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Sonntag, 5. Februar 2023

DADA war eine Frau

 


DADA war eine Frau
Ein denkwürdiger Tag vor mehr als 105 Jahren: Am 5. Februar 1916 war die erste Vorstellung des von Emmy Hennings und Hugo Ball in Zürich in der Spiegelgasse 1, unweit von Lenins Exilwohnung, gegründeten Cabaret Voltaire. Zuerst führte er mit ihr – fast allabendlich – simple, aber auch exzentrische Programme auf. Das war die Geburt von Dada. Sie sang Chansons und er begleitete sie auf dem Klavier. Emmy Hennings rezitierte zudem Gedichte – unter anderem eigene und solche von Hugo Ball. Nach ein paar Wochen lernte Ball den rumänischen Dichter Tristan Tzara kennen, der ebenfalls in Zürich lebte. Die beiden sympathisierten miteinander, da beide einen ungewöhnlichen Sinn für Geist und Anti-Geist besaßen. Er war also wie geschaffen für das Cabaret Voltaire. Als Tzara dann auch seine Gedichte rezitierte, unterbrach er sie oft selbst durch Schreien oder Schluchzen. Die Vorträge im Cabaret Voltaire wurden jetzt zunehmend durch Trommeln, Schlagen und Verwendung zweckentfremdeter Gegenstände, wie zum Beispiel leerer Kisten, ergänzt. Das Publikum reagierte zunächst sehr verwundert, ja eingeschüchtert.
1914 meldete sich Hugo Ball noch freiwillig zum Kriegsdienst, wurde aber für untauglich erklärt. Bei dem Besuch eines Freundes in Frankreich bekam er jedoch einen realistischen Eindruck von der Kriegsfront. Auch dass sich sein Busenfreund Hans Leybold im September 1914 nach einer schweren Verwundung vor der Rückkehr an die Front das Leben nahm, trug wohl zu seiner Kehrtwendung bei. Im Mai 1915 konnte ihn seine Freundin Emmy Hennings zur Emigration in die Schweiz überreden.
Die Schweiz war damals ein Sammelbecken für Kriegsflüchtlinge aus aller Herren Länder. Es gab zwei Brennpunkte der Emigranten: Zürich, wo René Schickele und andere pazifistische Autoren die „Weißen Blätter“ heraus brachten, und wo die noch radikaleren ihr Anti-Kunst-Programm im Angesicht des Krieges im Cabaret Voltaire auf die Bühne brachten; und in Ascona, rund um den Monte Verità, wo Karl, Jenny und Gusto Gräser die Kriegsdienstverweigerer versteckten und versorgten, die ihnen über die von dem Anarchisten Erich Mühsam gegründete Gruppe „Tat“ in München zugeführt wurden.
Über die Entstehung des Ausdrucks Dada gibt es verschiedene Mythen. Zu guter Letzt schloss sich Marcel Janco der Gruppe an. Er war jüdischer Rumäne wie Tristan Tzara. Beide bejahten in ihren Redeströmen des Öfteren mit „da, da“, was übersetzt eben „ja, ja“ heißt. Das kann ebenfalls der ausschlaggebende Punkt für Hugo Ball gewesen sein, diese Kunst „Dada“ zu nennen. Tzara, Huelsenbeck und Janco trugen im März 1916 das erste Simultangedicht vor. Es gibt unter anderem auch Hinweise darauf, dass Emmy Hennings den Begriff einführte. Wie dem auch sei, als Dada zu Dadaismus und damit zu einer ernstzunehmenden Kunstgattung mutiert war, hatten sich Emmy und Hugo längst anderen Gefilden zugewandt.
„Die wilden Monate zwischen Februar und Juni 1916 im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse Nr. 1, die rauschhaften Soiréen in der Galerie Dada an der noblen Bahnhofstraße in Zürich und die vielbeschriebene Geburt Dadas als Höhepunkt und Synthese sämtlicher avantgardistischer Bestrebungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Emmy Hennings war dies zeitlebens nur ein Lächeln wert.
Vor Dada hatte sie ganz anderes erlebt, war jahrelang durch deutsche Städte vagabundiert, hatte Sexarbeit und Gefängnis, Hunger und Drogensucht kennen gelernt und auf zahllosen kleinen und kleinsten Bühnen, auf denen sich Kunst und Leben bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander verquickten, getanzt und gesungen. Für die meisten ihrer männlichen Kollegen wurde Dada nolens volens zum zentralen Ereignis ihres Lebens. Für Hennings war es allenfalls eine flüchtige Episode, eine Art Kinderspiel“
Aus: Christa Baumberger und Nicola Behrmann - Emmy Hennings Dada, Scheidegger & Spiess, Zürich 2016
„Weder Arp noch ich noch gar Tzara gründeten das Cabaret Voltaire, sondern Ball mit seiner Frau Emmy Hennings. Es ist wichtig dies festzustellen, da die Nachlässigkeit und Bosheit der Publizisten die Tatsache der Gründung des Cabaret Voltaire wieder und wieder verzerrt haben . . . Emmy Hennings´ Einfluss war still, aber trotz seiner Unbemerktheit außerordentlich stark.“
Richard Huelsenbeck, aus: „Autobiographie“ (um 1953), Typoskript im Nachlass
„Das Wort Dada wurde aber im Februar 1916 wie Jesus Christus in einem Pferdestall geboren. In diesem Pferdestall . . . bewohnte mein Freund Hugo Ball mit seiner Freundin Emmy Hennings den oberen Teil . . . In diesem Mittelaltermilieu, gestört von dem eifrigen, aber sinnlosen Gehämmer eines Böttchers und von den Schlägen einer gewaltigen Kirchenglocke hauste mein Freund Hugo Ball mit Emmy Hennings unentwegt der Ewigkeit entgegen.“
Richard Huelsenbeck, aus: Dada siegt! (1920)
„Dada - das Wort stammt von mir und ich habs in einer Spielerei oft Hugo gesagt, wenn ich spazieren gehen wollte. Alle Kinder sagen zuerst >Dada<“
Emmy Hennings aus: Rebellen und Bekenner (1929)
„Ich habe eine Aversion gegen den Dadaismus gehabt. Es waren mir zu viele Leute entzückt davon. Es war nichts Rares und nichts Bares, weder Fisch, noch Fleisch und die Dadaisten haben ja selbst zuerst nicht gewusst, was es ist. Das ist ein Kompliment. Hätte man nur nicht zu früh mit der Interpretierung begonnen. . .“
Emmy Hennings aus: Rebellen und Bekenner (1929)
Das Bild zeigt das von Marcel Slodki entworfene Plakat zur Eröffnung des Cabaret Voltaire am 5. Februar 1916.

Marcel Słodki, geboren am 11. November 1892 in Łódź, war Maler, Grafiker und Bühnenbildner, er wurde nach dem 17. Dezember 1943 im KZ Auschwitz ermordet.

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