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Dienstag, 14. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Der unsichtbare Garten

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Bild ist von Odilon Redon ( 1840  -  1916)

Der unsichtbare Garten

Das heißt, der Dichter sieht ihn.

Er liegt im Herzen einer Mutter und wächst darin und wird täglich schöner und reicher.

Die Mutter hat ein liebes krankes Kind.

Und für dieses Kind sucht sie einen Garten, in dem seine Seele blühen und sich freuen kann.

Da es im harten, tätigen und bewegten Leben der Gesunden keinen Platz haben kann, schafft ihre traurige Liebe ihm ein Reich der Freude, wo seine schmerzliche Gebundenheit sich an den Träumen der Schönheit zur Freiheit der Seele lösen kann.

Und die Mutter geht suchend umher und späht und forscht zwischen Höhen und Wegen und lugt in alle ruhenden Gärten und fragt sie alle – Seid ihr schön genug für mein krankes Kind?

Doch keiner will ihr gefallen. Und sie sucht weiter und läßt dabei in ihrer Herzenstiefe den Garten erblühen, den sie mit ihrer Seele sucht und nimmt ihr krankes Kind da hinein und zeigt ihm alle seine Herrlichkeit und Pracht.

Die Türe öffnet sich, und sie treten in einen Laubengang, wo es grüngolden leuchtet durch das sonnenwarme Gezweig. Auf den Wegen liegen die rundlichen Schatten der Blätter und spielen im Sommerwinde, und die rankenden Blüten des Gaisblatts fallen dicht und duftend zu ihnen herunter.

Die können gar seltsame Märchen erzählen, sagt die Mutter. – Und das Kind lächelt sanft und scheu, wie kranke Kinder zu lächeln pflegen.

Und sie führt es weiter in den Garten, den sie mit ihrer sorgenden Liebe für das Kind aufbaut.

Über goldflimmernde Kieswege zwischen grünen Rasenplätzen, die voll süßduftender Blumen sind, wandeln sie.

– Sieh, hier mache ich dir ein weiches Lager, mitten hinein in diese lieblichen Blumen, schau hin, wie sie dir winken und zunicken, sie plaudern mit dir und läuten mit ihren Glöcklein, und die Bienen summen dazu, und das ist ein gar feines Wiegenlied, und meinem Kindlein fallen die Augen zu und es schläft zwischen Sonnenlicht und Blumenduft einen festen Schlaf, und allerlei bunte Träume kommen zu ihm und machen es froh und glücklich.

Wenn du erwachst, spielen blaue und weiße und gelbe Schmetterlinge mit dir, und du lachst und greifst nach ihnen – aber sie lassen sich nicht fangen und tanzen weiter über die sonnige Wiese hin.

Nun möchtest du wohl auf dem weißen Stühlchen sitzen an dem weißen Tischchen? Dort schaust du zu dem plätschernden Brunnen hin, der gerade vor dir unter einer hängenden Weide liegt. Schau, wie der silberne Strahl zur Sonne steigt, und dann fällt er in tausend glitzernden Tropfen wieder in den kleinen See zurück. –

Ja ja, auch einen Schwan sollst du haben, einen ganz silberweißen mit einem langen Hals, der sich so schön biegt, ja ganz wie in deinem Märchenbuch, Liebling, und wenn du genau hinsiehst, hat er auch ein goldenes Krönchen auf seinem Köpfchen. Und im Weiher sollen auch die großen, weißen Blumen schwimmen, von denen ich dir die schöne Geschichte erzählt habe.

Aber nun scheint dir die liebe Sonne zu hell in die Äuglein. Komm dorthin zu dem schattigen Laubengang. Und sieh, wie die blühenden Rosen durch das weiße Gitterwerk herunterklettern. Rosen, wohin du schaust – rosa, ganz zarte, so zart wie die Wänglein meines Kindes.

Und sie kommen alle zu dir.

Leg dich auf dein Lager und höre, was sie dir erzählen. Ganz anderes sagen dir sie als das Gaisblatt dort am Eingang und auch anderes als die bunten Wiesenblumen. Höre nur hin und fühle, wie sie duften, und die Blättlein, die sie auf deine Hände fallen lassen, wie lind und sanft sind sie, wie der weichste Samt in alten Königsschlössern. Und von Königinnen und Prinzessinnen wissen sie die schönsten Geschichten, denn sie sind von vornehmer Art und sehen selbst aus, als seien sie verwunschene Königinnen und Märchenprinzessinnen.

Wenn die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel steht, gehen wir zu dem großen Beet dort in der Ecke.

Und du holst dir ein Körbchen voll von den schönen roten Beeren, die so köstlich duften und so herrlich schmecken. Weißt du noch, erst waren es schöne, weiße Blüten, die wie Kronen am Stengel standen, und die heiße Sonne küsste sie, da wurden aus den weißen Blüten die roten, süßen Beeren; wo die goldene Sonne küsst, wird alles süß und reif.

Leg dich in die liebe warme Sonne, lass dich küssen von ihr, mein Liebling, so wird dein weißes Gesichtlein bald rote Rosen haben.

Aber sieh dort: Nun sagt uns die Sonne Lebewohl.

Schau, wie golden der Himmel wird. Hinter den Bäumen fließen Ströme von rotem Gold, die Wolken stehen wie glühende Berge am Himmel, wie ferne Schlösser sehen sie aus, wie Feenschlösser, die aus Feuer und Purpur gebaut sind.

Und nun läuten die Abendglocken.

Leb wohl – leb wohl, singen sie.

Träum süß – träum süß. –

Und du wirst fest schlafen und gute Träume haben, mein Kind.

Die reine Luft und die warme Sonne, die duftenden Rosen und die grünen Bäume haben dir alle von ihrem Leben gegeben, das trägst du nun heim in deinem Herzen und du wirst schlafen und träumen und so froh wirst du aufwachen morgen. –

Und morgen ja – ja – da kommen wir wieder her zu unserem Garten, der so reich ist an heiligen Gottesgaben, die sie all meinem Kinde in den Schoß schütten. –

So geht die Mutter mit dem kranken Kinde in den Träumen ihres Herzens durch den Garten, den sie mit ihrer Seele sucht.

Und am Tage sucht sie weiter. Schaut in alle Ecken und Winkel und späht und forscht zwischen Höhen und Stegen und lugt in alle ruhenden Gärten und fragt sie alle – bist du es, den ich suche – bist du schön genug für mein krankes Kind? –

Und so trägt sie den unsichtbaren Garten in ihrem Herzen, den nur das Auge des Dichters sieht.

Und sie wird noch lange suchen, denn so schön, als sie ihn braucht für ihr krankes Kind – ist er nicht leicht zu finden.

Aber sie wird ihn finden, weil sie ihn mit dem Willen der Liebe sucht.

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