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Samstag, 25. Februar 2023

Die Faszination der Else Lasker-Schüler

 



Die Faszination der Else Lasker-Schüler

Über diese Dichterin, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld (Wuppertal), gestorben am 22. Januar in Jerusalem, braucht man heutzutage kaum noch zu schreiben, sie ist weit bekannt, im Unterschied zu einigen ihrer Zeitgenossinnen, und sie ist verehrt. Doch zwei schriftliche Fundstücke möchte ich hier vorstellen.

„Else Lasker-Schüler polarisierte mit ihrem öffentlichen Auftreten, nicht selten beim Vortragen ihrer Gedichte, aber auch durch ihre zahlreichen Mystifikationen als Künstlerin die literarische Öffentlichkeit. Die Verve ihrer Modernität und eine bis dahin unerhörte Mischung aus Subjektivität, objektive Formkunst und weibliche Selbstbehauptung verschaffte ihr Gegner wie Anhänger.“, heißt es im Wikipedia-Artikel über sie.

Wie sehr sie zu begeistern wusste, dazu zwei Artikel über sie, einmal eine (jugendliche?) Schwärmerei von einem Prinz Floridor, der direkt dem Lasker-Schülerschen Märchenuniversum entstiegen sein könnte, und dann ein Bericht über eine Lesung, die sie 1913 in Prag veranstaltete.

Else Lasker Schüler

Else Lasker Schüler ist das Urphantom ihres tiefeigensten Inneren. Ihre ewig rätseldurchgeisterten Augen sind nun Blut und Weh. In ihnen schwimmen all´ ihre tausend Seligkeiten wie totverklärte dunkle Weisen still dahin. Ihre Rhythmen und Farben gebiert ihr Herz, wenn die leidtiefe Lust es packt. In ihren Träumen klang das Stöhnen eines südbraunen, schmerzreifen Weibs - das rieselt in ihren Versen, dass unsere Seele des Weinens kein Ende finde.

Sie hat eine Lustigkeit, die trägt die Träne im Schild. Ihr Lachen gellt uns das Herz entzwei.

All in ihrer Einsamkeit ist sie königlich. Schaut sie vom Turm ihrer Festung hinab ins Tal, blickt sie tausend gewaffnete Streiter des prinzlichen Winks warbend. Tritt sie vom Fenster zurück, sinkt sie müd zum Schlafen. Dies stille bläuliche Licht, das über ihr Tal sich gegossen, hängt nun schwer wie Tau an Lidern. Aber die Königswürde entflattert ihr nicht. Sie weiß, dass morgen die schwarzen Diener schwertürkischen Mokka an ihr Lager servieren.

Sie begütigt bis ins Kleinste. Unter ihren sanften schönheitsformenden Fingern erwacht und erblüht alles. Wir wollen Kinder sein, wenn sie uns führt. Seht, da steht sie - die Arme weit entstreckt: Da spricht sie: „Schaut, dass der Himmel blau, wußtet ihr längst. Aus welchen Farben sie aber dies Blau-, als umfingen Wunder und Frommheit einander -“

So lehrt sie uns sehen. Die geheimen Wunder die sich der Lauschender auftaten uns zuflüsternd. Selbst wunderdurchjagt.

Dankbar für dies und vieles und alles, was von ihr kommt, strecken wir stumm die Hände nach ihr aus. -

Prinz Floridor, aus: Die neue Jugend 1914, Erstes Heft 1914 Herausgegeben von Heinz Barger und Friedrich Hollaender

Else Lasker-Schüler als Gast in Prag

Gedämpft brennen die Lampen in dem wunderheimlichen schmalen Saal mit den weißen Stühlen, den vielen Nischen, in denen weiche Kanapes die Wand entlang lehnen, den geschliffenen Spiegeln in der Holzverkleidung und den interessanten Bildern eines jungen Prager Malers. Das blaue Licht der Luster steht auf Halbmast. Fahl ist es im Raum, wie wenn die Helle langsam sterben wollte. Nur auf dem Podium grelles Licht.

Man steht in Gruppen umher und plaudert. Viel junge Leute sind da. Studenten, denen ungestüme Jugend und Ideale, nach denen man sich heiß läuft, aus den Augen leuchten. Ein paar Leute, denen Vorträge hören Sport bedeutet. Literaten der neuesten Strömungen. Die alte Schule streikt offensichtlich. Der Gegenwart, dem tanzenden Jubeln des Jungseins, dem Rhythmus der neuen Zeit verschließt sie Herz und Ohr. Wenigstens soweit es Verse sind, die anders klingen, anderes zu sagen wissen als noch vor wenigen Jahren. Sie bleiben zu Hause. Was ficht die Zeit sie an! Das Genie ist ewig und zeitlos, und das Talent lebt ein kurzes Leben.

Damen in kleinen und noch kleineren Hüten. Mit einem ahnungsvollen Verstehen manche, voll Neugierde andere auf die Frau, der man nachsagt, dass sie Pfadfinderin sei auf Wegen, die bis heute der Mann allein gegangen, von der man die drolligsten oder besser tollsten Dinge zu erzählen weiß, und die sogar am Tage des Vortrages mit der Polizei ein kleines Recontre gehabt. (Sie sang den Mond an und die Sterne, spät nachts im Angesicht der alten ehrwürdigen Niklaskirche. Stellte sich in eine Nische, in der sonst nur Heilige stehen. Aber ihre tiefempfundene Andacht und ihrer Seele warmer Glaube hat keinen Passierschein auf Erden. Wenigstens keinen im Angesicht des Gotteshauses, im Angesicht der strahlenden Augen, die er hinabsendet zu den Menschen. Denn die Andacht hat ihre ganz bestimmten Formeln und Vorschriften, ganz so wie die Verse eigentlich, wenn es mit rechten Dingen zuginge in dieser Welt.)

Halb neun schlägt es, aber noch immer liegt sie im Künstlerzimmer auf der Ottomane und mag nicht kommen. Blättert in den Gedichtbänden. Schwankt. Weiß nicht was die wählen soll. Die Freunde machen Vorschläge. Das Publikum klatscht. Und endlich kommt sie herein. In einem Kleid, das des Himmels Blau trägt und zeitlos ist.

Wie ein trotziger Knabe steht sie oben. Hinter dem Pult. Nur den Kopf sieht man und den schlanken Hals. Die kurzen braunen Locken der Pagenfrisur rahmen ein merkwürdig interessantes Gesicht ein. Das einer russischen Nihilistin gehören kann. Oder einem Propheten. Noch eine kurze Pause – dann beginnt sie zu lesen. Mit halbem Mund, die eine Seite ist bewegungslos. Und mit jedem Wort baut sie eine neue Welt auf, gibt den Bildern, die im Lesen manchmal unklar grau erschienen, Helle und Leuchtkraft, gibt ihnen Leuchtkraft, gibt ihnen Tiefe. Gibt ihnen Klang und Farbe.

Aus ihrem Peter Hille-Buch liest sie Skizzen, die uns in eine fremde Welt führen, in einen weiten Schacht wo dunkle Quellen rauschend singen. Liest aus den »Hebräischen Balladen« und die halbvergessenen Legenden stehen auf in dunkelsatter Farbenpracht. Dann lässt sie einen Fakir seine Sprüche sagen, wie ein Lied singt sie sie hinaus in den Saal, mit tönender Stimme. Und der Stein am Finger, der die Farbe wechselt mit dem Himmel, scheint zu sprühen, färbt sich purpurn, wie die Stadt, von der sie erzählt, im Blute schwimmt.

Atemlos horchen alle. Wie unter einem Bann. Die Augen ihrer jungen Freunde- und Bewundererschar brennen ihr entgegen. Demut und Verehrung liegt in ihnen. Verehrung für die Frau, der sich der Stolz zugesellt, zu ihr aufsehen zu dürfen. Ihr zu folgen auf den dunklen Wegen ihrer Phantasie, der sie als Flamme ihr zuckendes Herz voranträgt.

Und spät, spät nachts durch meine Träume schon, zittern noch ihre verzweifelt-jubelnden Worte: tanze, meine späte Liebe, tanze! durch alle meine Nerven.

Marie Holzer (Prag), aus: Die Aktion. Jg. 3, Nr. 21 vom 21. Mai 1913.

Else Lasker-Schüler hatte am 5. April 1913 in Prag auf Einladung des »Klubs deutscher Künstlerinnen« gelesen.

Marie Holzer (geb. Rosenzweig; geboren am 11. Januar 1874 in Czernowitz; gestorben am 5. Juni 1924 in Innsbruck), Schriftstellerin und Publizistin. Sie war mit dem Armeeoffizier Josef Holzer verheiratet, mit dem sie zunächst in Prag, später in Innsbruck lebte, wo sie sich für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs engagierte. Nach einer langjährigen gewalttätigen Ehe wurde Marie Holzer von ihrem Ehemann ermordet.

Nachtrag: „Und spät, spät nachts durch meine Träume schon, zittern noch ihre verzweifelt-jubelnden Worte: tanze, meine späte Liebe, tanze! durch alle meine Nerven.“, die Worte, mit denen Marie Holzer ihren Bericht enden lässt, beziehen sich auf folgendes Gedicht:

Nachklänge

(Helene Herrmann, der ewigen Studentin)

Auf den harten Linien
Meiner Siege
Laß ich meine späte Liebe tanzen.

Herzauf, seelehin,
Tanze, tanze meine späte Liebe,
Und ich lächle schwervergessene Lieder.

Und mein Blut beginnt zu wittern
Sich zu sehnen
Und zu flattern.

Schon vor Sternzeiten
Wünschte ich mir diese blaue,
Helle, leuchteblaue Liebe.

Deine Augen singen
Schönheit,
Duftende ....

Auf den harten Linien
Meiner Siege
Laß ich meine späte Liebe tanzen.

Und ich schwinge sie –
„Fangt auf ihr Rosenhimmel,
Auf und nieder!“

Tanze, tanze, meine späte Liebe,
Herzab, seelehin -
Arglos über stille Tiefen . . .
Ueber mein bezwungenes Leben.

Else Lasker-Schüler, aus: Gesammelte Gedichte, 1. Auflage, Verlag der weißen Bücher, Leipzig 1917

Anmerkung: Helene Herrmann, „die ewige Studentin“, war Lehrerin und Literaturwissenschaftlerin, geboren 9. 4. 1877 in Berlin, ermordet am 10. Juli 1944 in den Gaskammern von Auschwitz Birkenau.

Das Foto zeigt Else Lasker-Schüler in ihrem geliebten orientalischen Kostüm als „Prinz Yussuf“ (1912)

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