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Samstag, 18. Februar 2023

Von den Gärten der Erde - Elisabeth Dauthendey: Der Garten des Anfangs

 


Zum Beginn des neuen Gartenjahres: Ich möchte Auszüge aus einem Buch vorstellen, dessen Titel mich sofort ansprach, zumal mir die Schriftstellerin bekannt war: Von den Gärten der Erde - Ein Buch der tiefen Stille, von Elisabeth Dauthendey, Schuster & Loeffler, Berlin 1917

Spannend für mich ist auch das Erscheinungsjahr dieses Buches: 1917 - Es ist ein Kriegsbuch, auch wenn der Weltkrieg (damals wussten sie es noch nicht, dass es der erste sein sollte) dort nicht vorkommt. Es ist sowohl Sehnsuchtsbuch, das sich von der unerträglichen Welt abwendet, zugunsten eines kleinen, stillen Paradieses. Es ist jedoch auch ein Buch, das Stimmungen beschreibt, die ein Garten auslösen vermag, unabhängig von den Zeitläuften. Gerade ich als Gärtner weiß das. So mein Tipp: Dieses Buch mit in einen realen Garten nehmen, und zwischen den Gartenarbeiten sich ab und zu auf die Banke zu setzen, um darin zu lesen. Dann kann geschehen, was in diesem Buch beschrieben steht:

Hier steht die Zeit still. Vor den Pforten deines Gartens lässt du sie zurück.“

Elisabeth Dauthendey, geboren am 19. Januar 1854 in Sankt Petersburg; gestorben am 18. April 1943 in Würzburg. Erfolgreich war sie vor allem mit ihren Märchen und Novellen, die eine mythische bis mystische Phantasiewelt entwarfen. Ihr Halbbruder war der Dichter Max Dauthendey.

Als „Halbjüdin“ drohten Elisabeth Dauthendey ab 1933 Berufsverbot und Verfolgung durch die Nazis. Sie versuchte dieser Gefahr mit konsequenter schriftstellerischer Enthaltsamkeit zu begegnen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die letzten Lebensjahre waren deshalb von erheblicher finanzieller Not gekennzeichnet. Sie starb in ihrem neunzigsten Lebensjahr.

Das Bild ist von Odilon Redon (1840  -  1916)

Der Garten des Anfangs

Im Anfang war der Garten.

Und die blühende Schönheit war ohne Ende.

Zwischen Himmel und Erde stand süß und heilig die große Stille, an der alle Töne des Seins zu schwingenden Harmonien wurden. Das Leben glühte und blühte da in überwältigender Herrlichkeit.

Farben und Düfte lagen wie Flammen über der Erde.

Tausendfach war das Grün der Haine.

Tausendfach die Form der blühenden Lust umher.

Zwischen Licht und Schatten hingebreitet schwebten alle seligen Träume des schaffenden Gottes.

Auf den singenden Wellen der Wasser schwamm das Chaos der Töne, die in den Herzen der nippenden Vögel zu tausend seligen Liedern wurden.

Heiß, in überströmender Fülle standen alle Becher des Lebens voll süßer Lust hoch bis zum Rande.

Tag und Nacht küssten einander in seligen Freuden.

Nichts wurde alt in diesem Garten.

Nichts starb darin.

Das Leben hatte den Tod noch nicht gesehen.

Und in diesen Gefilden der Seligkeit wandelte der Mensch.

In seiner gottreinen Seele ruhte alles Leben umher wie in einem Spiegel.

Alle Schönheit wurde zu strahlendem Licht in seinen Augen, und alle flammende Werdeglut brandete an sein Herz und entzündete die Fackel der Liebe darin.

So wandelte er in weißer Unschuld durch alle Farbengluten des Lebens. Und die Liebe in ihm verstand alle lohende Lebenslust umher.

Frieden war in seinem Herzen.

Er kannte nur Leben.

Die Nacht hatte keine Schrecken für ihn.

Seine Tage waren eine Unendlichkeit an Schönheit.

Sein Blut sang die seligen Melodien des Lebens mit.

Der Garten war der Kreis der Ewigkeit, in dem seines eigenen Wesens Ring selig verkettet war.

So ruhten ihm seine Tage und Nächte auf dem Wellenspiel der Freude.

Und seine Seele badete in den schwingenden Harmonien, die von der goldenen Harfe des Seins, die mitten im blühenden Garten stand, in alle Weiten strömten.

Aber der Tag kam, da er plötzlich den Tod erkannte.

Denn Schuld und Reue kam über seine Seele.

Das Licht der Schönheit erlosch.

Die Nacht wurde finster für ihn und der Tag voll Schrecken.

Und zwischen ihm und dem Garten der Seligkeit stand das Schwert des Schmerzes. Das Leben veränderte sein Angesicht gegen ihn.

Die Harmonien verstummten.

Und leer und öde war sein Herz.

In neue Fernen führte nun sein Weg.

Er selbst musste suchen und finden, das Leben hatte alle selige Bereitschaft für ihn verloren.

Zu Kampf und Sieg zog er aus. Mit schweren Füßen und müden Händen musste er sich jeden neuen Tag zu seinen Diensten zwingen. Und seine unruhigen Nächte waren von Traum und Tränen erfüllt. Aber im tiefsten Grunde seines Wesens trug er immerfort die Erinnerung an die singende Seligkeit jener Gefilde des Friedens, die ihm nun für immer verloren waren. Und neben dem Schweiß seiner Tage und der Unruhe seiner Nächte, neben Kampf und Siegen, Höhen und Tiefen seines bitteren Daseins sang leise die tiefe, zehrende Sehnsucht in ihm nach jenem Garten des Friedens.

Und Gott sah, wie elend und arm der Mensch geworden, da ihm die Schönheit des Friedens genommen war.

Und er erbarmte sich seiner und ließ den Traum seiner Erinnerung in ihm so stark werden und die Sehnsucht nach dem Verlorenen so schmerzhaft, daß er eines Tages anfing, sich ein Bild zu machen, das jenem Glücke ein wenig ähnlich war.

Aus der tiefen Sehnsucht seines arm gewordenen Herzens wurde dem Menschen der Garten geboren.

Und als er erst einmal diesen Traum ergriffen und in die Öde seiner Wirklichkeit gezwungen hatte, kam ihm eine so selige Beglückung aus dem Bilde, das aus Erinnerung und Sehnsucht gewoben war, und das seiner müde gewordenen Seele neue Flügel gab, daß er sich wieder in das Land der Freude schwingen konnte und Lied und Lust wieder zu seinem Herzen kamen.

In seinem Garten findet der Mensch zum Paradiese zurück. Er vergisst für Augenblicke, daß das Schwert des Schmerzes zwischen ihm und dem verlorenen Glücke steht, das ihm in jenem seligen Gefilde einst in strömender Fülle blühte.

Ja, jeder Garten ist eine sanfte und süße Erinnerung an das Paradies, das den Anfang der Menschheit sah.

Deshalb wird es dem Menschen so warm und froh im Herzen, wenn er in seinem Garten wandelt und ruht.

Vor seiner Tür lässt er alle Angst und Qual des harten Tages, und Glaube und Hoffnung kehren ihm hier wieder.

Und selig frei von Ketten und Lasten, mit denen das Leben den Alltag seiner Seele bindet und verdirbt, erkennt er sich selbst im Spiegel des Friedens, den er tief verborgen in seinem Garten findet. Eine Lüge nach der andern fällt ihm hier von seinem Wesen ab, und er wird frei zu allem Besten in ihm.

Sein Garten gibt ihm die Stille der Wahrheit und die Tiefe der Ruhe, an die alte Erkenntnis gebunden, aus der alle Reife blüht.

Alles Letzte und Tiefste in ihm erwacht ihm hier, und je länger und dringender er seinen Garten liebt, je mehr kommt jenes Neue und Ferne zu ihm heran, das er mit banger Sehnsucht so lange suchte und das die Vollendung alles dessen ist, was aus Ewigkeiten her seines Wesens Wege und Ziele sind.

Berauschender Geheimnisse voll ist sein Garten dem, der ihn mit seiner besten Liebe liebt. Hier wird ihm das Leben erst zu Leben. Und trunken von Traum und Erkenntnis wandelt er neu im Paradiese und findet allgemach die fast verloschenen Wege zu den rauschenden Quellen des Glückes zurück, von denen ihm Traum und Sehnsucht so schmerzvoll erfüllt blieben. –

Deine ruhende Welt ist dir dein Garten.

Und der Ring der Liebe zu denen, die du als die deinen erkannte, schließt sich dir hier zu einem heiligen Kreise.

Was du hier in tiefer Liebe umfassen kannst, ist wahrlich dein. In deinem Garten weicht aller Lüge und Schein und was bleibt, ist du und deine Wahrheit.

Und immer schmerzhafter wird die Sehnsucht der Menschen nach ihrem Garten werden, je mehr ihr äußeres Leben in Schein und Leere sich verliert.

Eine Türe zu wissen, die zwischen dir und dem Zwange zur Entfremdung von dir selbst steht. Eine Stille, die dich von all den falschen Tönen trennt, welche die heilige Melodie des Seins zerreißen. Eine Fülle reiner Seligkeiten, welche die traurige Armut da draußen vergessen lassen –

Das heißt ein heimlich Paradies haben, in dem du alles Göttliche in dir aufblühen und erglühen fühlst.

In jedem Garten wird die beste Sehnsucht eines Menschen zur Erfüllung. Darum gehe an keinem vorüber, der dir offen am Wege steht.

Tritt in jede Türe eines Gartens, die unverschlossen blieb, und hole dir einen Trunk aus dem Paradiese, der dir bis in die Wurzeln deines Wesens zur Labung wird.

Fühlst du, wenn du eintrittst, wie plötzlich dein Herz in dir so seltsam still wird. Wie dein Auge aufleuchtet in tiefer Ergriffenheit und ein Hauch des Friedens über die Unruhe deiner Seele geht?

Und wie alle Farben, alles Duften und Blühen umher zu dir redet, dich halten und locken will zu seiner rührenden Schönheit, zu seiner sanften Stille, zu all den heimlichen Rätseln, die aus seinem scheinbar so strengen Kreise der Einfachheit tausendfach hervorbrechen.

Und schwer wirst du zur Schwelle zurückfinden, wenn du eintratest. Denn jeder Garten hat ein ander Angesicht, in das zu schauen eine tiefe Wonne ist.

Erkennen wirst du auch den, dem er gehört.

Und oftmals wirst du dessen Seele heimlich grüßen und einen Hauch seines Wesens mit fort nehmen, auch wenn du nie sein leiblich Angesicht erblickst.

O ihr ruhenden Gärten der Erd –

Oasen der Erinnerung seid ihr an jenen seligen Garten des Anfangs, in dem alle Schönheit ohne Ende war.

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