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Sonntag, 21. Mai 2023

Zur Erinnerung an Hans Paasche

 



"Das Leid der geschändeten Natur war niemals, seit die Erde besteht, so groß wie jetzt, unter der nichtsschonenden Macht des Welthandels, des Verkehrs, der Industrie. Maßlos sind die im Nehmen, im Verschleppen und im Füttern ihrer Maschinen. Was irgend die Erde an lebender Schönheit und Pracht hervorbrachte, muß ihnen dienen. Solange noch eine Gazelle lebt, deren Fell auf dem Weltmarkt Wert hat, ein Wal im Eismeer, ein Paradiesvogel im Urbusch entlegener Inseln, solange ruht die geschäftige Betriebsamkeit nicht, gepaart mit menschenunwürdiger Gedankenlosigkeit und Kurzsicht. Nicht vor den letzten Trägern von Keimzellen irgendwelcher Art machen die Vernichter halt, die sich rühmen, Organ der Volks- und Weltwirtschaft zu sein. Die es nur sind, solange unter Wirtschaft das Ausbeuten ohne Rücksicht auf die Zukunft verstanden wird.

Wo immer eine schützende Hand sich über lebende Naturschätze ausbreiten kann, da muß sie es jetzt tun. Alle wirtschaftlichen, alle künstlerischen Aufgaben können von den Menschen immer noch gelöst werden, und nichts ist verloren, wenn aber durch unsere Schuld Geschöpfe der Natur ganz vom Erdboden vertilgt werden, das ist nie wieder gut zu machen. Mit jeder Tierart, die uns von Urzeit bis hierher begleitet hat, die unserer Phantasie oft Nahrung war und uns in trüber Zeit wohl selbst zu Nahrung werden musste, verschwindet ein Stück unserer selbst. Da helfe heute, wer helfen kann, und schütze im Tiere den Menschen."

Geschrieben von Hans Paasche in der Zeitschrift Der Vortrupp, 1912 (!)

Hans Paasche, geboren 1881, wandelte sich vom hochdekorierten Kolonialoffizier zum überzeugten Pazifisten. Er engagierte sich in der Lebensreformbewegung gegen die deutsche Kriegs- und Kolonialpolitik. 1918 gehörte er in Berlin dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte an. Am 21. Mai 1920 wurde er von Soldaten eines Reichswehr-Schützenregimentes auf seinem Gut erschossen.



1912/13 veröffentlichte er den den kulturkritischen fiktiven Reisebericht Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, sein bekanntestes Werk, das in den Siebzigern und Achtzigern des letzten Jahrhunderts wohl in jeder Landkommune zu finden war, in der Ausgabe Grüner Zweig Nr. 45 im Packpapier Verlag (so auch in unserer in Elisabethfehn, Ostfriesland angesiedelten, Mitte der Achtziger). Daraus ein zwei Ausschnitte:

„Hier will ich Dir als Beispiel ein Erlebnis mitteilen, das ich hatte. Ein großer Feldherr des Landes wollte sich den versammelten Kriegern zeigen, um ihre Waffenlust in Friedenszeit anzuspornen. Er wollte sich auch dem gemeinen Volke zeigen, und das stand dichtgedrängt auf dem Platze und sah zu. Auch ich war unter dem niederen Volke als Zuschauer. Es war ein heißer Tag. Der Feldherr kam. Er saß auf einem schönen Pferde, hatte dichte und schwere Stoffen um den Leib geschnürt und war auf dem ganzen Körper mit bunten Metallblättchen und Ketten behangen. Auf dem Kopfe hatte er, wie alle seine Krieger, ein umgekehrtes Gefäß, daran waren die Schwänze von weißen Hühnern befestigt. Wo er vorbeikam, schrie das Volk, und der Feldherr mußte dann mit rechten Arm seinen Kopf anfassen, wobei ihm sehr warm wurde. Viele buntbehangene Adlige folgten dem Feldherrn zu Pferde, und allen war sehr warm.

Da erkannte ich, daß der einfachste unter den Zuschauern auch diesen mühevollen Aufwand nur auf sich bezog und sich freier fühlen kann als selbst der bewunderte Feldherr und sein Gefolge. Neben mir sagte ein Mann zu einem anderen: »Du, Emel, komm, laß die man alleene schwitzen, mir jehn pennen.« Aus diesen Worten, die zugleich die Sprechweise einer bestimmten Gegend wiedergeben, wurde mir das bestätigt, was ich Dir heute schrieb: ein jeder sieht die Welt und seine eigne Stellung von der Mitte seines Kreises aus.“

„Du fragst, wozu die Wasungu Wagen gebrauchen und weshalb sie ohne Unterschied hin und her fahren? So denke an den Weg von Niansa nach Rubengera. Jetzt geht dort ein Träger vier Tage, ein Bote zwei. Der Sungu würde einen Eisenbalkenweg bauen, damit dieser Bote in einem Tage hinkommt. Um den Weg zu bauen, müssen viele Tausende von Menschen dorthin gehen und arbeiten und zurückgehen. Andere müssen diesen Nahrung und Brennholz bringen. Die Arbeiter bekommen Lohn. Den wollen sie ausgeben. Deshalb muß ein Inder mit vielen Lasten Stoffen, Mützen, Perlen und Schnaps kommen. Dann ein Sungu, der dabei steht, schreit und aufschreibt. Dann Waren für den Sungu. Dann Träger, die Holz und Steine für ein Haus für die Waren des Sungu bringen. Dann ein Sungu, der diese Waren zählt und aufschreibt und eine Abgabe dafür einnimmt. Auch für den muß ein Haus gebaut werden und ein zweites für den, der aufpaßt, daß der Geldeinnehmer das Geld nicht für sich behält. So sind wir schon mitten in einem »gesunden« Wirtschaftsleben oder in einer »gesunden wirtschaftlichen Entwicklung«. Es kommt dann schon ein Sungu, der von dem Betrieb Bilder macht und ein Buch darüber schreibt. Es wird ein Haus gebaut, in dem die Wagen der Eisenbahn repariert werden. In dem Hause arbeiten Menschen, die mit den Wagen geholt werden. Dazu braucht man Kohle und Holz, die holt man mit den Wagen und heizt die Maschine des Wagens mit Kohlen. Man baut also die Wagen, um Kohlen zu holen und holt Kohlen, um die Wagen zu bauen. Betrieb, Verkehr, Rauch, Lärm und Fortschritt, also das, was die Wasungu Kultur nennen, ist dann im Gange. Auch siedeln sich Kaufleute, Schnapsverkäufer und käufliche Mädchen an, um den Arbeitern das Geld wieder abzunehmen. Weil dann durch die Begehrlichkeit, die in den Arbeitern geweckt wurde, und durch den Schnaps Unordnung entsteht, müssen bewaffnete Aufseher mit den Wagen gebracht werden und andere Männer, die aufschreiben, welcher Art die Unordnung ist und wie das heißt, was die Arbeiter Unordentliches getan haben. Für diese Schreiber aber mu wieder ein Haus gebaut werden, und damit die Arbeiter, die Unordentliches getan haben, nicht nach Hause gehen, bevor alles fertig aufgeschrieben ist, müssen Käfige gebaut werden, in die man die Arbeiter einsperrt, füttert und bewacht. Es muß aber wieder mit den Wagen Kohle und Eisen geholt werden, um die Gitterstäbe der Käfige zu machen. Dann muß Wasser in die Häuser bei Schreiber und Aufseher geleitet werden und künstliches Licht, damit auch nachts geschrieben werden kann, wenn die Natur es verbietet. Dann muß ein Haus gebaut werden für den Mann, der aufschreibt, welche von den Schreibern »Herr Ober« heißen und ein anderes, in dem ausgedacht wird, wieviel jedes Haus bezahlen soll, um die Aufseher und die Schreiber zu bezahlen. Dieses alles nennen sie die »Regierung«. So entsteht eine große Stadt, eine Kulturzentrale, wie die Wasungu sagen, und alles nur, weil ein Bote den Weg von Niansa nach Rubengera schneller zurücklegen sollte. Diese Stadt vergrößert sich und dann müssen mehr Wagen fahren und immer mehr. Dann braucht man Häuser, in denen die Wagen untergestellt werden und wieder Menschen, die diese Häuser bauen, bewachen, zählen und darüber schreiben. Weil aber die Menschen in solcher Stadt und bei solcher Beschäftigung verrückt werden, muß man große Häuser außerhalb der Städte bauen, in die man die Verrückten einsperrt. Dadurch entsteht wieder Arbeit und neues wirtschaftliches Leben. Die aber, die noch nicht ganz verrückt sind, müssen, um nicht völlig verrückt zu werden, sehr oft aus der Stadt hinausfahren, um in der Steppe und im Urwald zu schreien, Blumen abzureißen, Tiere aufzuspießen oder zu verscheuchen. Deshalb fahren wieder sehr viele Wagen mit Menschen hin und her. Außerdem aber müssen in der Steppe und im Urwald Häuser gebaut werden, in denen diese Halbverrückten Schnaps und Rauchrollen kaufen können, und es müssen Kästen aufgestellt werden mit Maschinen, die Radau machen, was die Wasungu lieben. Sie machen dazu viel Rauch, gießen Flüssigkeit in ihren Hals und brüllen sich gegenseitig an. Dann lass n sie Bilder von sich machen mit Trinkgefäßen in der Hand. Damit man aber in der Steppe weiß, wo die Schnapshäuser liegen, müssen an den Wegeecken Schilder aufgestellt werden, auf denen der Name der nächsten Schnapsstelle angeschrieben steht und wie weit es ist. Diese Schilder wieder müssen bewacht werden, damit sie keiner mitnimmt. Dazu werden bewaffnete Wächter angestellt. Für die werden wiederum Häuser gebaut. Weil die Schilder Geld kosten, wird der Weg durch einen Baum versperrt, der nur geöffnet wird, wenn der Wanderer Geld bezahlt. Es muß dann bei dem Baum ein Haus gebaut werden, worin der wohnt, der das Geld einsammelt, und in der Stadt ein zweites, worin der wohnt, der aufpaßt, daß der, der das Geld einsammelt, es nicht für sich behält. Außerdem müssen Wächter aufpassen, daß niemand, anstatt zu bezahlen, um den Baum herumgeht, und wenn viele Halbverrückte kommen, daß sie auf der Seite des Weges gehen, wo die rechte Hand ist. Damit aber die Halbverrückten lesen können, was auf den Schildern steht und wie weit es zu der nächsten Schnapsbude ist, müssen Häuser gebaut werden, in denen ein Mann die Kinder haut, bis sie lesen und zählen können. Das dauert acht Jahre. Auch für den Mann muß ein Haus gebaut werden und ein anderes für den, der aufpaßt, wann dieser Mann soviel gehauen hat, daß er »Herr Ober« heißen darf. Dann eins für den, der auf diejenigen aufpaßt, die sich »Herr Ober« nennen, ohne Erlaubnis zu haben oder Metallplättchen über der Brustwarze tragen, bevor sie das dazugehörige Alter erreicht haben. Damit man aber weiß, wann jemand so alt ist, daß er Metallplättchen tragen darf, müssen die Lebensjahre gezählt werden und Bücher geschrieben, in denen man sehen kann, an welchem Tage jeder einzelne aus dem Leibe seiner Mutter gekommen ist. Deshalb müssen Häuser gebaut werden und müssen Wagen hin- und herfahren, bei Tage und bei Nacht.“


Paasche

Wieder einer, das ist nun im Reich
Gewohnheit schon. Es gilt ihnen gleich.
So geht das alle, alle Tage.
Hierzulande löst die soziale Frage
ein Leutnant, zehn Mann, Pazifist ist der Hund?
Schießt ihm nicht erst die Knochen wund!
Die Kugel ins Herz! Und die Dienststellen logen:
Er hat sich seiner Verhaftung entzogen.
Leitartikel, Dementi. Geschrei.
Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei.
Wieder einer. Ein müder Mann,
der müde über die Deutschen sann.
Den preußischen Geist – er kannte ihn
aus dem Heer und aus den Kolonien,
aus der großen Zeit – er mochte nicht mehr.
Er haßte dieses höllische Heer.
Er liebte die Menschen. Er haßte Sergeanten
(das taten alle, die beide kannten).
Saß still auf dem Lande und angelte Fische,
Las ein paar harmlose Zeitungswische…

Spitzelmeldung. Da rücken heran
zwei Offiziere und sechzig Mann.
(Tapfer sind sie immer gewesen,
das kann man schon bei Herrn Schäfer lesen.)
Das Opfer im Badeanzug… Schuß. In den Dreck.
Wieder son Bolschewiste weg –!
Verbeugung, Kommandos, hart und knapp.
Dann rückt die Heldengarde ab.
Ein toter Mann. Ein Stiller, ein Reiner.
Wieder einer. Wieder einer.

Kurt Tucholsky

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