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Samstag, 7. Januar 2023

Tolles Singen in den Bergen - Nachdichtungen Chinesischer Lyrik

 


Am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts gab es unter den deutschen Literaten eine Chinabegeisterung, die sich bis in die dreißiger Jahre fortsetzen sollte. Nicht nur Theosophen oder die Aussteiger rund um den Monte Verita in Ascona fanden im Tao Te King Weisheit, auch viele Schriftsteller orientierten sich an chinesischen Dichtern wie Li Tai Pe. Hermann Hesse war ein Verehrer dieses Dichters, und Klabund, Franz Blei, Hans Schiebelhuth, Albert Ehrenstein und viele andere widmeten sich Nachdichtungen chinesischer Lyrik.

Im Zentrum der Chinabegeisterung stand der Sinologe und Übersetzer Richard Wilhelm (1837 - 1930), dessen einfühlsame Übersetzung des Tao Te King nebst umfangreichen Anmerkungen 1910 herauskam. Es folgten Übersetzungen des Kungfutse, des I Ging und von Chinesischen Märchen (letztere wurden sogar bei den ersten Dada-Soireen in Zürich herangezogen, Hugo Ball las daraus 1916 vor).

Auch mich zogen die Chinesische Philosophie und die Chinesische Lyrik, soweit sie als Nachdichtung vorlag früh in ihren Bann. Schon im Alter von sechzehn Jahren begeisterte mich der Tao Te King in der Übersetzung des Richard Wilhelm, und das in den Anmerkungen aufgeführte Chinesische Märchen von der Quelle im Rosenblütenwald wurde zu einem Leitstern in meinem Leben. Diese Quelle ließ mich nicht wieder los.

In der ansonsten für mich recht langweiligen Bibliothek von Tante und Onkel in Stade, wo ich die jeweiligen Sommerferien verbrachte, fand ich zu meiner Erleichterung das schmale Bändchen Chinesicher Gedichte in der Nachdichtung von Klabund, dessen Inhalt mich nachhaltig begeisterte (Noch immer kann ich einige Zeilen auswendig „Als ich ein Kind war / schien der Mond mir rundes Gold“).

Es war auch die Zeit, in der in meinem Freundeskreis neben Hermann Hesse Jack Kerouac gelesen wurde. Von letzterem begeisterte mich ein Buch uneingeschränkt, es wurde unter den unsäglich dumm übersetzten Titel „Gammler, Zen und hohe Berge“ als Taschenbuch angeboten. (der amerikanische Titel lautet The Dharma Bums). Dort trat mir China in der Gestalt des Japhy entgegen, der unter anderem die Gedichte vom Kalten Berg des Han Shan übersetzte, von denen sich auch eine Eindeutschung in diesem Buch befand. Hinter der Figur des Japhy verbirgt sich der Dichter Gary Snyder, dessen Bücher mich seit den frühen achtziger Jahren begleiten.

Ich habe hier einmal eine kleine Auswahl von Nachdichtungen Chinesischer Lyrik getroffen. Das ist beileibe nicht vollständig, und ich werde dieser Serie im Laufe des Jahres noch weitere hinzufügen. Heute vor allem Gedichte von Lo-t`ien. 

Als Bild habe ich das Gemälde „Kleine Hütten im Wald“ gewählt, von der im Februar 2016 verstorbenen Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch. Für mich ist darin die Stimmung der kleinen Hütten der Chinesischen Einsiedler wiederzufinden.



Die Lieder der Nonnen Gotamo Buddhas enthält der Khuddakani kayo, die dritte Sammlung des Pàli-Kanon, deren erste Textausgabe 1883 Oldenberg und Pischel, deren erste deutsche Übersetzung 1899 Karl Eugen Neumann besorgte. Wörtlich aus Neumanns Übertragung entnommen ist nur das „Verführungslied des Schelmen“, dem Neumann eine deutscher Rhythmisierung gleiche Form gegeben hat, während er sonst wohl der philologischen Genauigkeit wegen die Diktion des Originals nachahmt, was nicht immer deutsch klingt und des Rhythmus entbehrt.

Franz Blei, aus: Der Amethyst, Blätter für seltsame Literatur und Kunst, herausgegeben von Franz Blei, Heft 1, Dezember 1905


Aus: Po Chü – I (Des Gelehrten Po sechs Werke, von Lo-t´ien)Nachdichtungen von Albert Ehrenstein


Lo-t´ien liebte von jung an das Studium. Als Erwachsener wandte er sich der Dichtung zu. . . . Er begann seine Laufbahn als Bücherzensor und gab sie auf als Regierungsgehilfe des Kaisers. Zwischendurch bekleidete er mehr als zwanzig Beamtenposten, lebte über vierzig Jahre davon. Sein Äußeres hielt er der Lehre des Kungfutse gemäß, seine Seele neigte sich rein der Lehre Buddhos. In seiner freien Zeit durchwanderte er die Gebirge, spielte Laute und trank Wein, seinen Geist anzuregen. . . . Was er im Leben begehrte, fühlte, bekam, verlor, bedrückt durchmachte, verstand - all dies stand als Geschichte, Aufsatz, Gedicht genau in seinem Werk

Geboren wurde er 771 n. Chr., er starb 846. 


Deutsch von Albert Ehrenstein, aus: Der Querschnitt, Band 6/1, 1926


Bo Djù´J (Bai Juyi, 772 - 846), deutsch von Vincenz Hundhausen, aus:  Der Querschnitt, 1928



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