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Montag, 13. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Von den Gärten / Der arme Garten

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Foto zeigt eine Malerei an der Einfahrt des Verein der Gartenfreunde am Mittelwischweg e. V. Bremen, aufgenommen 2011

Von den Gärten

Trunken von Sonne und Erdenschöne kehre ich heim von meinen Wegen, die mitten durch die prangende Herrlichkeit stiller Gärten führen. Ich will euer Lob singen, ihr Gärten, ihr Gottesgaben, dem Sterblichen gegeben zu tiefer, süßer Lust, zu seliger Einkehr in sich selbst, zu heiliger Ruhe, die den Frieden kennt.

Wo anders kommt die Stille dir so nahe wie in deinem Garten, wo du nur dich und das deine fühlst und dein Sinn mit allem Naturgeschehen sich geheimnisvoll verbindet und du mit Werden und Sein täglich neue Nähen feierst. Hier schaust du in die Stille wie in einen tiefen Brunnen, in dem unausschöpfbar selige Quellen rauschen.

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.

Drinnen ist Ewigkeit. Sie nimmt dich in ihre Weite, und in ihrer Unendlichkeit ruht deine Seele aus von Raum und Zeit und findet heim zu sich selbst, erkennt sich wieder und nimmt sich selbst in Besitz.

Was dir auch das Leben tat. Was es an dir verbrach und zerbrach – hier wird es hell, und neu, und selig genesest du zu deiner eigenen Reine und Stille zurück.

Denn hier ist nicht Leben, hier ist Sein.

Das Sein, aus dem all Leben kommt, zu dem all Leben mündet, an dessen heiliger Schwelle du dich als Einzelwesen aufgelöst fühlst in die Ewigkeitswellen tiefster letzter Erkenntnisse. Weltfern und erdennah bist du und aufgetan wie ein leuchtender Spiegel jeder sanften Stille, die aus dem Meere flutender Schönheit an die Ufer deiner Seele rührt.

Du spielst mit dem dinglosen Sein, und die bangsten Rätsel des Lebens lösen sich von ihrer Schwere und binden sich mit Schatten und Licht, mit Wolken und Duft, mit jedem seligen Scheine, zu dem die große Stille alle Wirklichkeit erlöst, zu jenem Rausch von Sicherheit und Kraft, in der du dich und das andere in tiefster Lust erfaßt und erkennst. –

Das tut dir dein Garten.

Und jeder Garten tut so dem, der ihn liebt.

Jedem nach seinem Sein gibt er seine besondere Fülle.

Je nach der Höhe deiner Art öffnet er dir die Tiefen der Erkenntnis und Schönheit. –

Und so spiegelt jeder der allerlei Gärten, durch die ich, trunken von Sonne und Erdenschöne, hinwandele, ein ander Angesicht wieder. Wenn ich in einen Garten schaue, sehe ich das Antlitz dessen, der in diesem Garten waltet, und das Bild seines Wesens wird mir bekannt.

Ich will erzählen von einigen Gärten, die am Wege blühen, aus deren versonnener Stille und heimlicher Verschwiegenheit tausend klingende Stimmen zu mir reden von den Herzen und Händen derer, die hier ihre stillsten Träume suchen und ihrer Sehnsucht Fernen zur Nähe zwingen.

Jeder spricht eine andere Sprache und verrät in seinem tiefen Schweigen die letzten Dinge unserer Seelen.

Und von Gärten will ich erzählen, die ich an meinen Lebenswegen fand, die wie Tempel der Schönheit des Menschen Schritte begleiten und ihre Seelen zur Andacht der Stille verführen, zur heiligen Stille, die die Brücke zu den fernen Geheimnissen des Lebens ist.


Der arme Garten

Der arme Garten.

Doch nein, ein Garten ist immer reich.

Schaut nur hinein in sein Blühen in allen Winkeln und die goldene Sonne auf allen Büschen und Bäumen.

Nein, der Garten ist nicht arm, aber der, dem er gehört, ist es.

Doch nein. Wer je einen Garten zu eigen hat, ist nicht arm, denn er hat viel und überviel an jedem lichten Schein, an Blühen und Duften, am Spiel der Schatten und Flattern der Vögel.

So kann ich ihn nicht arm nennen.

Und doch ist es kein Garten des Reichen.

So will ich doch lieber der arme Garten sagen, denn er ist immer noch reich genug, um es mir zu verzeihen. –

In diesem, kleinen grünen Raum ist's gar lauschig und froh. Alles steht bunt und dicht beieinander, es ist gar wenig Platz, und nichts kann sich so recht breit machen. Nur der Apfelbaum steht mitten im Raum wie ein König und breitet seine Äste weit über das blühende Wiesenstücklein, auf dem das allerlei Blühende ihm zu Füßen liegt wie die Untertanen dem Könige, und sie senden ihren Duft und ihre Schönheit zu ihm auf und winden und wenden sich im spielenden Sommerwinde, daß er seine Freude an ihrem Wiegen und Wehen hat.

Ja, der schöne Apfelbaum ist der König dieses Gartens.

Wie sind seine Äste voll roter, lachender Früchte, Ast auf Ast ab sitzen sie einander gegenüber, vorsichtig sich gegenseitig Platz machend, daß keiner den andern stört, immer größer und schöner zu werden in dem heißen Sonnenbade. Und wenn der Wind kommt, ducken sie sich zusammen, daß ja keiner vorzeitig abfalle, damit die gütige Frau, die sich ihrer so freut, nicht traurig wird um sie, wenn sie zu früh im Grase liegen.

Man kann sie fast zählen, so deutlich sitzen sie an den Zweigen, und ich glaube, die gute Frau hat sie auch gezählt und die Äpfel machen ihr diese Freude so recht bequem.

Da sind auch noch einige Büsche am Zaun entlang. Rote Beeren leuchten im grünen Laub, und auch diese sieht man so deutlich, weil der Raum so klein und der Büsche so wenige sind; so sieht es aber viel reicher und üppiger aus als im stolzen Garten nebenan, wo man vor lauter Gebüsch kaum zu den Beeren schaut.

Und all die vielen kleinen Beete, reinlich und von guter Hand liebevoll behandelt, stehen sie da und halten die schönsten Dinge feil, daß einem ganz leckerhaft zu Sinne wird.

Salat und Möhren, Zwiebeln und Lauch, duftende Kräuter die Menge, alles eilt sich und wächst und gedeiht und steht voll fröhlichem Lachen im Sonnenblust und freut sich auf den Augenblick, da die gute Frau herein kommt; und dann lachen sie sich gegenseitig an, die gute Frau und all das Grünzeug umher, sie kennen einander gut, hat sie doch täglich bei ihnen an der Erde gekniet und sie sorgsam und linde gehütet vor allen Übeln, die Unkraut und feindliches Getier ihnen zufügen wollten. Und am Zaun entlang laufen geschäftig die roten Blüten der Bohnen und die weißen der Erbsen, hinauf und hinunter, daß der Zaun fast wachsen möchte, um ihnen Raum zu machen und der guten Frau eine reiche Ernte zu bringen. Auf und ab laufen sie und fangen einander und spielen mit einander, so daß kaum mehr eines der Gewinde weiß, ob dies seine eigenen Blüten sind oder die des andern. Und in den vier Winkeln des Gartens stehen hoch und stolz vier Sonnenblumenstöcke; mit ihren großen, tiefen Sammetaugen blicken sie über den Zaun hinaus in die Welt umher und träumen von der Ferne und der Sehnsucht und erzählen denen unten, die ihnen kaum an die Knie reichen, die Märchen, die sie da draußen erlauschen.

Und so sauber und fein die gute Frau ihren Garten hält, etliche Ecklein stehen doch voll süßen Unkrauts. Sie tut, als sähe sie es nicht und freut sich im stillen seiner Angst, wenn sie an ihm vorübergeht und es verstohlen zu ihr hinblickt, ob sie ihm wohl noch einen Tag des fröhlichen Lebens im sonnenwarmen Garten lassen wird. Aber es braucht keine Angst zu haben, all dies unordentliche bunte Geblüh ist der guten Frau allerheimlichste Lust. Sie darf es all das andere liebe Gezeug ja nicht merken lassen, das da so treu und fromm wächst und gedeiht zu ihrem täglichen Gebrauch – aber diese Winkel voll unnützer Buntheit liebt sie mit einer ganz besonderen Liebe; und ich glaube, wenn es nicht von selbst so üppig immer wieder heranwüchse aus der lachenden Erde, würde sie heimlich einigen Samen der Wildlinge ausstreuen aber ganz heimlich, daß es der Apfelbaum und all die übrigen braven Dinge nicht wissen würden, denn sie könnten ihr böse werden, und plötzlich aufhören, für sie zu wachsen und Früchte zu tragen.

Ach da ist ja auch noch ein kleines, ganz kleines Kartoffelbeet mit leuchtenden Lilablüten und kleinen gelben Flämmchen darin, und über den Zaun hängt ein schwerer Vorhang blühenden Goldregens aus dem Nachbargarten herein. Und es ist ein Gesumm und Gebrumm von Bienen und Hummeln zwischen all dem Grünen und Blühen.

Die schwebenden Farben der Schmetterlinge spielen über dem blühenden Gewirr und sehen selbst aus wie Blüten, die sich vom Stengel lösten. Der sanfte Hauch ihrer wundersam leichten Bewegungen ist wie das letzte Ausatmen der sommerlichen Schönheitslust. Ringsum zwitschert es und flattert es von jungen Vogelstimmen und schnellen Vogelflügeln.

Und in der Dämmerung sitzt eine Nachtigall im Nebengarten in den hohen Bäumen und singt über all die Gärten hin ihre göttlichen Gesänge, und da wird es überall still, und ein tiefes, seliges Schweigen liegt auf Baum und Strauch und allem Blühen, und der kleine Garten hat seinen Teil an diesem Feste wie all die andern umher.

Und dieser Garten sollte arm sein –

Nein, nein. Eine Last von Schönheit trägt er.

Eine Welt von Stille, Frieden und Lust lebt und atmet in ihm.

Des seligen Segens voll ist dieser enge Raum. –

Und die kleine Türe knarrt.

Die gute Frau tritt ein.

Es ist Abend. Die Arbeit ruht.

Das Feierliche in ihr will seinen Sabbat haben.

Und so tritt sie in ihren Garten. Ihr Eigentum. Ihre Freude, ihre tiefe Lust, ihr Dank, ihr Glück, ihr Gebet.

Sie weiß das alles nicht so mit Namen zu nennen.

Aber wenn sie nun hinsinkt auf das enge Bänklein unter dem abenddunklen Apfelbaum, müde von des Tages Last und Lebens Schwere, da löst sich etwas auf in ihr, und es wird frei und leicht und schwebend in ihrer Seele, und es ist wie ein Lied in ihr, ein Lied, das zum Himmel reicht und die Erde küßt und wie ein Licht mit ihr geht, wenn sie zu ihrem ärmlichen Heim zurückkehrt. –

Nein die gute Frau ist nicht arm.

Und der kleine Garten auch nicht.

Wem ein Garten gegeben ist, ist immer reich.

Denn der kleinste Garten kann voll des schwersten Segens sein – je nach dem Herzen, der sein hütet.


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