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Dienstag, 13. Dezember 2016

Briefe an die Morgenröte



Ich grüße die Morgenröte,

nun ist es Nacht, und so wie es Nacht um mich ist, ist es auch Nacht in mir. Kellernacht, und ich weiß es nicht, woher sie kommt, diese Traurigkeit, welche mich besucht in dieser Tiefe.

Draußen steht der Mond als geöffnete Schale am Himmel, und wie Perlen die Sterne, welche sich in diese Schale senken. Das ferne Rauschen der Stadt fast wie das Rauschen eines fernen Meeres, und ich ahne den Strand und den Geruch von Salz in der Luft und das Singen des Windes im Seegras.

Dann taucht vor meinem inneren Auge Aurora auf, wie sie in ihrem Purpurmantel auf Zehenspitzen ihr Schlafgemach verlässt um unter den funkelnden Sternen zu wandeln, und ob aller Traurigkeit muss ich lächeln, und mir wird es leichter ums Herz und frühlingshafter.

So werde ich denn auch hinausgehen und den Garten in der Nacht besuchen und die Sterne schauen, und einjeder wird sein mir ein Augenstern, und in jedem schaue ich Auroras Antlitz, das liebliche. (Und in der Ferne das Rauschen lässt erahnen den großen Gesang).

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

„Wenn wir uns unter Sternen finden,
vom Abend in die Nacht zu geh´n,
um uns mit allem zu verbinden:
Das Leben ist zum Sterben schön.“

Schon lange rumorte der letzte Vers dieses Vierzeilers in meinem Kopfe herum. Nun hast Du ihn hervor gelockt, wie die Sonne die Frühjahrsblüten hervor lockt. Soviel Zärtlichkeit im Wünschen, so viele goldene Perlen im gemeinsamen Band, so sanfte Berührungen wie ein warmer Windhauch.

Ich werde jetzt in den Tag gehen mit der Erinnerung an Frühjahrsduft und Duft von Pfirsichhaut, dort wo Haare und Stirne sich treffen, ist dieser Duft geboren. Und wie ein Nachtfalter Meilen und Abermeilen diesen Duft erahnt, so erahne auch ich ihn, denn in der Ewigkeit vermag es keine Ferne zu geben.

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

So war denn heute in der Frühe noch Rauhreif über den Gärten. Noch hat der Frühling nicht die milde Kraft und Wärme. Noch täuscht eine strahlende Sonne am Tag über die untergründige Kühle. Ist es nicht auch so mit unserer Zeit?

Sind nicht allerorten die bunten Plakate zu schauen, vor denen die Armen die Pfandflaschen heimlich aus den Papierkörben der Stadt fischen?

Doch jenseits von Täuschung und Schein, jenseits von Werden und Vergehen gibt es die heilige Gegenwart. „Der Weise träumt´, er wär ein Schmetterling. Oder träumte der Schmetterling den Weisen?“, so schrieb der Dichter.

Manchmal lege ich ab die Hülle, manchmal streife ich mir gar den Elfenmantel vom Leibe, um in aller Unschuld vor der Sonne oder unter den Sternen mein Lied Dir zu singen.

„Manchmal bin ich nur ein Sänger,
doch was wollte ich denn mehr?
Ich bin dann wie ein Schmetterling,
außen bunt und innen leer.“

Wanderer


An die Morgenröte

Es sind die warmen Tage in den Gärten, die mich davon abhielten, aufzusehen. Es sind Menschen gekommen, Frauen, Männer und auch Kinder, und sie wollten die Beete bebauen, und sie wollten handeln, Hand in Hand. Und so ließ ich alle Pforten öffnen, dass der Frühling beginnen könne und wir die Fruchtbäume pflanzen und die Saaten säen.

Siehe, Du Schöne, so bin ich glücklich, denn die Insel belebt sich mit lachenden Menschen, und bald werden wieder die Apfelbäume blühen in meinem Avalon und die Nebel sich lichten. Es kommt alles an seinen Platz und ich an den meinen.

Bist Du der Fluss, so bin ich wohl Tropfen und Träne, sich in Dir zu verlieren und mit Dir sich in den Ozean zu weiten. Und auch ich werde meine Tanzschuhe aus dem Schrank holen und sie putzen und glänzen lassen, und dann werde ich sie über die Füße streifen und meinen bunten Rock mit den tausend Taschen anziehen und Dich bei Schulter und Hüfte fassen, und dann werden wir wie der Wind über den Dächern des Schnoors tanzen. Und wenn die Nacht anbricht, werden wir uns in die sanft geöffnete Schale des Mondes legen, und er wird unsere Barke unter den Sternen sein.

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

Ja, es ist still auf meiner Insel. Still in dem Sinne, dass die Geräusche der fernen Zivilisation die Insel nicht erreichen. Hier spielt ein anderes Orchester. Es beginnt des morgens mit dem Singen der Vögel, der Amseln, der Buchfinken, der Zeisige, der Stieglitze und was weiß ich noch alles. Darüber das Kreischen der Möwen, das Krächzen der Dohlen, dazwischen das Keckern der Austernfischer, das „Kiuwitt“ des Kiebitzes, dazu das Lachen des Grünspechtes,. Das schwillt am Morgen an, und ich lausche verzückt, und dann gleitet das Singen wieder in eine greifbare Stille. Bis mit dem Flöten der Singdrossel der nächste Satz der Symphonie der Insel angestimmt wird.

Im Frühsommer kommen noch Kuckuck und Teichrohrsänger und die Unken, Kröten und Frösche hinzu, und die gesamte Komposition verliert sich ins Phantastische. Dann verlasse ich meinen Turm so oft ich es vermag und wandle in einer Landschaft der Klänge, Laute und Töne.

Manchmal ist es mit den Bögen um Kerne der Sache doch so wie bei diesem Betrunkenen, der sich Runde um Runde mit den Händen den Weg um die Litfassäule ertastet, um schließlich mit den Worten: „Eingemauert!“ erschöpft und verzweifelt zu Boden zu sinken. Wer weiß schon, wie viele Türme nach hinten offen sind?

„Das Leben ist ein Wagnis.
Ein Brückenbau ins Ungewisse.“

Wanderer



Liebste Morgenröte,

spanne Dein Seil von Turmspitze zu Turmspitze, von Wetterhahn zu Wetterhahn, über Meere so weit, über alle Ufer hinweg. Gestern kam ein Austernfischer zu mir und erzählte mir vom Frühling. Dann ging er fort und kam mit einer wundervoll rosa Herzmuschel im Schnabel zurück. Die legte er sanft in die Schale meiner Hände.

Auch die Wolken des Himmels sprechen in freundlichen Chiffren, und in den Baumkronen der hohen Pappeln das Gewisper flüstert von wohligen Wogen. So wird es wohl sein, denn selbst die an die Ufer getragenen Wellen wünschen uns Mondbadende in Empfang zu nehmen.

Ich werde ins KleinHäuschen gehen und den Tisch Dir decken, ich werde die rotkarierte Decke auflegen und das Geschirr mit den fein gezeichneten Rosenblüten darauf stellen und die Becher mit den ziselierten Blattranken. Auf dem großen Lindenholzbrett dann das duftende Brot, welches aus meinem mit Treibholz beheizten Ofen kommt, gewürzt mit Koriander; dazu Butter und fester Käse und in den Bechern roter Wein, der nach den Küsten des Südens schmeckt.

Ich werde meine Violine wieder hervorholen, und sie nach der fernen Flöte stimmen, und wenn die Insel schläft, werden wir zart unser gemeinsames Lied anstimmen, und die Rosen der Nacht duften dazu und die Nachtigall wird unser Lied mit hohem Gesang begleiten.

Dann werden wir Schweigen und Schauen lernen, und uns die Zeit nehmen, die es braucht,

ich denke, so wird es sein,

Wanderer