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Dienstag, 16. Mai 2023

Fritz Oerter: Die freie Liebe

 


Die Publikation "Die freie Liebe" von Fritz Oerter erschien 1924 in dem Berliner Verlag Fritz Kater. Darin heißt es unter anderem: 

Die Liebe muss freiwerden von jedem Zwang, ganz gleich, ob es sich um die Geschlechtsliebe, die Nächstenliebe oder um die allgemeine Menschenliebe handelt. Vorausbedingung dieser freien Liebe ist die Gleichheit der Geschlechter, die Gleichheit der Gesellschaftsmitglieder, die Gleichheit aller Erdenmenschen. Die hauptsächlichste Voraussetzung aber vor allem die Austilgung des kapitalistischen Geistes, der die freien Beziehungen der Menschen in jeder Hinsicht hemmt.

Im Kriege streben die Menschen einander entgegen, um sich Gewalt anzutun und um sich zu töten. In der Liebe streben sie zu einander, um sich gegenseitig Freuden und Liebes zu erweisen, gemeinsame Werke der Arbeit zu schaffen und neue Geschlechter zu zeugen. Es kann daher kaum größere Gegensätze geben als kriegerische Gewalt und friedvolle Liebe. Wir meinen da Liebe in jeglicher Form, als Mutterliebe, Geschlechtsliebe, Nächstenliebe und allgemeine Menschenliebe. Wenn wir von einem guten oder bösen Prinzip sprechen wollen, so müssen wir die Liebe als das gute Prinzip bezeichnen, von dem Freiheit und Licht kommen, während Krieg und Gewalt die Wurzeln jenes Übels sind, von dem Dunkel, Zwang und Knechtschaft drohen.

Die Welt bewegte sich vor dem Krieg (gemeint ist hier der erste Weltkrieg) in den Angeln gewisser geistiger und sittlicher Vorstellungen, die, so verdorben, fragwürdig und rostig sie bereits waren, immerhin noch einen halbwegs geregelten Gang des Lebens ermöglichten. Der Krieg aber hat die Welt aus diesen ihren Angeln gerissen und nun funktionieren die einzelnen Teile nicht mehr recht. Die Zersetzung und der Zerfall schreiten vor. Die Revolution hat bisher diesen schlimmen Prozess nur beschleunigt. Neues aber schuf sie nicht. Geradezu bejammernswert ist die Unfähigkeit der vom Kriege betroffenen Völker, dem Leben einen neuen Sinn und der Welt neue Formen zu geben.

Trittst Du aus Versehen in einen Ameisenhaufen, dann kannst Du beobachten, wie rasch das kleine Gewimmel ans Werk geht, um zunächst zu retten, was noch zu retten ist; und wie geschwind es sich der veränderten Situation anzupassen versteht. Nicht so aber handeln die Menschen, nachdem der Krieg ihre Werke zerstörte. Sie laufen zwar auch wie verwirrt hin und her, aber ihr Tun ist sinn-, zweck- und kopflos. Sie entwirren und lösen die so plötzlich an sie herangetretenen Probleme nicht, sondern vergrößern nur das Durcheinander. Infolgedessen haben alle Formen der kapitalistischen Gesellschaft wie Militarismus, Justiz, Finanzwirtschaft, Religion und Ehe einen merkwürdigen Zug ins Groteske erhalten. Dennoch bewegt man sich in den alten Geistesbahnen weiter, obgleich diese bereits immer phantastischer und gespensterhafter werden.

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Die autokratischen Kapitalistenstaaten haben dadurch, dass sie die Männer in ihren Kriegsbann zwangen, in der rohesten Weise eingegriffen. Sie zerrissen alle Fäden gegenseitiger Liebesbeziehungen zwischen den Geschlechtern, den Rassen und menschlichen Gemeinschaften. Dabei zeigte sich, dass Zwang und Gewalt immer noch viel einflussreicher sind als die „Macht der Liebe“. . . . Und ebenso ergeben schickten sich auch die Männer in ihr Los, um auf Befehl zu den Fahnen zu eilen und im Kampf die Söhne, Brüder und Gatten anderer Frauen zu töten oder von ihnen getötet zu werden. Dass dieses alles so reibungslos und glatt vonstatten ging, ist ein Beweis dafür, dass es vor dem Kriege mit der vielgepriesenen Liebe, der ewigen Treue und der heiligen Ehe sehr schlecht bestellt war, dass alle diese Beziehungen sehr lockerer und fragwürdiger Art gewesen sein müssen, sonst hätten sie sich nicht so leicht zerreißen lassen. Und so war es auch.

Zwang und Liebe schließen einander aus, aber Liebe und Freiheit ergänzen sich.

Fritz Oerter, geboren am 19. Februar 1869 in Straubing als Friedrich Oerter, gestorben am 20. September 1935 in Fürth, Lithograph, Schriftsteller und Buchhändler.

Zunächst trat Fritz Oerter im Jahr 1890 im Alter von 21 Jahren in die SPD ein. Gleichzeitig engagierte er sich für den Anarchismus und schmuggelte gemeinsam mit seinem Bruder Sepp Oerter Agitationsmaterial von den Niederlanden nach Deutschland. Beide Brüder werden im Dezember 1892 in Mainz wegen "aufrührerischer Reden" verhaftet. Fritz Oerter verstand sich als Verfechter der Anarcho-Syndikalistischen Bewegung und als geistiger Nachfolger Gustav Landauers, einem der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten des Anarchismus in Deutschland um die Jahrhundertwende. Zur Zeit des erstens Weltkrieges wurde Fritz Oerter als "Anti-Kriegs-Aktivist" eingestuft und zu 15 Monaten Festungshaft verurteilt.

Seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, die er stets auch in seinen Publikationen zum Ausdruck brachte, und seine Kontakte zum demokratischen Widerstand gegen Nationalismus und Großkapital führte immer wieder zu Verhaftungen. Zuletzt wurde Oerter im Alter von 66 Jahren im September 1935 verhaftet und durch die SA verhört. Während der einwöchigen Haft wird Oerter offensichtlich schlecht behandelt, so dass er geschwächt und gebrochen die Haft verlässt. Kurze Zeit später verstirbt Oerter am 19. September 1935 an den Folgen einer Lungenentzündung im Krankenhaus, vermutlich infolge der Misshandlungen durch die SA und der Haftbedingungen. (Wiki)

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