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Dienstag, 31. Oktober 2023

Egon Schiele: Eine Jugendliebe

 



Margarete Partonek war die erste große Liebe des 16-jährigen Egon Schiele. Seine Briefe an sie geben nicht nur seine Zuneigung für sie preis, sondern fördern auch die ersten lyrischen Gehversuche des Künstlers zutage. In diesem Jahr (1906) wurde der 16-Jährige in die Wiener Akademie der bildenden Künste  aufgenommen. Wie lange genau diese Jugendliebe gewährte, ist nicht bekannt. 




An mein Ideal

I.

Der Kunst, der reich ich meine Rechte
Der Malerei streck ich sie hin,
Wenn’s nur was zweites geben möchte,
In Klosterneuburg oder Wien.

II.

Das nächste oder drauf das Jahr
Werd’ ich müssen weg von hier,
Mit der Hand und lockigen Haar,
Das ist der Künstler beste Zier.

III.

Und das zweite, – – ist mein Gretchen,
Dir reiche ich meine beiden Händ’,
Du bist das allerliebste Mädchen,
Mein Lieb, dass ich nur jemals fänd.

IV.

Du ros’ge reizende Natur,
Du herzzerreißende Figur,
Dir lacht der Frühling lieb entgegen
Mit wonn’gen Tagen, still verlegen.

V.

Nur luna [!] soll es einstens seh’n,
Der kann dann ruhig vorrübergeh’n;
Doch höre jetzt und schreib an mich
In kurzer Zeil’ – ich liebe dich.

E. [Egon] Schiele

30.III.06.



Woher haben Sie denn das erfahren?
Das ist mir jetzt noch nicht im Klaren;
Wohl kenn ich manches Mägdlein hier
Doch dafür [durchgestrichen] darum, kann ich nicht’s dafür.

Das machte einst der Jugend Freude
Und dieses tat mir viel zu Leide,
Dies Fräulein ist von blondem Haar,
Es hat ein braunes Augenpaar.

Doch längst vergessen ist die Zeit
Mit vielen Neid und Streitigkeit;
Jetzt dank’ ich Gott, den edlen Hort
Für dies Erlös, mein Ehrenwort.

Viel länger könnt’ ich dahin schreiben; –
Nur bitt’ ich dieses nicht zu zeigen,
Sie werden wohl das Fräulein kennen,
Die auf der Karte schrieb

„L. B.“ [?]

SCHIELE.

31.III.1906.



Mein Lieb

Und sollt’ ich Dich jetzt noch nicht lieben,
So sieh Dir meine Augen an,
In dessen Innern steht’s geschrieben,
Daß das nicht ist, ein kurzer Wahn.

Und solltest Du mir’s noch nicht glauben,
Daß ich zu lieben Dich begann,
So sieh Dir meine Lippen an – –;
Die werden manchen Kuß Dir rauben.

Und wolltest ihn vielleicht nicht haben,
Gestohlen sollt er doch nicht sein;
Nur Liebende, die gern’ sich haben,
Die küssen sich so ganz allein.

Und kann ich dich jetzt nicht erlangen,
So schick’ ich Dir viel herzlich Grüß;
Und schick Dir auch, auf Lipp und Wangen,
Viel tausend zuckersüße Küß.

Wenn diese Schrift, mit roter Tint'
Erhalten hast, am heut’gen Tag
So denk’, daß zweie es nur sind,
Denen ich einmal was G’schriebnes gab.

S. [Schiele] Egon.




Der erste Kuß der Liebe!

Traumgebilde, Fantasien
Schweben vor des Jünglings Blicken,
Und der Lieb’ Magnete ziehn
Hin zu ihr, ihn zu entzücken.

Und er sieht sie vor sich stehen,
Und es faßt ihn mit Gewalt
Und reißt ihn gleich, Sturmeswehen
Blitzesschnell hin zu ihr bald.

Und die braunen Haare hängen
Sanft, geschmeidig, dicht herab
Über ihren roten Wangen,
Denen Lieb’ das Glühen gab.

Und nur Freundlichkeit nicht Tücke
Spielen um den schönen Mond
Und ihr geben, seine Blicke
Was die Zarte fühlet kund.

Es erfaßt ihn mit Entzücken
Und im seel’gen Hochgenuß
Drückt er auf die ros’gen Lippen,
Seiner Liebe – ersten Kuß.

Margarete Partonek an Egon Schiele




Liebstes Fräulein. . . 

Mein neues „Drüben“ verdirbt mir meine ganze Aussicht. Früher konnte ich Sie
wenigstens hinter einem grünen Versteck sehen, doch jetzt ist dieses Dach am Fenster zu kurz.

Warum schreiben Sie nichts mehr so wie vor einigen Wochen? Wenn solcherlei Sachen bis jetzt noch niemand außer den Nächsten in unserer Umgebung weiß, glaube ich wird es niemand, am wenigsten bei Ihnen in der Schule erfahren; vorausgesetzt daß Sie selbst nichts weiter Ihren Freundinnen & Kolleginnen sagen oder vorlesen. Sie haben mir erst drei Schreiben durch Ihren Bruder geschickt, die bei mir gut aufgehoben sind, während ich Ihnen deren schon mehrere
zukommen lassen haben [!].

Würden Sie vielleicht wirklich nicht schreiben können, aus Gründen die Sie mir
nicht sagen wollen, so gibt es noch ein Zweites, bei dem ich an Ihrer Stelle keine Ausrede finden würde. Sie gehen abends oft auf der Gasse mit Fräulein Hermine, könnten Sie nicht zumindest den Weg in eine andere Gasse einschlagen? Es kommt nur an Ihren Willen an den Sie leicht bezwingen können; dann möchten Sie Ihre Worte erfüllen, die Sie mir so deutlich schrieben. Wie oft gehen Sie in die Obere Stadt, wie z.B. am Montag, da könnten Sie doch diesen vorhergenannten Weg beim hin oder Retourgehen benützen.

Wenn ich auch jetzt vielleicht Unangenehmes schrieb, so bitte ich um Verzeihung, denn aus vielen werden Sie sehen, daß ich so schreibe wie ich denke. Würden Sie mir Verzeihung nicht gewähren, so bitte ich dieses zurückzusenden.
Hoffentlich aber werden Sie von meinen Ratschlüssen auswählen, so daß nicht der schönste Monat ohne Ausnützung verfließt.

Sie sind jeden Sonntag fort am 22. waren Sie in Hadersfeld, wo waren Sie am letzten Sonntag? Umsonst werden Sie nicht Ausflügemachen. Es grüßt Sie herzlichst 

Ihr ES [Egon Schiele]

Egon Schiele, geboren am 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau, Österreich-Ungarn; gestorben am 31. Oktober 1918 in Wien, Maler des Expressionismus. Neben Gustav Klimt und Oskar Kokoschka zählt er zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Wiener Moderne.



                                      Gemälde Egon Schieles von 1906



Ein Mädchenbildnis Egon Schieles aus dem Jahr 1906, wohl nicht Margarete Partonek


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