Aus: Buch der erfüllten Wünsche von Tom Seidmann-Freud
Tom Seidmann-Freud wurde am 17. November 1892 in wien als Martha Gertrud Freud geboren. Ihre Mutter Maria (Mitzi) Freud war eine Schwester des Psychoanalytikers Sigmund Freud. Im Alter von 15 Jahren nahm sie den männlichen Vornamen Tom an und nannte sich Tom Freud. Sie besuchte nach dem Schulabschluss eine Kunstschule in London und widmete sich Bilderbüchern im Jugendstil. Erste Erfolge stellten sich ab 1914 mit eigenen Veröffentlichungen ein.
Von 1918 bis 1920 lebte sie in München. Im Jahr 1920 lernte sie den Schriftsteller Jakob (Jankew) Seidmann kennen, die beiden heirateten 1922 und gründeten den Peregrin-Verlag, in dem auch ihr bekanntestes Werk 1923 erschien, das Bilderbuch Die Fischreise. Die Illustrationen in diesem Buch weisen Stilelemente von Neuer Sachlichkeit und Expressionismus auf. Geschildert wird der Traum eines Jungen: Peregrin, das ist der Ausländer, der Fremde, der Bürger zweiter Klasse. Peregrin träumt von einem Fisch, der ihn in eine Traumwelt bringt. „Es spricht der Fisch: Komm mit, die Welt ist weit und viele Ufer sind!“ Peregrin landet so in einer paradiesischen Traumwelt, in der alles so ist, wie es sein soll: „Dies Land ist das beste, das ich mir denken kann, es sind die Tage Feste, die Welt ist da sehr eben, und hell ist es zu leben von nun und immer an!“ Dieses Buch widmete sie ihrem jüngeren Bruder Theodor, der im Alter von siebzehn Jahren beim Baden ertrank.
Illustration aus Die Fischreise |
Weitere Bücher von ihr sind unter anderem Buch der Hasengeschichten (Peregrin 1924), Das Wunderhaus - Ein Bilderbuch zum Drehen, Bewegen und Verwandeln (Herbert Stauffer, Berlin 1927), Das Zauberboot (Herbert Stauffer, Berlin 1929), Buch der erfüllten Wünsche (Müller & Kiepenheuer, Potsdam 1929). Das Wunderhaus und Das Zauberboot wurden Bestseller mit hohen Auflagen. Mit diesen Büchern nahm Freud die Idee der Verwandlungs- und Kulissenbücher des 19. Jahrhunderts wieder auf und entwickelte sie weiter. Mit dem Machtantritt der Nazis gelangten ihre Bücher auf den Index.
Während der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 ging der Peregrin-Verlag bankrott, und Jankew Seidmann nahm sich das Leben. Tom Seidmann-Freud erkrankte daraufhin an einer schweren Depression, von der sie sich nicht mehr erholte. Am 7. Februar 1930 starb sie an einer Überdosis Schlaftabletten. Ihre Mutter Marie wurde 1942 von Wien nach Treblinka deportiert und dort ein Opfer des Holocaust.
Hier nun einige Seiten aus ihrem Buch der erfüllten Wünsche:
Karls Zeichnung
„KARL, KARL, KARL,
SETZ DICH HIN UND MAL!“
Karl malt ein Haus mit Fahnenstangen,
ein Kind mit Flecken auf den Wangen,
einen Garten, einen Zaun,
einen Hund, besonders böse anzuschaun,
und oben links noch eine bunte Kuh,
dann klappt er seinen Farbenkasten zu.
Auf einmal wird das Ganze ganz lebendig,
im Hause raschelt es inwendig,
und aus dem Fenster schaut und nickt die Frau.
Die Fahnen flattern in dem Himmelblau,
unruhig läuft der Hund im Bild herum,
die Kuh frisst Gras und macht ein groß Gebrumm.
Das Kind mit seinen roten Wangen
hat eben erst zu spielen angefangen,
es trudelt seinen Reifen, wirft den Ball.
Da öffnet sich die Haustür auf einmal,
es kommt ein zweites Kind herausgelaufen,
mit einem Körbchen, um was einzukaufen,
ein Kätzchen blickt verstohlen um die Ecke,
und eine Ziege knabbert an der Hecke.
Von links kommt auch ein Wagen angefahren.
- VIER DINGE, DIE NOCH NICHT GEZEICHNET WAREN!
„KARL, KARL, KARL,
SETZ DICH HIN UND MAL!“
Das Haus in der Mitte der Stadt
In diesem Hause im Herzen der Stadt
wohnen nur Kinder ganz für sich allein.
Vorne grenzt das Haus an die Straße,
aber der Garten hinter dem Haus geht so weit,
daß kein Kind noch sein Ende gefunden hat.
Im Garten ist ein Sandhügel,
im Garten ist ein runder Teich mit Schiffen,
im Garten ist ein Spielplatz mit Schaukeln und Turngeräten und Wippen.
Da ist ein Ziegenwagen, in dem die Kinder kutschieren.
Bei den Beeten stehen Gießkanne, Harke und Schaufel.
Hund und Katze und kleine Kätzchen wohnen im Hofe.
Das Haus hat viele Balkone
und Zimmer mit Spielzeug
und Zimmer mit Musikinstrumenten.
Aber vorne grenzt es an die Straße:
man kann gehen und seine Mutter besuchen
und sehen, wie sie am Fenster sitzt, Ausschau hält
und die Strümpfe und Höschen flickt,
die beim Spielen zerrissen sind.
Gabriel wird ein Eichhörnchen
Zur Belohnung für Geduld und gute Taten
wurde Gabriel ein EICHHÖRNCHEN.
Und nun wohnt er in dem Fichtenwalde,
pflegt sein Herz mit Eichelnüßchen und mit Fichtenzapfen,
schwingt sich froh von einem Ast zum andern,
seinen Buschelschwanz als Steuer nutzend.
Nur vor FÜCHSEN, ILTIS, FALKEN, EULEN
hat er sich in acht zu nehmen,
und die Nahrung muß er selbst beschaffen,
für den Winter was zusammenraffen;
denn im Walde kann man gar nichts kaufen,
keine Milch und keinen Kuchen.
Gabriel muß in die Felder laufen
und die vollen Ähren suchen.
Gabriel muß ganz verstohlen
sich die Früchte von den Bäumen holen,
ihrer süßen Kerne wegen.
Danach kann er nestwärts flitzen,
schaukelnd in der Sonne sitzen
und sich Fell und Pfötchen pflegen.
Die Raumfahrt
Robert hat ein Schiff gebaut,
mit dem kann er im Weltraum fliegen,
schon sieht er Mond und Sonne liegen,
und Sterne mit Ringen und kleinen Trabanten.
Des Mondes Täler sind wie ein Gesicht,
da fürchtet sich der Robert nicht,
er fährt sehr dicht an ihn heran
und schaut sich ihn von der Nähe an.
Manche Sterne sind dunkel, manche licht,
die Landschaft ist zum Verwundern,
die Bäume erkennt er als Bäume nicht,
und Berg und Bach und Meer und Sand
sind anders, als er zu Haus gekannt.
Bei der Staatsbibliothek Berlin ist das Werk digitalisiert, hier der link dazu:
Auf dem Blog Yupedia - Fußnoten zur Geschichte ist ein sehr guter Artikel zu der Autorin zu finden:
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