Zu sagen ist nichts mehr. Vielleicht, daß etwas noch gesungen werden kann. „Du magisch Quadrat, jetzt ist es zu spat“ So spricht einer, der zu schweigen versteht. „Ambrosianischer Stier“: gemeint ist der ambrosianische Lobgesang. Eine Hinwendung zur Kirche zeigt sich an in Vokabeln und Vokalen. Der Hymnus beginnt mit militärischen Reminiszenzen und schließt mit einer Anrufung Salomons, jenes großen Magiers, der sich tröstete, indem er die ägyptische Königstochter an sein Herz zog. Die ägyptische Königstochter ist die Magie.
Du Herr der Vögel, Hunde und Katzen, der Geister und Leiber, Gespenster und Fratzen.
Du Oben und Unten, Rechtsum und Linksum, Geradeaus, Kehrteuch und Haltwerda,
Der Geist ist in dir und du bist in ihm, und ihr seid in euch und wir sind in uns.
Der Auferstandene bist du, der überwunden war.
Der Entfesselte, der seine Ketten zerriß,
Der Allmächtige bist du, Allnächtige, Prächtige, mit einem brennenden Topf auf dem Kopf.
In alle Sprachen und Windrichtungen ist dir der Donner im Kasten zersprungen.
In Vernunft und Unvernunft, im toten und lebenden Reiche raget dein Blechhals und saust
deine Speiche.
Mit großem Brüllen kamst du, Sturmhaube der Rebellion, Krähtrompete, Völkersohn.
In Feuerschlünden und Kugelsaat, in Sterbegewinsel und endlosem Fluche,
In Blasphemien sonder Zahl, in Schwaden von Druckerschwärze, Oblaten und Kuchen.
So sahen wir dich, so hielten wir dich, in Gesichterregen, geschnitzt aus Achat.
Auf umgestürzten Thronen, zerspellten Kanonen, auf Zeitungsfetzen, Devisen und Akten,
Bunt aufgeputzte Puppe, hobst du das Richtschwert über die Vertrackten.
Du Gott der Verwünschungen und der Kloaken, Dämonenfürst, Gott der Besessenen.
Du Mannequin mit Veilchen, Strumpfbändern, Parfums und einem Hurenkopfe bemalt.
Deine sieben Jungen blecken die Zungen, deine Großtanten werden zuschanden, eine rote Kugel ist deine Gugel.
Du Fürst der Krankheiten und Medikamente, Vater der Bulbo und Tenderende,
Der Arsenike und Salvarsäne, der Revolver, eingeseiften Stricke und Gashähne,
Du Löser aller Bindungen, Kasuist aller Windungen,
Du Gott der Lampen und der Laternen, du nährst dich von Lichtkegeln, Dreieck und Sternen.
Du Folterrad, russische Schaukel der Qual, Homozentaurus, in Flügelhosen schwebend
durch den Krankensaal,
Du Holz, Kupfer, Bronze, Turm, Zinke und Blei, als Eisengockel schwirrst du geölt vorbei.
Du magisch Quadrat, jetzt ist es zu spat, du mystisch Quartier, ambrosianischer Stier,
Herr unserer Entblößung, deine fünf Finger sind das Fundament der Erlösung.
Herr unseres Jäger- und Küchenlateins, Lemantotrommel unseres Daseins, Äthernist,
Kommunist, Antichrist, oh! Hochweisige Weisheit des Salomo!
Text: Hugo Ball (1886 – 1927)
Aus: "Tenderenda der Phantast", Wallstein Verlag, Göttingen 2015, das Buch wurde zwischen 1914 und 1920 geschrieben, jedoch erst 1967 das erste Mal veröffentlicht
Zum Video:
Gesprochen und klanglich illuminiert von Dingefinder Jörg Krüger
Es wurden Filmschnipsel verwendet, in etwa aus der Zeit, hauptsächlich aus Filmen von Germaine Dulac (1882 - 1942) („La coquille et le clergyman“, 1927; „Themes et variations“, 1928; „Danses espangnoles“, 1930) und aus Metropolis von Fritz Lang von 1927.
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