Die drei Nächte der Kalindi
Als er in der Dämmerung des Morgens die Sichel des beginnenden Mondes wieder sah, schmal und zäh wie ein scharfes Laubblatt der Seggen auf den struppigen Wiesen, da wusste er um das Ende der drei Nächte der Kalindi, welche ihn an den Scheitelpunkt des Sommers führten. Groß stand die Sichel der Göttin über den in Dunst gekleideten Silhouetten der Höhen.
So schlug er zurück jene Decke aus wärmender Wolle, gefärbt in den Farben der Erde, und er richtete sich auf von der rauhen Schlafstätte. So stand er im taufeuchten Morgen und gedachte des ersten Tages, gedachte der ersten Nacht. Der erste Tag auf dem Lager, des Sommers drückende Schwüle ringsum, so fremd ihm die Welt. Vielleicht war es ein Krankenlager, denn Schmerzen begleiteten ihn, Schmerzen in allem, was sein Inneres war. Kaum zu regen wagte er eines seiner Glieder, denn Schmerz war alles in ihm, und Lähmung. So tauchte er ein in die beginnende Nacht.
Es war Kalindi, die Nachtweberin, welche ihm die dunklen Träume eingab. Es waren die Träume vom grausamen Krieg, es waren die Träume von grausamer Folter, die dunklen Kommandos, deren Krieger Totenköpfe am Revers führen, die dunklen Kommandos, sie zogen durch seine Träume, und bleich die verkrümmten Körper im aschfahlen Licht eines anderen Mondes, bleich all der Tod, welche die dunklen Kommandos hinter sich ließen. Und einjede Folter traf den eigenen Körper, denn dieser war schutzlos in der dräuenden Nacht. Es gab keinen Ausweg, denn den Tod.
„Wer an Stelle der Todesmacht tötet, wird töten die eigene Seele“, so flüsterte Kalindi, die Nachtweberin, in sein lauschendes Ohr. Und so endete auch diese Nacht, und so sang der schwarz gefiederte Morgenvogel sein Lied:
„Nun beginnt deine Zeit.
Sei Bewahrer des Lachens,
bewahre des Lebens Heiterkeit.
Und bedenke auch dies:
Es hat seine Gründe,
dass die Stadt dich verstieß.“
Und er gedachte des zweiten Tages auf dem Lager, des Sommers drückende Schwüle ringsum, so fremd ihm die Welt. So ferne gerückt in den Schleiern des strömenden Regens. Drückender Dunst legte sich über sein Krankenlager, und die Schmerzen begleiteten ihn. Schwer lastete aller Schmerz auf ihm, regungslos sein Körper auf der Lagerstatt - „Schmerz, das macht, dir rückt die Welt ferne“, klangen die Worte der Jugend in ihm. So tauchte er ein in die beginnende Nacht. Und es war seine zweite Nacht.
Es war Kalindi, die Nachtweberin, welche ihm die dunklen Träume eingab. Es waren die Träume vom grausamen Krieg, in dessen Bomben die Körper von Kindern zerbarsten unter blutrotem Himmel der kreischenden Raketen, der donnernden Sprengungen, in denen die heimeligen Häuser zerfielen, in denen alle Heimstatt und Heimat verging. Währendessen erstanden sie neu, die dunklen Kommandos, deren Krieger Totenköpfe am Revers führten, und die dunklen Kommandos, sie zogen durch seine Träume. Es gab keinen Ausweg, denn den Tod.
„Wer an Stelle der Todesmacht tötet, wird töten die eigene Seele“, so flüsterte Kalindi, die Nachtweberin, in sein lauschendes Ohr. Und so endete auch diese Nacht, und so sang der grau gefiederte Morgenvogel sein Lied:
„Nun beginnt deine Zeit.
Sei Bewahrer des Herdes,
bewahre des Lebens Heiterkeit.
Und bedenke auch dies:
Es hat seine Gründe,
dass die Stadt dich verstieß.“
Und so begann ein weiterer Tag auf dem Lager, und es war der dritte Tag, der begann. Und er wollte lesen in den Seiten der uralten Bücher, doch verschwommen die Zeilen vor seinen Augen, und die Buchstaben begannen zu tanzen, und sie tanzten in die Nebel. Und sie tanzten in die Nacht, und es war seine dritte Nacht.
Es war Kalindi, die Nachtweberin, welche ihm die dunklen Träume eingab, und so kreiste im Dunkel der dunkelste Stern aller, paradiesisch einst, nun Behausung der gefallenen Engel, und es wuchsen die düsteren Himmel, und es wuchsen die grauen Wüsten, der Staub des Zerfalles legte sich über all das pochende Grün. Und auch in ihm wuchsen sie, die düsteren Himmel, die grauen Wüsten, die Lagen des Staubs des Zerfalles, denn seine Seele war eins mit diesem Stern. Und es wuchsen die düsteren Ahnungen in seinen Träumen. Es gab keinen Ausweg, denn den Tod.
„Wer an Stelle der Todesmacht tötet, wird töten die eigene Seele“, so flüsterte Kalindi, die Nachtweberin, in sein lauschendes Ohr. Und so endete auch diese Nacht, und so sang der weiß gefiederte Morgenvogel sein Lied:
„Nun beginnt deine Zeit.
Sei Bewahrer der Gärten,
bewahre des Lebens Heiterkeit.
Und bedenke auch dies:
Es hat seine Gründe,
dass die Stadt dich verstieß.“
Im Lichte der aufgehenden Sonne sah er: Die Brombeeren reiften heran.
Veröffentlicht in der Anthologie "TrümmerSeele" hrsg. von St. Mattner & Michael Pilath, illustriert von Peter Starcke, Sternenblick e. V. Berlin, Dezember 2015
Im Frieden der wilden Dinge
In manchen Nächten wächst eine große Trauer in mir,
mich lässt der kleinste Laut vor den Fenstern aufschrecken,
und die Sorge um unser aller Leben in dieser Welt nimmt überhand.
Dann stehe ich auf von meiner Bettstatt und folge den Wegen
in die nahegelegenen Wälder, wo die wilden Enten und die
schweigsamen Reiher wohnen an den stillen Waldweihern.
Wesen, die ihr Sein nicht in vorauseilender Trauer leben.
Über mir das sanfte Blinzeln der Sterne in ruhender Nacht,
besänftigend mit ihrem Licht. So ruhe ich eine Zeit
in der Gnade einer älteren Erde, und befreit von der
eben noch so übermächtigen Furcht lenke ich meine
Wege wieder heimwärts.
Eine Nachdichtung eines Gedichtes von Wendell Barry. Ich schreibe mit Absicht Nachdichtung und nicht Übersetzung, denn ich bin der Meinung, dass sich der gesamte lyrische Gehalt eines Gedichtes nicht eins zu eins übersetzen lässt, allenfalls nachempfinden.
The Peace of Wild Things
When despair for the world grows in me
and I wake in the night at the least sound
in fear of what my life and my children´s lives may be,
I go and lie down where the wood drake
rests in his beauty on the water, and the great heron feeds.
I come into the peace of wild things
who do not tax their lives with forethought
of grief. I come into the presence of still water.
And I feel above me the day-blind stars
waiting with their light. For a time
I rest in the grace of the world, and I am free.
Aus: Wendell Berry - The Peace of Wild Things and other poems, Penguin 2018 Copyright by Wendell Berry 2012
Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa so:
Im Frieden der wilden Dinge
Wenn die Verzweiflung um die Welt in mir wächst,
und ich wache in der Nacht beim geringsten Laut auf,
in Furcht davor, was aus meinem Leben und dem meiner Kinder werden mag,
dann gehe ich, lasse mich dort nieder, wo die Brautente
ruht in ihrer Schönheit auf dem Wasser, wo der Große Reiher sich labt.
Ich komme in den Frieden der wilden Dinge,
die ihr Sein nicht in vorauseilender Trauer leben.
Ich komme in die Gegenwart von stillem Wasser
und ich spüre über mir die tagblinden Sterne,
wartend mit ihrem Licht. Eine Zeit lang
ruhe ich in der Gnade der Welt, und ich bin frei.
Wendell Berry, geboren am 5. August 1934 in Henry County, Kentucky ist ein US-amerikanischer Essayist, Dichter, Romancier, Umweltaktivist und Landwirt. Ihn verbindet eine langjährige Brieffreundschaft mit dem Lyriker und Essayisten Gary Snyder. Wendell Berry engagiert sich für ökologischen Landbau und dafür, den Beitrag, den eine landwirtschaftliche Kultur mit kleinbäuerlichen Strukturen zur Kultur als Ganzer leisten kann, ins Bewusstsein zu rufen. Er ist ein dezidierter Gegner von agrarindustrieller Bodenbewirtschaftung, monokulturellem Anbau, Massentierhaltung und Atomindustrie.
Musik: Dingefinder, Rhythmusgitarre, Querflöte; Verlah Wo. Klavier
Wenn die Verzweiflung um die Welt in mir wächst,
und ich wache in der Nacht beim geringsten Laut auf,
in Furcht davor, was aus meinem Leben und dem meiner Kinder werden mag,
dann gehe ich, lasse mich dort nieder, wo die Brautente
ruht in ihrer Schönheit auf dem Wasser, wo der Große Reiher sich labt.
Ich komme in den Frieden der wilden Dinge,
die ihr Sein nicht in vorauseilender Trauer leben.
Ich komme in die Gegenwart von stillem Wasser
und ich spüre über mir die tagblinden Sterne,
wartend mit ihrem Licht. Eine Zeit lang
ruhe ich in der Gnade der Welt, und ich bin frei.
Wendell Berry, geboren am 5. August 1934 in Henry County, Kentucky ist ein US-amerikanischer Essayist, Dichter, Romancier, Umweltaktivist und Landwirt. Ihn verbindet eine langjährige Brieffreundschaft mit dem Lyriker und Essayisten Gary Snyder. Wendell Berry engagiert sich für ökologischen Landbau und dafür, den Beitrag, den eine landwirtschaftliche Kultur mit kleinbäuerlichen Strukturen zur Kultur als Ganzer leisten kann, ins Bewusstsein zu rufen. Er ist ein dezidierter Gegner von agrarindustrieller Bodenbewirtschaftung, monokulturellem Anbau, Massentierhaltung und Atomindustrie.
Musik: Dingefinder, Rhythmusgitarre, Querflöte; Verlah Wo. Klavier
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