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Mittwoch, 29. November 2023

Hans Henny Jahnn - Aus: Fluss ohne Ufer

 



Am 29. 11. 1959 starb der am 17. Dezember 1894 in Stellingen geborene Schriftsteller und Orgelbauer Hans Henny Jahnn in Hamburg. Hier einige Zitate aus seinem epochalen Werk „Fluss ohne Ufer“:

"Ich fuhr ein wenig später über die unvergleichlichen Hügel (. . . ) In der Ferne, tief unten, lag das Meer, bleich, grau, ausdruckslos, nur ein unbestimmtes nebliges Schimmern, weniger, ein Dunst. Es hatte nur seinen Geruch, der sich unbegreiflich mit dem von Moor und nassem sterbenden Laub mischte. Kein Tier am Boden zeigte sich mir; nur am Himmel schwamm die schöne gebrochene Linie verspäteter ziehender Wildgänse, die beinahe flüsternde, verhaltene Schreie ausstießen."

"Das Schiff fuhr mit dunklen bauchigen Segeln über den Abgründen, die mit Wasser ausgefüllt sind. Die Luft war ungewöhnlich lange nur voll leichter Wirbel gewesen. Der neue Tag, wie um den Triumph des weißen Lichtes zu überhöhen, war klar und kalt, ganz ausgeleuchtet mit dem Schimmer der silbrigen Helligkeit. Die Gegenstände an Deck erschienen allesamt hart, unförmig, gar nicht der geringen Bewegung von Wasser und Wind angemessen. Noch vor Abend strichen warme Schwaden um das Schiff. Unbegreiflich schnell mischte sich die fahle Kälte mit dem lauen Dunst. Nebelmauern rückten heran. Wolken, kaum wahrgenommen, fielen schon aus der Höhe herab und umdampften das Schiff. Masten und Segel wuchsen riesenhaft. Vor kurzem noch war der Horizont das Maß aller Dinge gewesen. Jetzt war das Sichtbare verengt. Das Gebilde aus Menschenhand schwebte im Nebelmeer, war von der Erde abgestürzt."

"Und die Zeit, ein stetiger unaufgeregter Strom, trieb langsam vorüber, dem grauen verkümmerten Stern zu, der das Gewesene speichert, um es allmählich zum Wirkungslosen zu verstauben."

„Es kam der Augenblick, wo die Wände des Logis sich verwandelten und zu Spiegeln wurden. Weite Glaslandschaft, in der das Bild jedes einzelnen gefangen wurde. Aber es waren nicht nur ebene glitzernde Spiegelscheiben, in denen man das eigene Antlitz, den ganzen Körper, anfangs bekleidet, dann nackt und schließlich durchscheinend sah. Der Raum hinter den Dingen zeigte sich“

"Ich hatte keine rechte Hilfe bei meinem Unterfangen. Die Erde unter meinen Füßen sang nicht mit. Das Meer vor mir, dessen Wellen im Sand auslaufen, gab mir nur einen verworrenen Schwall. Mir lagen die Melodien der tausend Volkslieder nicht im Ohr. Ich war auf mich allein gestellt, als wäre ich ein Mensch am Anfang der Zeiten gewesen. Schwerfällig ausgerüstet mit einer Flöte, die nur fünf Töne gibt."

„Gedanken, die Rosse, die schnell an allen Orten sind und ihre Hufe nicht in die Zeit setzen, sondern in das Moos der Träume.“

„ein eisiger Wind aus dem östlichen Raum streicht“: „Er hat den ersten Schnee hungrig aufgeleckt. Der Boden liegt wieder nackt da. Die gläserne Kälte verwandelt die Kruste der Erde. Ätzender Staub klirrt über die Äcker. Die kahlen Laubbäume schaukeln steif und leise klappernd.“

„Schöner als die Fische waren die gelben beweglichen Sonnenreflexe auf dem steinigen Flussbett. Das Schönste aber war der Ton des Wassers, das Lispeln der Blätter und das traurige Schweigen der herabschauenden Berge.“

„… Man wurde an das knorrige finstere Dachgeschoß eines alten Speichers erinnert, an Mühlen die an den Sünden ihrer Besitzer geisterhaft verödeten. …“

„Man wird nicht schlecht, wenn man aufhört an Gott zu glauben; man wird nicht einmal natürlicher – allenfalls wird man behutsamer im Urteilen – und duldsamer gegen lästige Wahrheiten.“




Jahnn war vor allem wegen seiner drastisch grenzüberschreitenden literarischen Darstellungen von Sexualität und Gewalt stark umstritten. Mit seinem literarischen Werk zählt er laut der Sozialgeschichte der deutschen Literatur (1981) zu den „großen produktiven Außenseitern des 20. Jahrhunderts“. Er verstand sich als Antimilitarist, wandte sich gegen jede Doktrin einschließlich Rassenhass und Todesstrafe und lehnte Gewalt, auch gegen Tiere, ab.

Er emigrierte 1915 zusammen mit dem späteren Musikverleger Gottlieb Harms (1893 - 1931) nach Norwegen, um dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg zu entgehen. Beide lebten in Aurland am Aurlandsfjord. Jahnn sagte zu dieser Zeit: „In dieser Zeit habe ich leben gelernt, habe ich die Welt durchschaut und alles gesehen, woraus Leben besteht. Es war eine harte Schule.“ Ende 1918 kehrten beide zunächst nach Hamburg zurück.

Jahnn zog wenig später für kurze Zeit aufs Land bei Eckel. Hier lebte er mit Gottlieb Harms und Franz Buse (1900–1971, damals Bildhauer) zusammen. In dieser Zeit entwarf er mit seinen Freunden das groß angelegte Projekt einer Künstler- und Lebensgemeinschaft, das sie Ugrino nannten. Diese Gemeinschaft entstand – wie viele ähnliche Gruppen in der Weimarer Republik – aus dem Bedürfnis nach neuer Sinnstiftung und als Alternative zu der von vielen als enttäuschend empfundenen Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gemeinschaft Ugrino wollte Kunstwerke aller Art erhalten und neue schaffen.

Im Jahr 1919 veröffentlichte Jahnn das Drama Pastor Ephraim Magnus, für das er 1920 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde (Uraufführung 1923). 1925 entstand seine Tragödie Medea, die 1926 erstmals inszeniert wurde.

Jahnns expressionistischer Roman Perrudja (Bd. 1) erschien 1929. Fragmente des zweiten Bandes wurden aus dem Nachlass veröffentlicht. Seit 1934 wohnte er auf Bornholm in Dänemark, wo seine Schwägerin auf Jahnns Rat einen Bauernhof erworben hatte, den er zunächst selbst bewirtschaftete, später wurde der Hof Bondegård verpachtet, dann verkauft. Jahnn bezog eine kleine Kate („Granly“) in unmittelbarer Nachbarschaft, schrieb und lebte dort mit seiner Geliebten Judit Kárász, einer jüdisch-ungarischen Emigrantin und Bauhaus-Fotografin zusammen.

Auf Bornholm verfasste er den größten Teil seines Hauptwerkes Fluss ohne Ufer, einer Romantrilogie von über 2000 Seiten: Band 1 Das Holzschiff (Erstveröffentlichung 1949), Band 2 Die Niederschrift des Gustav Anias Horn nachdem er 49 Jahre alt geworden war (erschienen 1949/1950) und der nicht abgeschlossene Epilog, der 1961 aus dem Nachlass erschien. 

Nach einer Lesung aus der noch nicht publizierten „Niederschrift des Gustav Anias Horn“ im Jahr 1946 beispielsweise bemerkte Jahnn mit Blick auf dieses Werk, „die geschriebenen Worte“ seien „rhythmisch eingeordnet“ und vermittelten „nicht nur eine Bedeutung“, „die durch Übereinkunft festgelegt wurde“, sie seien „vielmehr, wie seit Urzeiten an den Rhythmus, an die Musik der Sprache gebunden“; und er fügte hinzu: „Ich meine, daß es für einen einsichtigen Leser unmöglich ist, zu verkennen, daß Motive, Themen und Strophen die Grundlagen meiner Darstellung geworden sind.“

Schon als Jugendlicher befasste sich Jahnn mit dem Orgelbau. Während seines Aufenthaltes in Norwegen (1915–1919) erwarb er die Kenntnisse dazu durch ein umfangreiches Studium klassischer Lehr- und Handbücher des Orgelbaus, allerdings ohne eine handwerkliche Ausbildung zu absolvieren. Nach der Rückkehr nach Hamburg setzte er sich für die Restaurierung norddeutscher Barockorgeln ein (z. B. Der Arp-Schnitger-Orgeln der Hauptkirche Sankt Jacobi (Hamburg) und der Ludgerikirche (Norden)). Außerdem betätigte er sich auch als Komponist. 


          

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