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Montag, 6. März 2023

Vom Dingefinden

 



Vom Dingefinden

Wenn wir modernen Menschen von den Sammlerinnen und Jägern abstammen, dann ist das Dingefinden wohl eine der ältesten menschlichen Tätigkeiten. Vom Finden nützlicher Dinge hing lange Zeit unser Überleben ab.

Vielleicht erfreuen uns deshalb eine schöne, gefundene Vogelfeder oder selbstgesammelte Waldfrüchte für eine leckere Sommermarmelade mehr, als viele schnell gekaufte Dinge.

Kinder können sich an den kleinen gefundenen Dingen des Alltags immer wieder aufs Neue erfreuen und sie haben die Fähigkeit, im Spiel die Zeit völlig zu vergessen.

Das Gehen und dabei Dinge finden ist wohl die erste Meditationsform der Menschen. Ganz in der Gegenwart verhaftet, im stillen Gespräch mit der Umgebung, mit wissendem Blick um die Dinge und mit offenem Ohr für die Klänge der Landschaft wird die Welt eine Wunderwelt, in der alles seine Bedeutung hat.

Die Menschen der Sammlerinnen- und Jägergesellschaften brauchten für ihren unmittelbaren Lebensunterhalt im Durchschnitt zwanzig Stunden die Woche zu arbeiten.

Daher hatten sie genügend Zeit, in Handarbeit wundervolle Kunstwerke zu schaffen und sich geduldig um ihre Kinder zu kümmern.

Mir ist noch nie ein Kind begegnet, welches aus freien Stücken hässliches Plastikspielzeug herstellt. All das Zeug wird von Erwachsenen produziert, die ob dieser „produktiven“ Tätigkeit keine Zeit mehr haben, die kleinen Dinge zu sehen, welche Kinder immer noch begeistern können: Steine, Federn, Muschelschalen, Glasscherben. Natürlich wollen die Kinder auch den bunten Plastiknippes besitzen. Dass er Geld kostet, und nur dazu gemacht ist, den Leuten Geld aus den Taschen zu ziehen, dafür können sie nichts. Oft werden sie aber von den Erwachsenen dafür gerügt, dass sie den Talmi haben wollen, den die Erwachsenen extra für sie hergestellt haben.

Kinder erfreuen sich an Erwachsenen, die Zeit haben und Dinge finden können. Seligkeit.


Ich suche nicht - ich finde

Suchen, das ist Ausgehen von alten Beständen und das Finden-Wollen von bereits Bekanntem. Finden, das ist das völlig Neue. Alle Wege sind offen,
und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.
Die Ungewissheit solcher Wagnisse
können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die im Ungeborgenen sich geborgen wissen, die in der Ungewissheit,
der Führerlosigkeit geführt werden,
die sich vom Ziel ziehen lassen
und nicht selbst das Ziel bestimmen.

Pablo Picasso


Zu der Grafik oben gibt es eine Geschichte: Es ist schon länger her, dass ich im Rahmen eines Kinderferienprogrammes eine Woche zum Thema "Indianer" anbot. Da waren dann zwölf Kinder, Jungen und Mädchen, auf dem Gelände unseres Erlebnisgartens, und waren ganz erstaunt, dass es nicht um "wowowow" und prachtvollen Federschmuck ging, wie sie es sich vorgestellt hatten, wild und romantisch; sondern dass ich ihnen das Leben der Indianer, die in den großen nordamerikanischen Waldgebieten lebten, näher bringen wollte, anhand der Sitten und Gebräuche dieser Sammlerinnen- und Jägervölker. Wobei der Schwerpunkt in dieser Woche auf dem Sammeln beruhte.

Der erste Tag begann mit einer Namenssuche, wir brauchten ja einen indianischen Namen für jedes, und ich erzählte, dass bei diesen Völkern die Kinder zur Geburt einen vorläufigen Namen bekämen, und dann, im späteren Alter sich auf eine Namenssuche begeben müssten. Die Kinder meiner Gruppe waren im Alter von neun bis zwölf Jahren, also eigentlich noch etwas zu jung für eine Namenssuche, die bei diesen Völkern im Alter von vierzehn Jahren stattfand.

Statt also zu warten, bis alle vierzehn Jahre alt waren, um dann für drei Tage alleine im Wald zu verbringen mit Fasten, bis ihnen die Ahnung ihres neuen Namens zugetragen wurde, verkürzte ich das Procedere. Wir gingen in den nahegelegenen Wald, und die Aufgabe war, dass jede und jeder für sich ginge, bis er oder sie einen auffälligen Gegenstand fände, der mitgenommen werden konnte. Anhand dieses Gegenstandes sollte dann abends im Plenum gemeinsam besprochen werden, wie der neue Name wohl wäre.

Ein zwölf Jahre altes Mädchen war dabei, das aus schwierigen familiären Verhältnissen kam. Sie wollte partout nicht alleine in den Wald, also hängte sie sich an mich, und wir gingen gemeinsam. Sie war nicht gerade positiv sich selbst gegenüber eingestellt, um es einmal etwas sanfter zu sagen. Und sie fand auch nichts, was ihr auffiel, außer einem Haufen Hundekacke, und sie sagte: "Dann heiß ich eben Hundekacke!" Was ich selbstverständlich nicht gelten ließ.

Auf dem Rückweg zu unserem Lager wurde sie dann doch etwas unruhig, und letztlich sammelte sie ein am Wegrand liegendes Efeublatt, schon etwas angewelkt, und daher nicht rein grün, sondern auch etwas begilbt an den Seiten, für sich ein.

Abends saßen wir dann um das Feuer im Kreis, und besprachen unsere Fundstücke. Ich wollte, dass nicht nur ein Namen anhand der Fundstücke gefunden wurde, sondern dass auch ein kleiner Merksatz mit diesem Namen verbunden wurde. Als nun die Reihe an das Mädchen kam, dass zuerst einmal "Hundekacke" heißen wollte, hielt sie ihr gefundenes Efeublatt in die Höhe. Den Kindern fiel auf, dass das Blatt die Form eines Sternes hatte, wenn auch nicht ganz symmetrisch. So bekam das Mädchen dann den Namen "Sternblatt" in unserem temporären Stamm. Und ein Merksatz wurde auch gefunden: "Ich heiße Sternblatt, weil mich jemand gern hat".

Für den Rest der Woche war Sternblatt wie verwandelt. Positiv und fröhlich. Ich hoffe, dass das über diese Freizeit hinaus getragen hat.


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