Selig nehmen
"Geben
ist seliger denn nehmen", dieser Satz ist bekannt, selbst
Menschen, welche nicht gerade bibelfest sind. Es scheint auch
irgendwie ein geheimes Einverständnis unter den Menschen zu sein,
dass dieser Satz eine echte Tugend in sich birgt. Der Gebende, der
den Armen gibt, die Reichen, die zwar nicht durch das Nadelöhr in
das Himmelreich kommen, doch sich durch seliges Geben einen Teil
davon erwerben können.
Ja,
erwerben. Denn: Wenn geben seliger denn nehmen ist, was ist dann mit
der Seligkeit der Nehmenden? Müssen sie sich dankbar mit den
Brosamen zufrieden geben, welche ihnen gegeben wurden, weil, durch
welche Umstände auch immer, sie in die Position der Nehmenden
gelangt sind? Und ist der Preis für das Nehmen nicht etwas hoch,
wenn dadurch Seligkeit verloren geht? In Zeiten anwachsender Armut
und in den Ohren von Hartz IV (oder neuerdings Bürgergeld) -
Empfängerinnen und - Empfängern muss dieser Satz eigentlich zynisch
klingen.
Kaum
jemand ist gerne in dieser
Situation des
Nehmenden, und muss sich dann noch auf der Unseligeren Seite der
menschlichen Gesellschaft wieder finden. Eigentlich ist solcherart
Nehmen doch ein Geschenk der Nehmenden an die Gebenden. Wenn die
letztlich dadurch mehr Seligkeit erhalten, wer gibt und wer nimmt
denn eigentlich?
Mir
ist noch kein Mensch begegnet, der nicht irgendetwas zu geben hätte,
und sei es ein Lächeln, einen lustigen Witz oder das Wissen, wie man
eine festsitzende Schraube löst. Gibt es denn in einer funktionieren
menschlichen Gemeinschaft nur die Seligkeit der Gebenden und die,
welche nehmen? Selig ist das Nehmen und Geben, und ein jede und ein
jeder Nehme und Gebe mit Freuden.
Diesen Artikel schrieb ich im Oktober 2013, ich hab ihn wieder herausgekramt, da sich meine Einstellung zum Geben und Nehmen nicht geändert hat. Damals endete er so:
Ich nehme mir für heute frei und erfreue mich am milden Herbst und einen lustigen Nachmittag mit meinem Sohn. Der gab mir schon so viel im Leben, dass ich mich als Nehmender wahrlich selig fühle. Und: Es gibt eine Vielzahl Menschen in meinem Leben, bei denen ich so fühle.
Heute ist mein Sohn ein erwachsener junger Mann, und er gibt und nimmt immer noch. Die Illustration zeigt übrigens eine Delfter Kachel, wohl aus dem 19. Jahrhundert, die vormals im Treppenhaus meiner Großeltern die Wand schmückte, zusammen mit vielen anderen. Als Kind habe ich in diesem Treppenhaus oft gestanden und mir die vielen Bilder angeschaut.
Selig nehmen
Wie mich der Garten still umfing,
als die lange Nacht zu Ende war.
Beruhigend grün im Morgensonnenschein.
Ein leiser Wind fuhr durch mein Haar.
Blüten glänzend aus der Wildnis,
die sich wuchernd aus sich selbst gebar.
So übernahm ich das Vermächtnis,
während ich die Bäume lächeln sah.
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