Pfarra Noia:

Der Sonntag ist ein Regentag,
so dass ich mich nicht bewegen mag.
Soviel, sovieles vorgenommen,
doch draußen ist die Welt verschwommen.
Gestern glücklich, heute müd,
wenn man die Welt wie durch Milchglas sieht.

Eines ist wohl sicher richtig:
auch das Glück ist äußerst flüchtig.
Lohnt nicht, dran festzuhalten,
naht ihr wieder, flüchtige Gestalten.
Ja, das Glück ist äußerst scheu,
drum entdeck es täglich neu:
Du kannst glücklich sein,
solang du nicht vergisst,
dass jedes Glück ein Augenblicksglück ist.

Das gilt auch für Schulze, Müller, Meier

Also sprach der Pfarra Noia



Die Mittwochspredigt des Pfarra Noia:

So manche, mancher hängt da gern
seinen Karren an ´nen Stern

Sündigen so ganz verstohlen,
um dann unverhohlen,
zur Beichte gehn,
so bleibt die Selbstbefleckung ungeschehn,

wobei letzteres ja eigentlich nix Schlimmes ist,
es sei denn, er glaubt den ganzen Mist,
und so mancher glaubt, und lebt,
was der Algorithmus an ihn klebt

Stirbt die Kuh,
wird die Butter teuer

Also sprach der Pfarra Noia


* * * 


Frau Klapproth heute in der Ehrenloge
im rosasamtenen Theatersaal.
Sie genießt dort ihre Lieblingsdroge,
Meister Laya predigt wieder mal.

Tief in seinen weisen Wortfluss einzutauchen,
das ist ihr innerlichst Begehr,
dabei die eigne Seele auszuhauchen,
Hingabe ohne Gegenwehr.

Dafür ist sie auch bereit zu Zahlen,
in Münzen kling und Scheinchen knister.
Diese Tätigkeit bereitet ihr recht wenig Qualen,
ist doch ihr Bettgenoss A. D. - Minister.

So hat alles seine Richtigkeit,
die Weisheit, das Geld und die Moral.
Und dunkler dämmen sich die Lichter,
dort, im rosasamtenen Theatersaal.

* * *

traudingsbums
ne ne

kaldaunen im schnee

krakauer auf halde
warte nur balde

frutti di mare
von der wiege bis zur bahre


Zuguterletzt ein guter Rat:

Willst du auffallen
in Kaufhallen,
dann musst du draufknallen
auf die Eier,
dass es patscht.
Und matscht.
Und sagen: Was ist dabei?
Jetzt laufen sie frei!

Ein guter Rat ist nie zu teuer

Also sprach der Pfarra Noia


Pfarra Noias Tageslosung für Freitage:

Weißt du schon oder glaubst du noch?
Was glaubst denn Du?

Ringelreihen
oder Blindekuh?

Ich seh etwas, was du nicht siehst,
oder lieber Schiffeversenken,
das Spiel der neuen Zeit,
Himmel und Hölle
zu verschenken,
es ist soweit
sei bereit:

Vor allen Dingen
den Tag in milder Agonie verbringen
„Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein. . .“
Wenn nachts der Bildschirm flimmert,
himmelwärts der letzte Stern verschimmert

Was glaubst denn Du?
Ach, weiß der Geier -

Also sprach der Pfarra Noia



Lebe grenzenlos

Lebe grenzenlos.
Dein Heimatland:
Die Blüte am Wegesrand

Glaube niemandem mehr.
Dein Weg ist, wo Du Dein Herz spürst.
Es ist nicht schwer

Es gibt nichts, was Du verlierst.
Die Welt ist so groß.
Lebe grenzenlos


Verwendete Musik:

The Westcoast Workshop - The Dowser And The Thaumaturgist (1967)
Bruno Spoerri  -  Brogues In Robes
Kali Bahlu - How Can I Tell My Guru? (1967)
Cacique & his Tribe - Spooky Doo
Uhura singing


Dingefinders LYRA: LYRA ist die Abkürzung für LYrikRAdio und bezieht sich auf die Audiospur. Die Bilder sind für YouTube dazu gekommen. Das Projekt verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke, weder der Blog (Die Anderen Seiten) noch der YouTube-Kanal sind monetarisiert. Die Reihe wird fortgesetzt.

Wenn schon alles gesagt, gesehen und gehört worden ist, ist die Collage vielleicht die Kunstform der Zukunft.

Freitag, 15. März 2024

Erinnerung

 



Erinnerung


Selbstverständlich
bin ich eine Insel,
und ja, das Meer ist groß,
und allumfassend

Sage mir, in welchem Meer dein Floß treibt,
ob mit oder ohne Segel,
ob mit oder ohne günstige Winde
oder Strömungen

Wieder die Veilchen, März,
alle Türen geöffnet -
Was würde es helfen, wenn wir wüssten?
Auch Schlüsselblumen öffnen

ihre Kelche. Unvergessen:
damit vierblättrige Kleeblätter
Glück bringen, musst
du sie verschenken, von Herzen,

und ja, das Meer ist groß
und allumfassend

(Das Bild ist von Odilon Redon 1840 - 1916)

Zur Erinnerung an Daevid Allen

 



Zur Erinnerung an den Musiker (Christopher) Daevid Allen, der am 13. 3. 2015 verstarb

Geboren 1938 in Melbourne kam er 1961 nach Europa, zunächst nach Paris, dann nach London, wo er 1963 mit Bassisten Hugh Hopper und dem Schlagzeuger Robert Wyatt das Daevid Allen Trio gründete, aus dem die Band Soft Machine hervorging.

1968 gründete er dann die legendäre Gruppe Gong. 1976 stieg er (zusammen mit seiner Frau Gilli Smyth) aus der Band aus und nahm ab da Alben unter eigenem Namen und mit wechselnden Musikerinnen und Musikern auf, mit Here & Now / Planet Gong (1978); Gilli Smyth / Mother Gong, mit Invisible Opera Company of Tibet, Magick Brothers, University of Errors, Acid Mothers Temple (2004) und anderen.

Daevid Allen starb am 13. März 2015 im Alter von 77 Jahren in seiner australischen Heimat. Sein Sohn Orlando schrieb einen Nachruf, den er mit Versatzstücken aus Allens Texten und Pseudonymen begann: „And so dada Ali, bert camembert, the dingo Virgin, divided alien and his other 12 selves prepare to pass up the oily way and back to the planet of love.“


Garden Song (1995)

What shall we grow in your garden, my dear
If my seed comes to breed in your nursery?
A dolphin or a Deva or a true devotee
So your love might never grow thirsty

For a soul is so real and so whole and so free
And a body is so frail and so human are we
Are we dreaming?
Is this the Earth dreaming too?
Will we live till we die, wondering why
Or will we learn to grow

Day by day by
Day by day by day?

With the fruit of your labour asleep at your breast
Will you nurture them softly and quietly?
And when, next thing, the offspring have flown from the nest
Can you love them and let them go quietly?

For a soul is so real and so whole and so free
And a body is so frail and so human are we
Are we dreaming?
Is this the Earth dreaming too?
Will we live till we die, wondering why
Or will we learn to grow

Day by day by
Day by day by
Day by day by day?

And here comes the autumn when leaves turn to gold
And the waning moon silvers me lightly
In the afternoon sun, it's good fun to grow old
As you hold me and lie with me For your love is so real and so whole and so free

And your body is so frail and so human are we
Are we dreaming?
Is this the Earth dreaming too?
Will we live till we die, wondering why
Or will we learn to grow

Day by day by
Day by day by
Day by day by day?

And when old Father Time rings the chimes of my years
And I see my life turning around me
When you lay me down in your garden, my dear
Will you kiss me and let me go lightly?

For a death is so real and so whole and so free
And a body is so frail and so human are we
Are we dreaming?
Is this the Earth dreaming too?
Will we live till we die, wondering why
Or will we learn to grow

Day by day by
Day by day by
Day by day by
Day by day by
Day by day by
Day by day by
Day by day by day?

Montag, 4. März 2024

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Geheimnis

 


Ich habe ein Geheimnis. Es ist mein ganz eigenes Geheimnis, und so lange ich es niemanden erzähle, bleibt es auch das: Mein ganz eigenes Geheimnis. Es gibt wohl verschiedene Arten Geheimnis. Zum einen die, welche man gerne verschweigen möchte, die kleinen Sünden und Unebenheiten der Seele. Das möchte dann eher "bei sich" behalten werden, und ist doch für scharfe Augen sichtbar: Offene Geheimnisse.

Oder diese Art Geheimnis: Der geheime Name, der nicht genannt werden darf, da sonst andere Wesen Macht über dich erringen können. "Oh wie schön, dass niemand weiß. . ."

Doch mein Geheimnis gehört weder zur ersten noch zur zweiten Art. Es ist einfach nur darum ein Geheimnis, weil es unaussprechbar ist. Ein Geheimnis, für das der schöne Ausdruck "unwörterbar" erfunden wurde. Es ist ein gutes Geheimnis. . .

(Die Illustration zeigt einen Scherenschnitt um 1900)

Sonntag, 3. März 2024

Der Tage ziehende Wunder

 



Der Tage ziehende Wunder

Sei ein Garten.
Haben lässt sich da nichts.
Ein jedes Wesen gehört sich selbst

Die Tage des Jahres,
wie sie dahinziehen.
Wer vermag den Wolken zu lauschen

Wir tragen Finsternisse
in uns. Manches
wäre so simpel

Wer verdient mich?
Des Veilchens Blick in den Himmel,
verwegenes Sehnen

Haben lässt sich da nichts,
ein jedes Wesen gehört sich selbst.
Sei ein Garten

Aus: Buch der erfüllten Wünsche von Tom Seidmann-Freud

 



Aus: Buch der erfüllten Wünsche von Tom Seidmann-Freud


Tom Seidmann-Freud wurde am 17. November 1892 in wien als Martha Gertrud Freud geboren. Ihre Mutter Maria (Mitzi) Freud war eine Schwester des Psychoanalytikers Sigmund Freud. Im Alter von 15 Jahren nahm sie den männlichen Vornamen Tom an und nannte sich Tom Freud. Sie besuchte nach dem Schulabschluss eine Kunstschule in London und widmete sich Bilderbüchern im Jugendstil. Erste Erfolge stellten sich ab 1914 mit eigenen Veröffentlichungen ein.

Von 1918 bis 1920 lebte sie in München. Im Jahr 1920 lernte sie den Schriftsteller Jakob (Jankew) Seidmann kennen, die beiden heirateten 1922 und gründeten den Peregrin-Verlag, in dem auch ihr bekanntestes Werk 1923 erschien, das Bilderbuch Die Fischreise. Die Illustrationen in diesem Buch weisen Stilelemente von Neuer Sachlichkeit und Expressionismus auf. Geschildert wird der Traum eines Jungen: Peregrin, das ist der Ausländer, der Fremde, der Bürger zweiter Klasse. Peregrin träumt von einem Fisch, der ihn in eine Traumwelt bringt. „Es spricht der Fisch: Komm mit, die Welt ist weit und viele Ufer sind!“ Peregrin landet so in einer paradiesischen Traumwelt, in der alles so ist, wie es sein soll: „Dies Land ist das beste, das ich mir denken kann, es sind die Tage Feste, die Welt ist da sehr eben, und hell ist es zu leben von nun und immer an!“ Dieses Buch widmete sie ihrem jüngeren Bruder Theodor, der im Alter von siebzehn Jahren beim Baden ertrank.

Illustration aus Die Fischreise

Weitere Bücher von ihr sind unter anderem Buch der Hasengeschichten (Peregrin 1924), Das Wunderhaus - Ein Bilderbuch zum Drehen, Bewegen und Verwandeln (Herbert Stauffer, Berlin 1927), Das Zauberboot (Herbert Stauffer, Berlin 1929), Buch der erfüllten Wünsche (Müller & Kiepenheuer, Potsdam 1929). Das Wunderhaus und Das Zauberboot wurden Bestseller mit hohen Auflagen. Mit diesen Büchern nahm Freud die Idee der Verwandlungs- und Kulissenbücher des 19. Jahrhunderts wieder auf und entwickelte sie weiter. Mit dem Machtantritt der Nazis gelangten ihre Bücher auf den Index.

Während der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 ging der Peregrin-Verlag bankrott, und Jankew Seidmann nahm sich das Leben. Tom Seidmann-Freud erkrankte daraufhin an einer schweren Depression, von der sie sich nicht mehr erholte. Am 7. Februar 1930 starb sie an einer Überdosis Schlaftabletten. Ihre Mutter Marie wurde 1942 von Wien nach Treblinka deportiert und dort ein Opfer des Holocaust.

Hier nun einige Seiten aus ihrem Buch der erfüllten Wünsche: 



Karls Zeichnung

„KARL, KARL, KARL,
SETZ DICH HIN UND MAL!“

Karl malt ein Haus mit Fahnenstangen,
ein Kind mit Flecken auf den Wangen,
einen Garten, einen Zaun,
einen Hund, besonders böse anzuschaun,
und oben links noch eine bunte Kuh,
dann klappt er seinen Farbenkasten zu.

Auf einmal wird das Ganze ganz lebendig,
im Hause raschelt es inwendig,
und aus dem Fenster schaut und nickt die Frau.
Die Fahnen flattern in dem Himmelblau,
unruhig läuft der Hund im Bild herum,
die Kuh frisst Gras und macht ein groß Gebrumm.
Das Kind mit seinen roten Wangen
hat eben erst zu spielen angefangen,
es trudelt seinen Reifen, wirft den Ball.
Da öffnet sich die Haustür auf einmal,
es kommt ein zweites Kind herausgelaufen,
mit einem Körbchen, um was einzukaufen,
ein Kätzchen blickt verstohlen um die Ecke,
und eine Ziege knabbert an der Hecke.
Von links kommt auch ein Wagen angefahren.
- VIER DINGE, DIE NOCH NICHT GEZEICHNET WAREN!

„KARL, KARL, KARL,
SETZ DICH HIN UND MAL!“




Das Haus in der Mitte der Stadt

In diesem Hause im Herzen der Stadt
wohnen nur Kinder ganz für sich allein.
Vorne grenzt das Haus an die Straße,
aber der Garten hinter dem Haus geht so weit,
daß kein Kind noch sein Ende gefunden hat.
Im Garten ist ein Sandhügel,
im Garten ist ein runder Teich mit Schiffen,
im Garten ist ein Spielplatz mit Schaukeln und Turngeräten und Wippen.
Da ist ein Ziegenwagen, in dem die Kinder kutschieren.
Bei den Beeten stehen Gießkanne, Harke und Schaufel.
Hund und Katze und kleine Kätzchen wohnen im Hofe.
Das Haus hat viele Balkone
und Zimmer mit Spielzeug
und Zimmer mit Musikinstrumenten.
Aber vorne grenzt es an die Straße:
man kann gehen und seine Mutter besuchen
und sehen, wie sie am Fenster sitzt, Ausschau hält
und die Strümpfe und Höschen flickt,
die beim Spielen zerrissen sind.





Gabriel wird ein Eichhörnchen

Zur Belohnung für Geduld und gute Taten
wurde Gabriel ein EICHHÖRNCHEN.
Und nun wohnt er in dem Fichtenwalde,
pflegt sein Herz mit Eichelnüßchen und mit Fichtenzapfen,
schwingt sich froh von einem Ast zum andern,
seinen Buschelschwanz als Steuer nutzend.

Nur vor FÜCHSEN, ILTIS, FALKEN, EULEN
hat er sich in acht zu nehmen,
und die Nahrung muß er selbst beschaffen,
für den Winter was zusammenraffen;
denn im Walde kann man gar nichts kaufen,
keine Milch und keinen Kuchen.
Gabriel muß in die Felder laufen
und die vollen Ähren suchen.
Gabriel muß ganz verstohlen
sich die Früchte von den Bäumen holen,
ihrer süßen Kerne wegen.
Danach kann er nestwärts flitzen,
schaukelnd in der Sonne sitzen
und sich Fell und Pfötchen pflegen.



Die Raumfahrt

Robert hat ein Schiff gebaut,
mit dem kann er im Weltraum fliegen,
schon sieht er Mond und Sonne liegen,
und Sterne mit Ringen und kleinen Trabanten.

Des Mondes Täler sind wie ein Gesicht,
da fürchtet sich der Robert nicht,
er fährt sehr dicht an ihn heran
und schaut sich ihn von der Nähe an.
Manche Sterne sind dunkel, manche licht,
die Landschaft ist zum Verwundern,
die Bäume erkennt er als Bäume nicht,
und Berg und Bach und Meer und Sand
sind anders, als er zu Haus gekannt.


Bei der Staatsbibliothek Berlin ist das Werk digitalisiert, hier der link dazu: 

Auf dem Blog Yupedia - Fußnoten zur Geschichte ist ein sehr guter Artikel zu der Autorin zu finden: 

Dienstag, 27. Februar 2024

Verborgen

 



Verborgen

Ich schlafe den Schlaf der Gesundung
in meiner Höhle tief drunten im Wald,
über mir rauschen die Winde,
Baumwipfel neigen sich schwer,
und wie aus sternreichen Fernen
rauscht in meinen Träumen ein Meer

Die Welt draußen erstarrte im Kalt,
erstarrte in Trauer und Not,
Krieger nahmen den Segen vom Kinde,
doch in meinen tiefsamtenen Träumen
atmet die heimische Küche,
schneidet die Mutter das Brot

Aus wehmütig erhellten Tavernen
klingt Spiel, das sich im Dickicht verliert,
meine Hand umfasst mahnend die Pinne,
in meinem Herzen steigt eine Flut,
zwei Augen nachtblau in Wolken gebettet,
ein Falter, der auf schwankender Blüte ruht

Ein Käfer auf wankendem Halme der Ähre zu,
ein Ahnen im Summen des Sommers der Linde,
auf Tischen lockt Speise, glänzt Wein,
ach, wären wir doch alle gerettet,
ein Wirbel im Reigen tanzender Schuh,
so ruf ich in alldem meine Frage hinein

Die Antwort des Draußen verhallt,
ein heilsames Kraut auf meiner Verwundung,
ich schlafe den Schlaf der Gesundung
in meiner Höhle tiefdrunten im Wald

(Das Bild „Frühlingsabend“ ist von Hugo Simberg, 1873 - 1917)

Sonntag, 25. Februar 2024

Vollmond im Februar

 



Vollmond im Februar

Aus dem Nachthimmel geschaut,
des Mondes Hof großes Auge
bedeckt mit Wolken, es gerinnt
die Zeit, mich kleidet der Himmel

Es gibt nur den einen Krieg,
begonnen weit vor den Erinnerungen,
Kinder der Wälder, es wurden nie
nur die Menschen getötet

Doch hat die Verunsicherung
einen Anfang, als hätte es nie
ein Davor gegeben, träge eigentlich
ziehen die Tage vom Winter

in den Frühling, erste Veilchen blühen,
es ist alles wie immer, nur dass
ich immer seltener in die Ferne schaue,
außer herab in den Nachthimmel

Samstag, 17. Februar 2024

Was weißt Du von der Innenseite?

 



Was weißt Du von der Innenseite?

Kommst Du mit mir in die Wälder?
Es ist schön dort, und manchmal blickt
etwas sehr Archaisches hervor zwischen
bemoosten Stämmen. Oft sind vier Zeilen
zu wenig, das zu erzählen

Du brauchst keine Furcht zu verspüren,
es gibt kaum Wölfe dort, auch
wenn so viel darüber berichtet wird,
Du wirst eher einen Motor heulen hören,
denn einen Wolf

Ich selber habe einmal im Leben
welche gehört, das war in der Nähe
von Hannover, dort gibt es einen
Wolfspark, ich war mit meinem
kleinen Sohn dort

Er war ebenso traurig wie ich,
als wir gingen, es war schon Abend,
und sogar etwas Mond schien, und
da begannen sie zu heulen
im Gehege

Manche auch machen Survival,
wenn sie Geld über haben,
das wird oft gefilmt, und sieht sehr
urtümlich aus, etwas für sehr kernige
Menschen

Ich selber fand das Überleben
in der Stadt schwieriger, besonders
zum Ende des Monats, wenn
so viele damit begannen
Pfandflaschen zu sammeln

Ich möchte Dir auch nicht
verheimlichen, dass diese so
weiten Wälder gezähmte Forste
sind, und dass das Holz in China
gutes Geld bringt

Kommst Du mit? Ich vermag Dich
in Täler zu führen, die sich unberührt
anfühlen für Menschen wie wir, wo
noch eine ursprüngliche Schönheit leuchtet
zwischen bemoosten Stämmen

Ich habe mir als Wohnort ein
Dorf ausgesucht am Rande eines
großen Waldgebietes, und ich spüre
mehr und mehr, dass das etwas
von Altersweisheit hatte,

wenn ich manchen Abend heimkomme,
im Beutel ein paar Pilze, Steinpilze oder
Pfifferlinge oder ganz andere, je nachdem
wie weit das Jahr fortgeschritten,
und später im Sommer

gibt es Blaubeeren zu finden,
oft ist auch das Fließen eines Baches
zu hören, und wenn wir tief genug
eingesunken sind in das grüne Wogen,
dann scheint es der Anfang der Welt

Kommst Du mit, die Innenseite
der Welt zu erspüren?

Donnerstag, 15. Februar 2024

Zum Andenken an Andrea Rausch: Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen

 



In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2017 starb die Künstlerin Andrea Rausch in ihrer Wohnung in Fredelsloh. Dieses Jahr wurde ich wieder an sie erinnert, ich bekam eine CD von ihr ausgehändigt, es hieß, darauf wären Bilder von ihr gespeichert. Das erwies sich jedoch als nicht ganz richtig. Sicher, es waren auch Bilder von ihr darauf, jedoch eingebettet in von der Künstlerin geschriebenen Geschichten.

Diesen Geschichten war ein Brief angefügt mit folgendem Inhalt: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit übersende ich Ihnen einige Buchmanuskripte, Textauszüge und mehrere bebilderte Kurzgeschichten zur Ansicht. Einen ersten umfassenden Eindruck bekommen Sie, wenn Sie die Geschichte „Phantastische Atomgeschichten“ lesen.

Gerne sende ich auf Anfrage weitere Manuskripte und bebildere diese.

Wenn Sie an der Veröffentlichung meiner Arbeiten, weiteren Texten Interesse haben, wenden Sie sich bitte an mich.“
Datiert war der Brief nicht.

Dazu gab es als PDF verschiedene Manuskripte, zwei davon umfänglicher und bebildert: „Plutonium zum Frühstück - Oder: Wo Fliegen die Spinnen um die Ecke treten“ (73 Seiten) und „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“ (109 Seiten).

Zu einer Veröffentlichung kam es nicht, doch ich möchte die eine oder andere Geschichte, mit dazugehörigen Bildern der Künstlerin hier auf meinem Blog einstellen. Ich habe die Texte nicht verändert, außer wo sichtlich Flüchtigkeitsfehler waren, und ich habe ihre doch sehr eigenwillige Interpunktion etwas gemäßigt, zugunsten der Lesbarkeit der Texte. Der Nachlass der Künstlerin wird verwaltet von der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh. 

Ich sehe Andrea Rausch als eigenständige Künstlerin, die imstande war nicht nur in einer ihr eigenen Welt zu leben, sondern auch diese Welt uns zu zeigen. In Wort und Bild. Schmunzeln musste ich beim Vorwort zu „Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen“, in dem sie unter anderem ihre Wahrnehmung des Dorfes Fredelsloh schildert. Das möchte ich Euch nicht vorenthalten:

Plutonium in allen Farben und Geschmacksrichtungen

Für: Das Plutonium, das ich stets geliebt hatte und für mich schon seit Kindesbeinen an ein Vorbild gewesen war!

Vorwort

Glühbirne an der Decke geht kaputt und muss gewechselt werden. Arme zu kurz. Bild soll aufgehängt werden. Wieder das Gleiche. Stuhl muss her, und zuvor noch nach Hammer und Nägeln gekramt werden. Morgens fängt der Ärger ja schon an. Körper mit viel Geächze aus dem Bett wuchten und aufs kalte Klo schaffen. Jedes Mal beim Aufstehen erneut das anstrengende Gefühl dabei haben, nicht nach oben zu kommen – sondern den gesamten Planeten mit den Füßen und einer Mords – Anstrengung nach unten zu schieben!! Danach mit lauter Geschirr und diversen anderen Utensilien in der Küche herumhantieren, bloß um einen Kaffee zu erhalten. Von kompletten Menüs mal ganz zu schweigen! Da ist natürlich auch der Kühlschrank mal wieder leer. Es muss also losgelatscht werden zum Einkaufen – leider auch bei Kälte, Wind und Nässe. Danach mit schweren Taschen zurück, auf der Erde herumkriechend mit dem Tempo einer lahmen Schnecke, dafür voll gepackt wie ein Lastesel. Und aufpassen, dass nicht in die Hundescheiße getreten wird, die überall herumliegt. Traktor fährt vorbei. Kann man nichts gegen machen – außer Ohren zustopfen und Atem anhalten. Leider bin ich kein gelernter Taucher. 50 Kilometer weiter gibt’s eine lehrreiche Technik – Ausstellung. Man hat aber nur Füße. Kein Moped, kein Auto. Bus? – So 3x am Tag – wenn es hochkommt ! Keine Post mehr, Amtshaus dicht, keine Apotheke, keine Drogerie, zwei halbe Ärzte, eine Zahnärztin. Zum Glück hatte ich in meinem Leben noch niemals Zahnschmerzen, obwohl ich ein notorischer Zahnputzmuffel bin.

Was hat das öde Kuhdorf noch zu bieten? – Die üblichen, in meinen Augen so albern wirkenden – na ja – Eingeborenenbräuche. Ansonsten noch einen kleinen Lebensmittelladen im Stile eines Tante - Emma - Ladens. Der zweite, größere hatte schon vor Jahren dichtgemacht. Dafür gibt’s aber über ein halbes Dutzend Töpfereien (!) Außerdem eine Menge anderer diverser Ramsch- und Kitschläden, im Volksmund auch „Andenkenläden“ bezeichnet. Echt – zum Abgewöhnen! Also, was tun? – Verreisen ? – Ja, einmal im Jahr im Winter, ins warme Afrika. Wunderschön dort unten! Und – entsetzliche Scheiße, das Drumherum: Auf kalten Bahnhöfen herumstehen, auf überfüllte Züge warten, das ganze Theater auf den Flughäfen, über neun Stunden eingezwängt in einen engen Sessel, der vorn und hinten nicht passt, und die Knie müssen auch noch untergebracht werden. . . .

Insgesamt fast 24 Stunden, bis man endlich endgültig am Zielort ist! (Oder die Maschine ist kaputt, und der ganze Mist dauert noch zwei Tage länger So wie neulich auf dem Rückflug geschehen, und da gleich zweimal hintereinander (!)). Tja, die Realität des Daseins eben. Diese unerträgliche, so gottserbärmliche Realität! So widerlich, so bescheuert, ihr so hilflos ausgesetzt zu sein, nichts, aber auch rein gar nichts dagegen tun zu können! Viele Menschen flüchten vor ihr zu ihren Göttern in ihren Religionen, ich als Atheist setze meine Phantasie dagegen. Wo eine kaputte Glühbirne sich von selbst wechselt, nein: Sondern der kleine, durchgebrannte Glühdraht in ihrem Innern sich wieder von selbst flickt! Wo man fliegen kann. Hoch über aller Hundescheiße, ohne zu frieren nackt durch den dicksten Schneesturm, und in einer Viertelstunde bis nach Afrika, ohne das ganze störende Drumherum, 360° - Fensterplatz inklusive. . . . Wo es im kleinsten Tante-Emma-Laden neben Pommes auch Plutonium zu kaufen gibt! Und damit sind wir schon auf jener Welt, wo man sich schon zum Frühstück mit Plutonium anreichert. In allen Farben und Geschmacksrichtungen, sozusagen.

Zum Abschluss noch eine Selbstbeschreibung der Künstlerin und ein Video. Das Video hatte ich im Juni 2016 zusammengestellt, noch zu Andrea Rauschs Lebzeiten. Die Musik dazu haben mein Sohn und ich in der Klosterkirche Fredelsloh fabriziert, wir spielten Ziehflöten (und ich Gitarre) und genossen die unnachahmliche Akustik in der alten romanischen Kirche. Andrea hatte das auch gefallen, und sie hat sich sehr herzlich bedankt für dieses Filmchen.

"Ich heiße Andrea Rausch und bin am 13. 12. 56 in Bad Hersfeld geboren. Im Alter von 5 Jahren sind wir nach Göttingen umgezogen. In Göttingen wohnte ich bis Juli 1985, danach bin ich nach Fredelsloh, Tönnieshof, umgezogen, einem kleinen Dorf am Rande des Sollings. Gezeichnet hatte ich schon seit meiner Kindheit, und auch da schon ausschließlich Motive nach eigenen Ideen, niemals aus der Umwelt. Ab 1984 habe ich mit Ölmalerei begonnen - Renate, die ich in meiner Patientenzeit in der Psychiatrie Göttingen kennen gelernt hatte, brachte mir ein dickes Buch mit verschiedenen Maltechniken zum Durchlesen mit - und ein Glas voll Ölfarbentuben und eine Leinwand auf Keilrahmen. Nach dem Durchlesen habe ich sofort angefangen. Es war ganz simpel, es ging wie von selbst. Das erste Bild wurde rasch verkauft.

Seitdem male ich viel in Öl, aber zeichne auch viel in Blei- und Farbstiften. Auch Wasserfarbenbilder habe ich etliche. Ebenso male ich Steine an, kleine Bilder oder Muster drauf, je nach Form des Steines. Meine Motive sind stets phantastischer Art. Mein allergrößter Wunsch ist ein eigenes Haus mit eigenem Atelier auch für große Projekte, wie räumliche Plastiken und Objekte.

Ein Haus mit sehr viel Sonne und ohne jegliche Nachbarn in der Nähe."


Montag, 12. Februar 2024

Manchmal finde ich meine Insel

 



Es wird still um mich, geliebte Welt,
nicht hab ich mich geläutert, eher wohl ent-lautet,
vielleicht hab ich mich gehäutet, etwas leiser,
mir sind die Leut zu laut -

noch sing ich manche Lieder,
noch spreche ich die Werke,
und manchmal finde ich meine Insel,
mitten im Treiben der Welt,

dann schaue ich sinnend um mich,
wie aus einem langen Traume erwachend


1932 erschien der Roman "Brave New World" von Aldous Huxley. Jahre später schrieb er über dieses Buch: 

“If I were now to rewrite the book, I would offer the Savage a third alternative. Between the Utopian and primitive horns of his dilemma would lie the possibility of sanity… In this community economics would be decentralist and Henry-Georgian, politics Kropotkinesque and co-operative. Science and technology would be used as though, like the Sabbath, they had been made for man, not (as at present and still more so in the Brave New World) as though man were to be adapted and enslaved to them. Religion would be the conscious and intelligent pursuit of man’s Final End, the unitive knowledge of immanent Tao or Logos, the transcendent Godhead or Brahman. And the prevailing philosophy of life would be a kind of Higher Utilitarianism, in which the Greatest Happiness principle would be secondary to the Final End principle – the first question to be asked and answered in every contingency of life being: ‘How will this thought or action contribute to, or interfere with, the achievement, by me and the greatest possible number of other individuals, of man’s Final End?’”

„Wollte ich das Buch aufs neue schreiben, böte ich dem Wilden eine dritte Möglichkeit. Zwischen der utopischen und der primitiven Alternative des Dilemmas läge die Möglichkeit normalen Lebens […]. In dieser Gemeinschaft wäre die Wirtschaft dezentralistisch und henry-georgeisch, die Politik kropotkinesk und kooperativ. Naturwissenschaft und Technologie würden benutzt, als wären sie, wie der Sabbat, für den Menschen gemacht, nicht, als solle der Mensch (wie gegenwärtig und noch mehr in der »schönen neuen Welt«) ihnen angepasst und unterworfen werden. Religion wäre das bewusste und verständige Streben nach dem höchsten Ziel des Menschen, nach der einenden Erkenntnis des immanenten Tao oder Logos, der transzendenten Gottheit oder des Brahman. Und die vorherrschende Lebensphilosophie wäre eine Art von höherem Utilitarismus, worin das Prinzip des größten Glücks dem des höchsten Zwecks untergeordnet ist – denn die erste, in jeder Lebenslage zu stellende und zu beantwortende Frage hieße: ‚Inwieweit würde dieser Gedanke oder diese Handlung fördern oder hindern, dass ich und die größtmögliche Zahl anderer das höchste Ziel des Menschen erreichen?‘“

Aldous Huxley: Brave New World and Brave New World Revisited. Harper Perennial Modern Classics, 2005, S. 7.

Er machte die Ankündigung wahr, und schrieb dieses Buch aufs neue, und stellte 1962, ein Jahr vor seinem Tode, der Dystopie eine Utopie gegenüber  -  Den Roman "Island". Nun habe ich diesen Roman als ein Radiohörspiel aus dem Jahre 1984 (!) auf deutsch bei YouTube gefunden  -  sozusagen meine Insel gefunden, und so lausche ich an diesem trüben Februartag den Botschaften von dieser Insel. Übrigens, das Bild oben ist von der 2017 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung der Hedi Kupfer Stiftung Fredelsloh als Nachlassverwalterin. 




Mittwoch, 31. Januar 2024

Zaubergärten

 


Zaubergärten

Es gibt Gärten, und es gibt Zaubergärten. Zaubergärten sind für mich die Gärten, in denen die Hand des Gärtners oder der Gärtnerin nicht spürbar ist. In denen das Kultivierte in wohliger Eintracht mit dem Unkultivierten wächst, wo die wenigsten Reihen gerade und die meisten Anpflanzungen bunt durchmischt sind.

Eigentlich ist ein Garten, die Herkunft des Wortes zeigt es, der „mit Gerten umsteckte Raum“, der mit Flechtzäunen (holländisch: „Tuin“ heißt sowohl "Garten“ als auch „Zaun“) von der Umgebung abgetrennte Raum, etwas Menschengeschaffenes. Selbst das Wort „Paradies“, aus dem Altpersischen kommend, bedeutet nichts anderes als „Wall“, Steinwall.

Nun sind diese Gertenzäune und Steinwälle, aus Lesesteinen gebildet, nicht starre herzlose Grenzziehungen, sondern eher wieder eigene Biotope, durchlässige Membranen zur Außenwelt, nicht Gefängnisse für was auch immer.

Nur aus einem Paradies, aus diesem behüteten Raum konnten Eva und Adam vertrieben werden. Und für dieses Paradies hatten sie den Auftrag zu „bebauen und bewahren“. Was immer auch die Erkenntnis war, welche dem zürnenden Gott Anlass war, das Paradies zu schließen, das „Bebauen und Bewahren“ ist danach gänzlich abhanden gekommen, wie der Zustand der heutigen Welt zeigt.

Nun glaube ich weniger an einen zürnenden Gott, mir ist eine Göttin, wenn schon, herzensnäher, und die „Hagazussa“, die Heckenwohnende, die Zaunreiterin, ergo, die Hexe, gefällt mir besser als schwarzgerockte Priester und bärtige Propheten. Zeigt doch die Zaunreiterin, dass die Membran trotz alledem noch durchlässig ist, dass es keine geschlossenen Paradiese gibt.

Sie ist sicherlich auch die Hüterin der Bauerngärten, die eigentlich Bäuerinnengärten heißen müssen, denn dort waltete die Frau. Während die Männer auf den Allmendeäckern arbeiteten oder auf den Lehnäckern für den Fronherrn schufteten, waren diese Gärten sozusagen privat. (von privatus, von privare, „abgesondert, beraubt, getrennt“, privatum, „das Eigene“ und privus, „für sich bestehend“). Sicher nicht im Sinne vom männlichen Privaten, dem Geraubten, sondern vom gärtnerischen Privaten, dem von der Umgebung abgesonderten.

Hier, in diesem Krautgarten, wuchsen der Gärtnerin die Hauptbeigaben zu den Mahlzeiten zu, hier war auch ihre Hausapotheke, Heilkunst und Ernährung vermischten sich. Und wenn es einmal nicht reichte, oder eine Krankheit gar zu hartnäckig war, konnte sie immer noch über den Zaun und die Hecke fliegen und in der Landschaft das Fehlende sammeln.

In diesen Gärten wurden die Schätze gehütet, fremdländische Gewächse oft. Schon der aus China kommende Schlafmohn fand bereits in der Bronzezeit Einzug in die Gärten, das belegen Samenfunde nach Ausgrabungen.

Sicherlich waren diese Krautgärten nicht die generalstabsmäßig geplanten Gemüsegärten, wie sie in den Kleingartenkolonien oft bevorzugt werden. Wohl eher sahen sie so aus wie die irokesischen Maisgärten, in denen Mais, Bohnen und Kürbis in trauter Eintracht wuchsen, nach dem Säen wurde noch zweimal gehackt und dann wurde wachsen gelassen. Was da zusätzlich aufkam waren bis zu 300 Arten nutzbarer Pflanzen. Eben das, was wir oft als „Unkraut“ verzweifelt fern halten wollen. Da wir nicht mehr um die Nutzbarkeit wissen, um die Heilkraft. Den „Tuin“ bildeten dort übrigens die hochaufwachsenden Tabakpflanzen, heiliges Kraut und schädlingsabweisende Hecke in einem.

Also: lasst uns mehr Zaubergärten kreieren, dann sind wir dem Paradiese bestimmt ein Stücklein näher gekommen. Und ab und zu fliegen wir dann über den Zaun. . .


Alter Bauerngarten

Ganz Seele – so stand ich
und sah
Sonnenlicht und Luft sich verweben
zu einem glänzenden Blütentraum.
Falter - bunt hingegeben,
Lavendelduft,
Duft von Melisse,
Elfen sah ich darinnen schweben.

Ein Engelwesen war dieser Garten mir,
Verwoben mit allem Lebendigen hier.
Verwoben mit all den Sternensphären,
Ach, wenn doch alle Gärten so wären!

Donnerstag, 11. Januar 2024

Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache - Zum Andenken an Kurt Schwitters

 



"Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache" (Kurt Schwitters)


"Wenn mir einer sagte,
Ein Freund hätte gesagt,
Dass ein anderer Freund gesagt hätte,
Ich hätte zu einem dritten Freunde gesagt,
Dass ein vierter Freund gesagt hätte,
Ein fünfter Freund hätte gesagt,
Dass ein sechster Freund gesagt hätte,
Ich sollte gesagt haben,
Was ich nicht gesagt habe,
So sage er hier getrost an alle Freunde,
Ich hätte gesagt,
Ich hätte nichts gesagt."

"Man kann auch mit Müllabfällen schreien, und das tat ich, indem ich sie zusammenleimte und -nagelte. Ich nannte es Merz, es war aber mein Gebet über den siegreichen Ausgang des Krieges, denn noch einmal hatte der Frieden wieder gesiegt. Kaputt war sowieso alles, und es galt aus den Scherben Neues zu bauen. Das aber ist Merz."


Kurt Schwitters, geboren am 20. Juni 1887 in Hannover; gestorben 8. Januar 1948 in Kendal, Cumbria, England, Maler, Dichter, Raumkünstler und Werbegrafiker, der unter dem Kennwort Merz ein dadaistisches „Gesamtweltbild“ entwickelte. Sein Werk umfasst die Stilrichtungen Konstruktivismus, Surrealismus und Dadaismus, dem sie aber nur durch Gegensätzlichkeit ähnlich waren. Aus heutiger Sicht zählt Schwitters zu den einflussreichsten Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts.

Von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt, emigrierte Schwitters im Januar 1937 nach Norwegen, wo er schon in den Jahren zuvor die Sommermonate verbracht hatte. In Norwegen entstanden zwei weitere Merzbauten, in Lysaker (zerstört 1951) und auf der Insel Hjertøya (bei Molde); wohlgemerkt bezeichnete er nur den ersten als Merzbau.[ Nach dem deutschen Überfall auf Norwegen floh er 1940 nach England.

Das Bild oben trägt den Titel Roter Bonbon und ist von 1920





An Anna Blume

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner; Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du , ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Lass sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
auf den Händen wanderst Du.

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner; Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

                Preisfrage:

                1.) Anna Blume hat ein Vogel,
                2.) Anna Blume ist rot.
                3.) Welche Farbe hat der Vogel.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du, Deiner; Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir?
Das gehört beiläufig in die - - - Glutenkiste.

Anna Blume, Anna, A - - - - N - - - -N- - - - -A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten und von vorne:
A - - - - - - N - - - - - N - - - - - -A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich - - - - - - - liebe - - - - - - - Dir!

An Anna Blume ist ein Merz-Gedicht, das 1919 von Kurt Schwitters verfasst und sehr aktiv verbreitet wurde. Er schrieb mehrere Versionen. Eine davon verbreitete er 1920 als Werbung für seinen neuen Gedichtband an den Litfaßsäulen in Hannover, wo er lebte.