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Donnerstag, 16. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Der Garten des Dichters

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840  -  1916)

Der Garten des Dichters

Alles was in deinem Garten ist, findest du auch dort.

Die Bäume rauschen im Winde. Die Blumen blühen und duften. Das Licht spielt mit allen Dingen. Im Brunnen steigt und fällt das Wasser. Wege führen durch Schatten und Sonne zu fernen Winkeln, die voller Geheimnisse sind.

Die Stille ist da, und der schwirrende Flügelschlag zwischen Baum und Strauch. Es blühen alle Farben darin, und der blaue Rundbogen des Lichtes spannt sich zwischen seinen vier Winden wie ein seidenweiches Tuch zur Unendlichkeit der Ferne hin.

Ganz wie bei dir und mir.

Und doch ein anderes wird plötzlich der Garten, wenn der Dichter eintritt und mit seinen Sonnenaugen darüber hinblickt.

Unter diesem Blicke wandelt sich alles umher zu einem neuen Sein.

Der Raum, der wie ein Ring dich eng umschließt, weitet sich um ihn zur Unermesslichkeit, die an den Toren der Ewigkeit landet. Die Zeit, die unter deinen Schritten schmilzt wie neugefallener Schnee, hält ihren Atem an vor dem Lauschen seines Herzens und steht still vor dem suchenden Blick seiner Seele.

Die Wahrheit, die, in dichten Schleiern gehüllt, neben deinen Wegen geht, zeigt ihm ihr tiefstes Angesicht; in ihre seligsten Freuden und wehesten Schmerzen lässt sie ihn blicken, und mit eherner Hand rührt sie an die letzten Geheimnisse alles Wesens, daß er schaue und wisse und die Elemente des Seins sich mit seinem Ahnen mischen, daß die klingenden Worte seines Sanges ein Spiegel werden, in dem die Menschheit das Angesicht des Lebens findet. –

Im Garten des Dichters wandelt die Schönheit nackt und unverhüllt und der Glanz ihrer Herrlichkeit strömt über alle blühende Fülle umher.

Jedes Blatt und jede Blume, jede Farbe und alles Licht, alle Stille und jede Bewegung schimmern und tönen, leuchten und schwingen in diesem seligen Glanze.

Denn die Schönheit ist des Dichters heimlich Gespiel.

Sie baut ihm die goldnen Brücken, die ihn zu seinen Seligkeiten führen. Seligkeiten, die aus jeder tiefen Lust und allen einsamen Schmerzen gemischt, an die tausend Harfen rühren, die ihm im Blute rauschen, die seine Seele mit allem Weh und Leid des Daseins füllen und seines Blickes Rund zur Endlosigkeit des Schauens weiten.

So rührt die Schönheit in des Dichters Garten mit ihren königlichen Händen an jedes Blatt und jede Blüte, an alle Farben und jedes Licht, an die Tiefe der Sehnsucht und den klingenden Tanz der Töne, die den Garten des Dichters füllen, daß alles, ob es gleich allem dem in den Gärten aller Sterblichen ist, doch ein ganz Neues und Überseliges wird.

Ströme des Lebens rauschen darin.

Stimmen der Ewigkeit durchklingen ihn.

Die Tiefen der Weisheit raunen ihre Runen.

Aus den goldenen Brunnen der Freude rinnen selige Töne in die spielenden Lüfte.

Aus dem Dunkel der schweren Schatten starren die Augen des Schmerzes und suchen die Blicke des Dichters und harren, daß er ihn aufnehme in seine wissende Seele und seine dunkle Schwere hell und leicht mache durch den Sang der Weisheit, der in seinem Herzen blüht.

So nimmt der Dichter aus der Tiefe der Schönheit die Wurzeln seiner Kraft, die alle Bitterkeit der Tage und alles Weh der Nächte zu göttlichen Melodien bindet und aus der quälenden Unrast und schmerzhaften Sehnsucht aller Kreatur den Weg zur Lust der letzten Stille findet, in der sich die tausendfach gebrochenen Strahlen des Lebens zu dem weißen Lichte ewiger Harmonien sammeln. Dies alles aber, dies Werden und Wandeln, diese Abgründe und Seligkeiten, all der Rausch und Traum, von dem der Garten des Dichters übervoll ist wie ein Becher glühenden Weines –

All das sieht nur sein Auge.

Erkennt nur sein Herz.

Antwortet nur seiner Seele.

Darum kann wohl ein anderer der Sterblichen, der neben ihm wandeln würde, verwundert um sich schauen und voll Staunen fragen, wo ist all das, das sein Auge so strahlen, seine Stimme so voll Rausch und Seligkeiten macht? –

Sehe ich doch nichts anderes hier als in meinem eigenen Garten. Er aber geht wie ein Seher umher, und sein Angesicht leuchtet wie von fernen Morgenröten.

Denn in dem Garten des Dichters tönt und klingt die goldne Weltharfe, auf der Traum und Wahrheit, Zeit und Ewigkeit, alle Seligkeit und jeder Schmerz, Weisheit, Glaube und Liebe ihre Lieder der Tiefe singen.

Und von dieser heiligen Harfe nimmt er sie in das Glühen seiner Seele und gibt sie dir und mir und der Menschheit, daß sie an ihnen froh werde und erdentbunden zu fernen Höhen steige.

Lausche auf seine Lieder.

Vielleicht, daß sie dir die goldnen Schlüssel geben, die zu den Geheimnissen deines Gartens führen, die du noch nicht gefunden hast und die darin dein warten.

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