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Dienstag, 13. Dezember 2016

Briefe an die Morgenröte



Ich grüße die Morgenröte,

nun ist es Nacht, und so wie es Nacht um mich ist, ist es auch Nacht in mir. Kellernacht, und ich weiß es nicht, woher sie kommt, diese Traurigkeit, welche mich besucht in dieser Tiefe.

Draußen steht der Mond als geöffnete Schale am Himmel, und wie Perlen die Sterne, welche sich in diese Schale senken. Das ferne Rauschen der Stadt fast wie das Rauschen eines fernen Meeres, und ich ahne den Strand und den Geruch von Salz in der Luft und das Singen des Windes im Seegras.

Dann taucht vor meinem inneren Auge Aurora auf, wie sie in ihrem Purpurmantel auf Zehenspitzen ihr Schlafgemach verlässt um unter den funkelnden Sternen zu wandeln, und ob aller Traurigkeit muss ich lächeln, und mir wird es leichter ums Herz und frühlingshafter.

So werde ich denn auch hinausgehen und den Garten in der Nacht besuchen und die Sterne schauen, und einjeder wird sein mir ein Augenstern, und in jedem schaue ich Auroras Antlitz, das liebliche. (Und in der Ferne das Rauschen lässt erahnen den großen Gesang).

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

„Wenn wir uns unter Sternen finden,
vom Abend in die Nacht zu geh´n,
um uns mit allem zu verbinden:
Das Leben ist zum Sterben schön.“

Schon lange rumorte der letzte Vers dieses Vierzeilers in meinem Kopfe herum. Nun hast Du ihn hervor gelockt, wie die Sonne die Frühjahrsblüten hervor lockt. Soviel Zärtlichkeit im Wünschen, so viele goldene Perlen im gemeinsamen Band, so sanfte Berührungen wie ein warmer Windhauch.

Ich werde jetzt in den Tag gehen mit der Erinnerung an Frühjahrsduft und Duft von Pfirsichhaut, dort wo Haare und Stirne sich treffen, ist dieser Duft geboren. Und wie ein Nachtfalter Meilen und Abermeilen diesen Duft erahnt, so erahne auch ich ihn, denn in der Ewigkeit vermag es keine Ferne zu geben.

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

So war denn heute in der Frühe noch Rauhreif über den Gärten. Noch hat der Frühling nicht die milde Kraft und Wärme. Noch täuscht eine strahlende Sonne am Tag über die untergründige Kühle. Ist es nicht auch so mit unserer Zeit?

Sind nicht allerorten die bunten Plakate zu schauen, vor denen die Armen die Pfandflaschen heimlich aus den Papierkörben der Stadt fischen?

Doch jenseits von Täuschung und Schein, jenseits von Werden und Vergehen gibt es die heilige Gegenwart. „Der Weise träumt´, er wär ein Schmetterling. Oder träumte der Schmetterling den Weisen?“, so schrieb der Dichter.

Manchmal lege ich ab die Hülle, manchmal streife ich mir gar den Elfenmantel vom Leibe, um in aller Unschuld vor der Sonne oder unter den Sternen mein Lied Dir zu singen.

„Manchmal bin ich nur ein Sänger,
doch was wollte ich denn mehr?
Ich bin dann wie ein Schmetterling,
außen bunt und innen leer.“

Wanderer


An die Morgenröte

Es sind die warmen Tage in den Gärten, die mich davon abhielten, aufzusehen. Es sind Menschen gekommen, Frauen, Männer und auch Kinder, und sie wollten die Beete bebauen, und sie wollten handeln, Hand in Hand. Und so ließ ich alle Pforten öffnen, dass der Frühling beginnen könne und wir die Fruchtbäume pflanzen und die Saaten säen.

Siehe, Du Schöne, so bin ich glücklich, denn die Insel belebt sich mit lachenden Menschen, und bald werden wieder die Apfelbäume blühen in meinem Avalon und die Nebel sich lichten. Es kommt alles an seinen Platz und ich an den meinen.

Bist Du der Fluss, so bin ich wohl Tropfen und Träne, sich in Dir zu verlieren und mit Dir sich in den Ozean zu weiten. Und auch ich werde meine Tanzschuhe aus dem Schrank holen und sie putzen und glänzen lassen, und dann werde ich sie über die Füße streifen und meinen bunten Rock mit den tausend Taschen anziehen und Dich bei Schulter und Hüfte fassen, und dann werden wir wie der Wind über den Dächern des Schnoors tanzen. Und wenn die Nacht anbricht, werden wir uns in die sanft geöffnete Schale des Mondes legen, und er wird unsere Barke unter den Sternen sein.

Wanderer


Ich grüße die Morgenröte

Ja, es ist still auf meiner Insel. Still in dem Sinne, dass die Geräusche der fernen Zivilisation die Insel nicht erreichen. Hier spielt ein anderes Orchester. Es beginnt des morgens mit dem Singen der Vögel, der Amseln, der Buchfinken, der Zeisige, der Stieglitze und was weiß ich noch alles. Darüber das Kreischen der Möwen, das Krächzen der Dohlen, dazwischen das Keckern der Austernfischer, das „Kiuwitt“ des Kiebitzes, dazu das Lachen des Grünspechtes,. Das schwillt am Morgen an, und ich lausche verzückt, und dann gleitet das Singen wieder in eine greifbare Stille. Bis mit dem Flöten der Singdrossel der nächste Satz der Symphonie der Insel angestimmt wird.

Im Frühsommer kommen noch Kuckuck und Teichrohrsänger und die Unken, Kröten und Frösche hinzu, und die gesamte Komposition verliert sich ins Phantastische. Dann verlasse ich meinen Turm so oft ich es vermag und wandle in einer Landschaft der Klänge, Laute und Töne.

Manchmal ist es mit den Bögen um Kerne der Sache doch so wie bei diesem Betrunkenen, der sich Runde um Runde mit den Händen den Weg um die Litfassäule ertastet, um schließlich mit den Worten: „Eingemauert!“ erschöpft und verzweifelt zu Boden zu sinken. Wer weiß schon, wie viele Türme nach hinten offen sind?

„Das Leben ist ein Wagnis.
Ein Brückenbau ins Ungewisse.“

Wanderer



Liebste Morgenröte,

spanne Dein Seil von Turmspitze zu Turmspitze, von Wetterhahn zu Wetterhahn, über Meere so weit, über alle Ufer hinweg. Gestern kam ein Austernfischer zu mir und erzählte mir vom Frühling. Dann ging er fort und kam mit einer wundervoll rosa Herzmuschel im Schnabel zurück. Die legte er sanft in die Schale meiner Hände.

Auch die Wolken des Himmels sprechen in freundlichen Chiffren, und in den Baumkronen der hohen Pappeln das Gewisper flüstert von wohligen Wogen. So wird es wohl sein, denn selbst die an die Ufer getragenen Wellen wünschen uns Mondbadende in Empfang zu nehmen.

Ich werde ins KleinHäuschen gehen und den Tisch Dir decken, ich werde die rotkarierte Decke auflegen und das Geschirr mit den fein gezeichneten Rosenblüten darauf stellen und die Becher mit den ziselierten Blattranken. Auf dem großen Lindenholzbrett dann das duftende Brot, welches aus meinem mit Treibholz beheizten Ofen kommt, gewürzt mit Koriander; dazu Butter und fester Käse und in den Bechern roter Wein, der nach den Küsten des Südens schmeckt.

Ich werde meine Violine wieder hervorholen, und sie nach der fernen Flöte stimmen, und wenn die Insel schläft, werden wir zart unser gemeinsames Lied anstimmen, und die Rosen der Nacht duften dazu und die Nachtigall wird unser Lied mit hohem Gesang begleiten.

Dann werden wir Schweigen und Schauen lernen, und uns die Zeit nehmen, die es braucht,

ich denke, so wird es sein,

Wanderer

Sonntag, 20. November 2016

Der Weltenwanderer

Ich habe mir ein Sternenschiff gebaut,
      nach den alten Gesetzen.
Es ist ein durchschimmernd Schiff
      aus Rhythmus und Klang,
Groß ist sein Segel, und es glänzt
      weiß durch die Nacht.
Sanft gleite ich damit die ewige
      Bildwelt entlang,
Im Rhythmus des Atems,
      im Schwingen der Welt.

Ich bin ein Fischer im Strom der Gedanken,
      Vertrauter der Geister.
Ich werfe meine Netze
       in das Meer Unendlichkeit,
Meine Netze, geflochten aus
       der Seide der Tagträume,
Geflochten aus den Ahnungen
       einer weit geöffneten Seele.
Ich bin ein Lauscher am
       Rande des Meeres der Zeit,
Ich warte, ich atme im Tanz
       der Gezeiten.

Ich bin ein Stein, aus tausend
       Träumen einst erwacht,
Ich bin eine Pflanze der Nacht,
       mit weißduftenden Blüten,
Ich bin ein schnelles Tier
      im gelben Wüstensand,
Ich bin ein Mensch, treibend
      durch die Städte der Endzeit,
Ich bin ein. . .

Die Tage meiner Sehnsucht
      sind gezählt!



Mittwoch, 17. August 2016

Lunatic - Morgenhimmel




Lunatic: Morgenhimmel

Neuzugang in der Bibliothek der Alten Schule Fredelsloh: Das Buch „Chinesische Märchen  - gesammelt und aus dem Chinesischen übertragen von Richard Wilhelm“. Richard Wilhelm (1873 – 1930) ist mir bekannt als einer der Übersetzer des Tao Te King von Laotse. Seine Fassung dieses Weisheitsbüchleins bekam ich als erste zu fassen, und sie ist seither die für mich persönlich maßgebliche. Hermann Hesser schrieb zu der Übersetzung der Chinesischen Märchen: „Diese Geschichten erzählt sich das Volk, sie gehören nicht jener geheimnisvollen, hinter zehn Mauern verzauberten Literatur an, die niemand lesen kann, sondern sind lebendig und gehen noch heute von Hand zu Hand.

Während unsere Märchen oft mit den Worten enden: „Dann lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende“, finden sich in Chinesischen Märchen oft solche Schlusstücke: „Damit verließ er sein Haus und wanderte in Muße. Er erlangte die Unsterblichkeit und verschwand.“ Das liegt daran, dass viele der von Richard Wilhelm gesammelten Märchen einen taoistischen Hintergrund haben. Darunter sind einige Wundergeschichten, deren Bildwelten wahrhaftig in andere Welten weisen, ähnlich der Bilder der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit denen ich diesen Blogartikel garniert habe.

Ich habe einige Auszüge aus dem Märchen „Morgenhimmel“ gewählt, eine Geschichte von einem Knaben, dessen Lebensschicksal seltsam begann: „Es war einmal ein Mann, der war schon zweihundert Jahre alt; aber er war noch immer frisch und stark wie ein Jüngling. Da gebar ihm seine Frau ein Kind, und als das Kind drei Tage alt war, starb sie. Der Vater gab das Kind der Nachbarin und sagte, sie solle dafür sorgen. Dann ging er fort vom Hause und verschwand.“

Gelesen hatte ich dieses Märchen in der letzten Vorvollmondnacht, so recht „lunatic“, wie die Engländer sagen würden, und der Fastvollmond schien wahrlich helle durch die Fenster.



Aus: Morgenhimmel

„Wo bist du das ganze Jahr gewesen?“

Der Knabe sprach: „Ich war nur geschwind am Purpurmeer. Dort wurden meine Kleider vom Wasser rot. Deshalb ging ich an die Quelle, wo die Sonne einkehrt, und wusch die Kleider mir. Am Morgen ging ich fort. Zu Mittag kam ich wieder. Was sprichst du denn von einem Jahr?“

Die Frau fragte weiter: „Und wo kamst du denn vorüber?“

Der Knabe sprach: „Als ich meine Kleider gewaschen hatte, da ruhte ich ein wenig in der Totenstadt und schlief ein. Der Königvater des Ostens gab mir rote Kastanien und Morgenrotsaft zu essen. Nun war ich satt. Dann ging ich zum dunklen Himmel und trank vom gelben Tau. So war auch mein Durst gestillt.“  . . .


„Woher weißt du das?“ fragte der Kaiser.

„Als Knabe bin ich einmal in einen tiefen Brunnen gefallen, aus dem ich viele Jahrzehnte lang nicht mehr heraus konnte. Da war ein Unsterblicher, der führte mich zu diesem Kraut. Man muss aber durch rotes Wasser, das ist so schwach, dass keine Feder darauf schwimmen kann. Alles, was darauf kommt, sinkt in die Tiefe. Der Mann zog einen Schuh aus und gab ihn mir. Auf dem Schuh fuhr ich über das Wasser, pflückte das Kraut und aß es. Die Leute an jenem Ort weben Matten aus Perlen und Edelsteinen. Sie führten mich in einen Raum, davor war ein Vorhang aus einer bunten, dünnen Haut. Sie gaben mir ein Kissen aus schwarzem Nephrit geschnitzt, darauf war Sonne und Mond, Wolken und Donner eingeschnitten. Sie deckten mich zu mit einer feinen Decke, die war aus den Haaren von hundert Mücken gesponnen. Diese Decke ist ganz kühl und im Sommer sehr erfrischend. Ich befühlte sie mit der Hand, da schien sie mir aus Wasser zu sein; als ich näher zusah, da war es lauter Licht.“


Einst berief der Kaiser alle seine Magier, um mit ihnen über die Gefilde der Seligen zu reden. Auch Morgenhimmel war dabei und erzählte: „Ich wanderte einmal am Nordpol und kam zum Feuerspiegelberg. Dort scheint weder Sonne noch Mond. Es ist aber ein Drache da, der hält einen feurigen Spiegel im Maul, das Dunkel zu erleuchten. Auf dem Berge ist ein Park; darinnen ist ein See. Dort wächst das Schimmerstengelgras, das leuchtet wie eine goldene Lampe. Bricht man es ab und braucht es als Kerze, so kann man alle sichtbaren Dinge sehen und dazu die Gestalt der Geister. Auch das Innere der Menschen kann man damit durchleuchten.“


Der Kaiser fragte, was denn das Glückswolkenland sei. Morgenhimmel erwiderte: „Dort ist ein großer Sumpf. Die Leute weissagen aus Luft und Wolken Glück und Unglück. Steht in einem Haus Glück bevor, so bilden sich in den Zimmern fünffarbene Wolken, die lassen sich auf Gras und Bäumen nieder und werden zu farbigen Tau. Der Tau schmeckt süß wie Most.“




Als Morgenhimmel gestorben war, berief der Kaiser den Sterndeuter und fragte: „Kanntest du Morgenhimmel?“

Der sagte: „Nein.“

Der Kaiser fragte: „Was verstehst du denn?“

Der Sterndeuter sagte: „Ich kann nach den Sternen sehen.“

„Sind alle Sterne an ihrem Platz?“ fragte der Kaiser.

Ja. Nur den Stern des großen Jahres habe ich achtzehn Jahre nicht gesehen. Jetzt aber ist er wieder sichtbar.“

Da blickte der Kaiser zum Himmel auf und seufzte: „Achtzehn Jahre lang war Morgenhimmel mir zur Seite, und ich wusste nicht, dass er der Stern des großen Jahres war.“


Die Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch auf FaceBook: 

Sonntag, 24. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Utopia



Heute morgen wieder Rauhreif auf den Wiesen. Ich ging herum und schaute mir das an, und dabei wehte mich ein Thema an, über welches ich eine Weile nachdachte: Was ist eigentlich meine Utopie? Gibt es sie, und was stelle ich mir vor? Etwas Ideales, was vielleicht nicht erreicht werden kann. Nun, meine Utopie ist von meinem Leben geprägt, oder anders herum, meine Utopie hat mein Leben geprägt. Ich wollte dies: Ein Leben in den Gärten in Gemeinschaft. Dahinter der Gedanke, dass, wenn alle Menschen einen Teil ihrer Zeit in den Gärten verbringen würden, mit der würdevollen Handarbeit der Lebensmittelerzeugung, dann gäbe es mit der Verteilung kein Problem. 

Das ist sicher utopisch, und ich höre schon viele aufstöhnen, dass er oder sie gar keine Lust hat, sich mit schwarzer Erde die Hände zu beschmutzen, oder auch: "Als Kind hab ich schon genug im Garten arbeiten müssen, nie wieder!". Weil ich diese Reaktionen zur genüge kenne, verschone ich die Menschen meist mit meiner Utopie. Es ist halt die meine, etwas paradiesisches haftet für mich daran. Eine andere Definition von "Paradies" als die gängige, die eher so eine Art Schlaraffenland der Untätigkeit meint. Doch es ist ein Paradies, und auch im Ursprungsgedanken steht, dass Gott den Menschen in das Paradies entließ, dass er es bebaue und bewahre. Also nichts von "Hier fliegen euch die gebratenen Tauben ins Maul!"

Nun hege ich noch eine andere Utopie, eine die in einem gewissen Sinne unutopisch ist, da sie in historischer Zeit stattgefunden hat, und damit belegt worden ist: Die Konsensdemokratie. Einige Völker der nordamerikanischen Natives lebten diese, zum Beispiel der Irokesenverbund. Nun hat diese Art der Demokratie einen Haken: Sie verschlingt viel Zeit, da Entscheidungen immer wieder durch die Gremien gehen müssen, bis eine Einigkeit hergestellt ist. Und: Sie bedingt eine Erziehung zum Mitreden schon von Anfang an. 

Mit anderen Worten, meine Utopien lassen sich nicht einfach über die heutige Situation überstülpen, und, sie sind von sehr vielen Menschen nicht gewünscht. Da eine Konsensdemokratie ja keine Konsensdemokratie mehr ist, wenn sie befohlen wird, ob von einem Diktator oder einer Mehrheit, ist da egal, wird das wohl Utopie bleiben. 

Dann noch mein dritter utopischer Gedanke: Neben der Handarbeit in dem so wichtigen Teil des Lebens, der Ernährung, und der zeitfressenden Konsensfindung bei allen Entscheidungen, welche die Gemeinschaft betreffen, ist da noch der Wunsch nach unendlichem Wachstum in mir. Nein, kein solches Wachstum in der Materie, expotenzielles Wachstum, da wäre dann die Wasserstoffbombe, die zeigt, was dann geschieht. Ein Wachstum in die Qualität. In die Qualität der Gespräche, des Erzählten, des Gedachten. In die Qualität des handwerklich Erarbeiteten. Und ein unendliches Wachstum in die Phantasie, da kein Mensch mehr unerhört bleibt. 

Das also wären die drei Fundamente meines Utopias: Handarbeit, Konsensfindung und unendliches Wachstum in die Qualität. Ich könnte dazu mehr ausführen, doch ist mir gar nicht danach. Mich selber haben diese drei Fundamente zu dem Leben geführt, welches das meine ist. Nicht perfekt, nicht in Ausschließlichkeit, eher so, wie es ein spanisches Sprichwort beschreibt: "Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, doch sie weisen einem den Weg!"

Bei denjenigen, die bis hierhin mit gelesen haben, bedanke ich mich herzlich. Es fiel mir nicht einfach, das zu schreiben, eigentlich möchte ich meine Utopie für mich behalten, denn wenn sie erst einmal von vielen Seiten diskutiert wird, zerfällt sie zusehens. Das haben Utopien so an sich. So möge sich jede und jeder nach der eigenen Utopie fragen. Wenn es diese denn gibt. 

Mittwoch, 20. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Nichts ist. . .



"Nichts ist
- sagt der Weise.
Du lässt es erstehen.
Es wird mit dem Wind
Deines Atems verwehen
Unmerklich und leise.
Nichts ist. Sagt der Weise."

Mascha Kaléko

Wenn ich aus dem Inneren der Stadt zurück ins Dorf und  in die Gärten komme, dann atme ich tief durch und schaue mich in aller Ruhe um.

Ist es noch hell, dann schau ich nach den liebenswerten Pflanzen, die ruhig und beharrlich in den Beeten stehen. Ist es dunkel, dann schau ich nach den liebenswerten Sternen, die ruhig und beharrlich am Himmel stehen.

Dann fällt nach und nach die Erinnerung der Hektik der Stadt von mir ab. Die Welt zeigt wieder ihr friedliches Antlitz.

Blicke ich zurück auf das in der Stadt erlebte, dann kommt es mir vor, als blicke ich auf einen sonderbaren, kaum fassbaren Traum zurück. In dieser eigentlich so nach innen gerichteten Zeit kommen mir die Menschen vor, als wären sie auf der Flucht, vor was auch immer. 

Dann möchte ich ihnen gerne die oben genannten Verse in die Herzen senden. "Nichts ist. . ."

Dienstag, 19. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Realitäten-Besitzer


Beim Schlendern über einen Kirchhof in Niederösterreich fiel mir folgende Inschrift auf einer Grabplatte auf: "Hier ruhet Josef Wegl / Realitäten - Besitzer". Das Wort ließ mich Schmunzeln: "Realitäten - Besitzer". Wird der Begriff gegoogelt, ergibt sich folgende Auflösung: "Das ist kein Berufsstand. Realitäten ist ein anderes Wort für Immobilien, also Häuser oder Grundstücke oder einfach nur Land."  So in etwa hatte ich es schon vermutet. Doch auf dem Spaziergang zurück zu unseren Gastgebern ließ mir das Wort keine Ruhe. Immer wieder musste ich darüber nachdenken. "Realitäten - Besitzer".

Allein die Mehrzahl des Wortes Realität finde ich entzückend. Sie impliziert, dass es nicht nur mehrere Realitäten gibt, sondern auch, dass ich deren mehrere besitzen kann. So schaue ich mir meine Realitäten einmal an: Da ist mein KleinHäuschen. Es gehört mir und somit ist es sogar im engeren Sinne des Wortes eine Realität. (Wenn ich später einmal ruhen sollte, möchte ich auch diese Bezeichnung auf meiner Grabplatte). 

Die nordamerikanischen Indianer nun, welche von den weißen Realitätensuchern überrascht wurden, kannten kein Eigentum an Grundstücken, Häusern und Land. Sie lebten gewissermaßen außerhalb der weißen Realitäten, und das ist ihnen nicht gut bekommen. Ihre inneren Realitäten schlugen nicht zu Buche. 

Eine meiner Ausbildungskollegen hatte jedes Mal, wenn jemand sagte: "Das ist mein!" einen Spruch zur Antwort: "Schließ die Augen! Alles, was du dann siehst, das ist dein!" Er fand dieses Sprüchlein so lustig, dass er es bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit anwendete. Nun, mancher Acid-Head war entzückt oder entsetzt über die Fülle der Realitäten die ihn bei geschlossenen Augen heimsuchten. Bei geschlossenen Augen lassen sich Bilder schauen, und wenn ich intensiver die zarten Hände der Liebsten auf der Haut spüren möchte, schließe ich die Augen. Oder wenn ich mich ganz dem Genuss des Musikhörens hingeben möchte oder die Aromen eines leckeren Gerichtes ganz auf der Zunge zergehen lasse. Sind also diese Dinge die eigentlichen Realitäten? Ich selber vermute schon. Wusste doch schon meine Großmutter: "Nackt werden wir geboren und nackt gehen wir wieder". 

Da mag ich noch sosehr Realitäten - Besitzer im Äußeren sein, am Ende nehme ich nur das mit, was ich bei geschlossenen Augen sehen (und fühlen) kann. Nicht umsonst gibt es den Brauch, einem Toten die Augen zu schließen als letzte Liebesgabe. Bei geschlossenen Augen sind die Realitäten realer. Die, welche ich eigentlich besitze, wenn der Ausspruch des Kollegen dann Wahrheitsgehalt hat.

Es gibt eine Vielzahl von Realitäten, sonst ließe von diesem Wort wohl kein Plural formen. Auch das eröffnete mir das Nachdenken über den Begriff auf der Grabplatte. Wenn ich meinen Abenddienst in einem öffentlichen Haus tätige, läuft in einem Gemeinschaftsraum der Fernseher nebenbei. Wir sind angehalten, darauf zu achten, dass dort immer der gleiche Nachrichtensender läuft. So sind meine beiden Dienste in der Woche auch immer meine Fernsehstunden, in denen ich eine mir fremde Realität bestaunen kann. 

Dieser Nachrichtensender hat nämlich so seine Eigenheiten. Einmal gibt es alle halbe Stunde das, was er in seinem Namen führt: Nachrichten. Dann gibt es selbstverständlich vor und nach diesen Nachrichten die allgegenwärtige Werbung, dazwischen werden sogenannte Dokumentationen gesendet, die, wissenschaftlich verbrämt, wohl ein Abbild der Realität liefern sollen. Es ist eine sehr männliche Realität, die dort in der Regel gezeigt wird: Die größten Maschinen, die ausgefuchstesten Kriegsgeräte, dann Expeditionen in Urzeiten, wo brüllende Bestien herumlaufen, selbst wenn Insekten gezeigt werden, was selten vor kommt, scheinen auch diese brüllende Bestien zu sein. Dann wieder Polizeieinsätze in den von kriminellen Banden beherrschten Innenstädten in einigen Gegenden der Vereinigten Staaten, dann wieder etwas über die Entstehung der Welt, welche bekanntlich mit einem Big Bang begann, oder wieder Reportagen über mögliche Weltuntergänge durch Eiszeiten, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche und Tsunamiwellen.

Sowohl in den Nachrichten als auch außerhalb blitzt und kracht es, und wenn einmal etwas Bedeutendes geschieht, gibt es den Liveticker, wo neben Börsen- und Sportergebnissen eben auch der Fortgang der Ereignisse zum Beispiel in den Ruinen von Fukushima erscheint. In den eigentliche Nachrichten heißt es dann: "Die Regierung gibt erst einmal Entwarnung. Bleiben sie dran!", und dann können wieder knallige Vulkanausbrüche begutachtet werden, während unten im Liveticker die "reale" Katastrophe ihren Fortlauf nimmt. 

Die Realität, welche mir dort vermittelt wird, ist eine andere, wie die, in der ich mich bewege, wenn ich zum Beispiel im Garten arbeite, die duftenden Äpfel ernte, die Bäume beschneide, die warme Frühjahrssonne genieße. Es ist auch eine andere als die, in welche mein Sohn eintaucht, wenn er mit Freunden zusammen eines dieser Internet-Spiele spielt. Und eine andere als die, welche eine mit mir befreundete Sozialpädagogin erlebt, die mit Langzeitarbeitslosen arbeitet. Und. . . und. . . und. . .

So werden wir wohl alle zu Realitäten - Besitzerinnen und  - Besitzern, und jede und jeder hat so seine eigene. manchmal beschleicht mich das Gefühl, wenn ich darüber nachdenke, dass "Realität" etwas sehr Subjektives ist. Dem wiederum wird die Mehrzahl gerecht: "Realitäten". Ich schließe dann mal die Augen. . .

Montag, 18. April 2016

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: Möglichkeiten

 "Sie (die Seminolen, Native Americans) scheinen frei von Wünschen und Begehren zu sein. Kein grausamer Feind zum Fürchten; nichts, das ihnen Beunruhigung bereiten könnte, außer den allmählich zunehmenden Übergriffen der Weißen. Solcherart sich behauptend und ungestört, erscheinen sie munter und frei wie die Vögel in der Luft, und wie diese fröhlich und tatendurstig, harmonisch und lärmend. Der Anblick, die Bewegungen und das Verhalten der Seminolen stellen das meist beeindruckende Bild von Glücklichsein in diesem Leben dar; Vergnügen, Lebenssinn, Liebe und Freundschaft, ohne Tücke oder Erregungszustände, scheinen ihnen angeboren oder in ihrer lebendigen Geisteshaltung vorherrschend zu sein, denn sie verlassen sie erst mit dem letzten Atemzug."

William Bertram, 1739 - 1823, "Reisen durch Nord- und Süd-Carolina, Georgia, Ost- und West-Florida, das Cherokee Land etc.."

"Willst du denn wirklich zurück zu dem Leben der Natives?", werde ich oft gefragt. Nein, ich will nirgend wohin zurück, nicht in die Steinzeit, nicht zur Natur, nicht ins Mittelalter und nicht zurück in den Mutterbauch. "Alles Vergangene endete im heute". 

Das obige Beispiel aus historischer Zeit zeigt mir jedoch, dass es auch im Menschen angelegt ist, ein solches Leben zu führen. Ich möchte hier jetzt nicht auf die Frage hinaus, ob der Mensch prinzipiell gut oder böse sei. Ob das "sogenannte Böse" etwa in den Genen angelegt sei. Ich möchte "den Menschen", und damit mich selber auch, nicht auf irgendeine Stereotype festlegen.

Doch dass es so glücklich lebende Menschen wie die Seminolen gab, bezeugt, dass es uns Menschen, und damit auch mir, prinzipiell möglich ist, ein solches Leben zu führen. Glücklichsein in einer Gemeinschaft ist in uns angelegt. 

Das wiederum finde ich beruhigend. Und ich folge dieser Spur lieber, als der des "sogenannten Bösen". Warum? Einfach, weil ich mich damit wohler fühle.

Sonntag, 17. April 2016

Den Trommelschlag verstehen

Andrea Rausch: Portal zu zwei Welten zugleich


Sagte Ho-schan: 

"Wer übend lernt, den nennen wir Hörer. Wer ausgelernt hat, denn nennen wir Nachbar. Wer über diese zwei hinaus gelangt ist, den betrachten wir als einen, der in der Wahrheit darüber hinaus ist."

Ein Mönch trat vor und fragte:

"Was bedeutet `In der Wahrheit darüber hinaus`?"

Sagte Ho-schan:

"Den Trommelschlag verstehen"

Aus: Bi-Yän-Lu: Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand (Übersetzt von Wilhelm Gundert)

Das Ölbild "Portal zu zwei Welten zugleich" ist von der Fredelsloher Künstlerin Andrea Rausch, mit freundlicher Genehmigung
Andrea Rausch auf Facebook:

https://www.facebook.com/profile.php?id=100011225959703&fref=ts



 

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche: An der Zeit


Manchmal ist es noch nicht so weit. Da treibt mich ein Thema um, ist in den Gedanken und den Gefühlen immer wieder präsent und möchte ans Licht, doch in dem Augenblick, wo ich mich hinsetze, um dem Ganzen sprachlichen Ausdruck zu verleihen, entgleitet mir das Thema, und kein Wort erscheint geschrieben auf dem Bildschirm. Stirne blank, alles weg. Oder, wie Heinz Rudolf Kunze es einmal in einem seiner Lieder formulierte: "Was für´n Glück / Wenn die Stirn / spiegelglatt wie das Hirn / ich denke gar nichts / alles klar!"

Es gab Zeiten, da fürchtete ich, dass mir diese Formulierungen und Gedanken für immer entgleiten, dass sie in ein großes schwarzes Gedankenloch verschwinden, und auf immer ungreifbar werden. Heute weiß ich: Mit einigen ist es so. Doch das sind die Unwesentlicheren. Das wirklich wirklich Wichtige kommt zurück. Und dann ist auch die Zeit gekommen, darüber zu berichten. 

Oft kommt es dann gereift und bereinigt zurück, und, eine weitere Beobachtung, es findet Anklang. Mit einem Male ist es ein Thema, dass, wenn ich darüber berichte, es in vielen Seelen etwas zu schwingen bringt. "Darüber denke ich auch gerade nach!" höre ich dann. Besonders mit der Liebsten besteht da eine Korrelation, die immer wieder verblüffend ist.

So übe ich denn Gelassenheit. Und ich gewähre den Themen die Freiheit, dann zu mir zu kommen, wenn es an der Zeit ist.