"Kleine Hütten im Wald", Bild von der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch |
Das folgende taoistische Märchen hat Dr. Harald Gutherz (1880 - 1912) nacherzählt. Es findet sich im Anhang des Buches Tao Te King von Laotse in der Übersetzung von Richard Wilhelm. Es stammt von dem chinesischen Dichter Tao Yuanming, der im vierten Jahrhundert lebte.
"Es lebte einst, zu Zeiten Tai Yüans, ein Fischer in Wuling. Dort war ein Fluss, auf dem er aufwärts fuhr, und er vergaß, ob weit, ob nahe er gefahren war, als da ein Wald ganz hell von Pfirsichblüten beide Ufer wohl hundert Schritte tief umfing. Da gab es keine anderen Bäume; frisches, schönes Duftgras nur, in das sich Pfirsichblütenblätter niederstreuten. Der Fischer wunderte sich sehr darüber, und er fuhr noch weiter, denn er wollte wissen, wo des Waldes Ende war. Am Waldesrande aber war ein Berg, da quoll der Fluss heraus, und es war auch ein kleiner Gang hinein - wie lichtumschwebt.
Dort trat er ein - es ging gerade - wenig Schritte weiter aber ward es hell und weit - ein weithin ausgedehntes Land. Zwischen guten Feldern, schönen seichten Wasserflächen lagen sauber Hütten und auch Häuser, Wege führten kreuz und quer, es gab wohl alle Arten Bambuspflanzen und viele Maulbeersträucher. Von jedem Dorf zu dem andern klang die Antwort von den Hunden und den Hühnern. Männer und Frauen - ganz wie bei uns - säten die Felder; friedlich und froh des eigenen Tuns waren so Kinder als Greise.
Sie staunten, als sie unseren Fischer sahen und ihn dann befragten; über seine Rede aber luden sie ihn ein zu sich und gaben ihm vom Wein und schlachteten zum Mahl die Hühner. Im Dorf hörte man davon, und jeder kam und fragte. Selbst erzählten sie, dass ihre Eltern einst zur unruhigen Zeit von Tsin Schi Huang mit Frau und Kind und allen Leuten fort- und hergezogen seien, dass von damals her nicht einer mehr herausgekommen sei, und dass sie auch daher nicht wüssten von den Menschen draußen. Wer wohl König sei, fragten sie; sie kannten nicht die Dynastie der Han, geschweige denn die der We und Dsin. Der Fischer aber gab ihnen von allem Kunde, was er wusste, dass sie nur so lauschten. Mancher Tag verging ihm dort auf diese Weise, eingeladen und bewirtet, wie er war, mit Wein und Speise. Dann beim Abschied meinten sie, es sei wohl nicht der Mühe wert, den Leuten draußen was davon zu sagen.
Der Fischer kam wieder heraus, bestieg sein Boot zur Heimkehr und behielt genau die Orte der Umgebung im Gedächtnis. In der Hauptstadt des Bezirkes gab er den Beamten hübsch Bericht, und der hat Boten ausgesandt nach jener Schilderung. Die haben sich dabei verirrt und nicht den Weg gefunden. - - -
Wohl ging noch Liu Dsi Ki, der Weise aus dem Süden, frischen Mutes auf die Suche. Aber ehe er Erfolg erreichte, ward er krank und starb. Seither hat niemand nach dem Weg gefragt."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen