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Donnerstag, 8. Dezember 2022

Anmerkungen zu einem Gedicht von Walther Eidlitz

 



aus: Die Aktion 1917

Walther Eidlitz, geboren am 28. August1892 in Wien; gestorben am 28. August 1976 in Vaxholm in Schweden) war ein österreichischer Schriftsteller im Bereich von Lyrik, Erzählung und Drama. Später widmete er sich dem Studium der Geistesgeschichte Indiens.

Im Hinblick auf sein Interesse an der indischen Religion und Philosophie verließ er seine Familie in Wien und reiste nach Indien, wo er von 1938 bis 1946 und von 1950 bis 1951 auf der Suche nach Got  lebte. Als Österreicher wurde er während des Zweiten Weltkrieges in Indien interniert. 1946 zog Eidlitz nach Schweden, wo er auch starb. (Wiki)

Dieses Gedicht tauchte in einer Ausgabe von Franz Pfempferts Zeitschrift Die Aktion von 1917 auf, gefolgt von der Rubrik Verse vom Schlachtfeld, worin sich dann solche Zeilen fanden:

Gott stürzt, Gott fällt, / Mit ihm das All. / Aufflammt die Welt / Gott stirbt und Gott ist tot / Sein Werk zerschellt, / Gerichtet durch / Warum. (Ernst Rieser)

Urlaubsende / Bald ist nun wieder endlose Qual! / Heimweh ist tief in uns, / müde, gebrochene Wünsche umstehen uns / und schlagen in grauen, wimmernden Nächten / die verglommenen Augen auf. (Edlef Köppen)

Dann wieder, in einer vorangegangenen Ausgabe, mitten in den Versen vom Schlachtfeld dies von Walther Eidlitz:

Und wieder vor diesem und nach diesem Gedicht Zeilen solcherart: „Tags fließen oft aus dem großen Dunkel Deiner Augen / die zerrissenen Chausseen, / die nächtlich unter uns zuckten. (Edlef Köppen)

Tornister zerfetzte. . . / . . . / In den Trichtern gekauert, Menschen wie Lehm- / klötze; immer ist Wasser in den Stiefeln, Bart / wuchs, wilder Stahlhelm, nur Augen flim- / ern: „Ich lebe noch.“ (Rudolf Hartig)

Wenn eure Kreatur einanderfraß, / Ob nicht Gefühl bei ihrem Kriege saß? // Doch. . Straßenbäume. . stehn entwaldet, stier, / Laternengleich, fast lichtlos, einzeln: Wir!“ (Alfred Wolfenstein)

Dass der mutige überzeugte Pazifist Franz Pfempfert seine Zeitschrift Die Aktion ohne Zensur durch die Kriegsjahre 1914 - 1918 gesteuert hat, finde ich immer wieder beeindruckend. Doch diese Konstellation von Texten hat mich persönlich noch betroffener gemacht, als die von ihm veröffentlichten Verse vom Schlachtfeld ohnehin. Und ja, ich denke, kaum etwas ist wichtiger, als zu sagen: „Sie könnten Gärten haben / Und Felder und eigenen Wein“.

Das Bild ist von August Macke, geboren 1887, er „fiel“ am 26. September 1914 bei Pertes-lès-Hurlus, Champagne.



Mittwoch, 7. Dezember 2022

Das gönn ich ab und zu mal allen. . .

 


         
       

(Das Bild ist von Pere Borrell del Caso (1835 - 1910) und trägt den Titel „Flucht vor der Kritik“)



Donnerstag, 1. Dezember 2022

Die Reise des Tenderenda nach Ninidanda - Eine Collage

 

Die Reise nach des Tenderenda nach Ninidanda -  Eine Collage

 

Frühjahr 1967, die Beatles sind dabei, ihr Album Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band aufzunehmen. Für den Song Being fort he benefit of Mr Kite schwebte John Lennon eine echte Kirmes­stimmung vor. Im Archiv der Abbey Road Studios fanden sich Tonbänder mit Ausschnitten von Märschen, gespielt von Dampf- und Jahrmarktsorgeln. Kopien dieser Bänder wurden von Toningenieur Geoff Emerick in kleine Schnipsel zerschnitten und willkürlich wieder zusammengeklebt. Heraus kam dabei eine chaotische Klangcollage, die Lennon gefiel. Teile dieses Bandes wurden unter das Ende des Liedes gemischt und lassen es ausklingen. Es gibt eine Lesart dieses Vorganges, die besagt, dass Emerick die Schnipsel in die Luft warf und dann wieder zusammen fügte. Das wäre dann dem Vorgehen der ersten Dadaisten geschuldet, die ähnliches mit Zeitungsschnipseln taten.

 

Tenderenda, der Phantast ist das alter ego des Schriftstellers und Dichters Hugo Ball. Zusammen mit seiner späteren Frau Emmy Hennings hob er Februar 1916 in Zürich das Cabaret Voltaire aus der Taufe, das war die Gründung von Dada. So ist diese „Reise nach Ninidanda des Tenderenda  -  Eine Collage“ auch eine Hommage an Hugo Tenderenda Ball selbst.

 

Verwendet wurden in dieser Collage Schnipsel von: Augusto Giacometti, Sarah Stilwell Weber, Léon Spilliaert, Hugo Ball, Luisa Francia, Neu!, Karlheinz Martin, Stefania Buzatu, Dave McKean, Aldous Huxley (Klaus Buhlert), Albert Einstein with Elsa (driving a flying car), Monty Python, Arthur Browns Kingdome Come, Len Lye, Eroc, Synapson & Bonga, Alan Ginsberg, Johann Wolfgang von Goethe, Väter der Klamotte, Sebastian Droste, Władysław Starewicz, Tangerine Dream, Gusto Gräser, White Noise ( feat. Delia Derbyshire), Oskar Maria Graf, Peter Thomas Sound Orchester, Ash Ra Tempel with Timothy Leary, Sally Rand, Charly Chaplin, Mythos, The Beatles, Richard Wilhelm (Übersetzer), Ken Kesey, Gary Snyder, Hans Leybold, Der Club der toten Dichter, Hector Hoppin and Anthony Gross, Moondog und anderen (falls ich jemanden vergessen haben sollte).

 

Einige Anregungen habe ich Joachim Deicke zu verdanken und seiner Pops tönender Wunderwelt.

Dingefinders LYRA: LYRA ist die Abkürzung für LYrikRAdio und bezieht sich auf die Audiospur. Die Bilder sind für YouTube dazu gekommen. Das Projekt verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke, weder der Blog (Die Anderen Seiten) noch der YouTube-Kanal sind monetarisiert. Die Reihe wird fortgesetzt.

Zum Geleit

Wo wäre denn Ninidanda? Ach, immer werden die richtigen Fragen nicht gestellt. Das ist seit altersher bekannt. Vielleicht wäre es sinnvoller, erst einmal zu klären, was Ninidanda eigentlich sei. „Seien wir neu und erfinderisch von Grund aus. Dichten wir das Leben täglich um.“, schrieb Hugo Ball in seinen Aufzeichnungen „Flucht aus der Zeit“. Das ist ungefähr hundert Jahre her. Es ist an der Zeit, nicht mehr zu flüchten. Es ist an der Zeit einen Ort in der Zeit zu finden. „Zeit ist eine Illusion, doch je mehr du davon hast, um so realer wird sie“ (Luisa Francia)

 

Hinter uns liegen ein paar Milliarden Jahre Entwicklung und ein bisschen Ewigkeit. Das ist viel. In der Fülle immer hungrig. Das ist schade. Ein Ort in der Zeit. Ich beginne die Reise. Jederzeit.

 

"Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache" (Kurt Schwitters) Doch vielleicht ist die Collage die Kunstform der allgegenwärtigen Ewigkeit.

 

Tenderenda

 

Ein astrales Märchen. Eine Art himmlischen Puppenspiels. Drei Teile lassen sich deutlich unterscheiden. Der erste: ein mystisches Erlebnis der Eheleute Goldkopf. Eine weiße Lawine kommt ihnen zu Besuch, eine sich steigernde Reinheit und Helle wächst ihnen zu. Ihr Haus liegt über dem Abgrund und an der Fabelwiese, auf der der Buchstabenbaum einhergeht. Das ist jener Baum, von dem die poetischen Adam und Evas essen. Zärtliche Allegorien in Tiergestalt treten auf. Traumhaft die Notenständer des Lachens, die Tenderenda bei Lebzeiten verteilte. Der zweite Teil ist die Ballade von Koko dem grünen Gott. Das ist der Phantastengott. Von ihm kommt alle Glückseligkeit, solang er in Freiheit die Flügel schwingt. Setzt man ihn aber gefangen, so rächt er sich durch Verzauberung derer, die ihm die nächsten waren. Der dritte Teil ist ein Epilog des Ehepaars Goldkopf. Es schüttelt den Staub seiner Zeit von den Füßen und prophezeit ein Ende der Gottlosen und der Verzauberung. Den Kehraus macht, wie es recht und billig ist, ein Vers des Herrn Dichterfürsten Johann von Goethe.

Du kleiner Schelm du!
Daß ich mir bewußt sei,
Darauf kommt es überall an.
Und so erfreu ich mich
Auch deiner Gegenwart.

Und hast du mit Staunen
Das Leuchten erblickt,
Ich lieg dir zu Füßen,
Da bin ich beglückt!

Goethe Aus: Gedichte, West-östlicher Divan, das Schenkenbuch und Sehnsucht, letzter Vers und. . .

Man schreibt Sommer 1914. Eine phantastische Dichtergemeinde wittert Unrat und faßt den Entschluß, ihr symbolisches Steckenpferd Johann rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Wie Johann sich erst sträubt und dann einwilligt. Irrfahrten und Hindernisse unter Führung eines gewissen Benjamin. In fernen Ländern begegnet man dem Häuptling Feuerschein, der sich als Polizeispitzel entpuppt. Daran geknüpft historiologische Bemerkung über die Niederkunft einer Polizeihündin in Berlin.


. . .  die ihre Uhren vom Dach schmissen um eine Ewigkeit jenseits der Zeit
zu wählen. . .

Aus: Allen Ginsberg  -  Howl

Träumte durchs Leben zurück, durch deine Zeit – und meine, die auf den Weltenbrand, immer schneller, dahinjagt,
den allerletzten Moment – die Blume brennt im Tag – und was danach kommt. . ..

Allen Ginsberg Kaddish

 Ich selbst, jedenfalls, vielleicht so alt wie das Weltall – und das stirbt wohl mit uns – genug, um alles Kommende auszulöschen – Was immer auch kam, ist immer auf ewige Zeiten vergangen . . .

 Allen Ginsberg, Kaddisch

Ich selbst, jedenfalls, vielleicht so alt wie das Weltall – und das stirbt wohl mit uns – genug, um alles Kommende auszulöschen – Was immer auch kam, ist immer auf ewige Zeiten vergangen . . .

 Allen Ginsberg, Kaddisch

„Als Knabe bin ich einmal in einen tiefen Brunnen gefallen, aus dem ich viele Jahrzehnte lang nicht mehr heraus konnte. Da war ein Unsterblicher, der führte mich zu diesem Kraut. Man muss aber durch rotes Wasser, das ist so schwach, dass keine Feder darauf schwimmen kann. Alles, was darauf kommt, sinkt in die Tiefe. Der Mann zog einen Schuh aus und gab ihn mir. Auf dem Schuh fuhr ich über das Wasser, pflückte das Kraut und aß es. Die Leute an jenem Ort weben Matten aus Perlen und Edelsteinen. Sie führten mich in einen Raum, davor war ein Vorhang aus einer bunten, dünnen Haut. Sie gaben mir ein Kissen aus schwarzem Nephrit geschnitzt, darauf war Sonne und Mond, Wolken und Donner eingeschnitten. Sie deckten mich zu mit einer feinen Decke, die war aus den Haaren von hundert Mücken gesponnen. Diese Decke ist ganz kühl und im Sommer sehr erfrischend. Ich befühlte sie mit der Hand, da schien sie mir aus Wasser zu sein; als ich näher zusah, da war es lauter Licht.“

 

Aus Morgenhimmel, ein Chinesisches Märchen. „Chinesische Volksmärchen  - gesammelt und aus dem Chinesischen übertragen von Richard Wilhelm“, Leipzig 1914.

 

Was nun Dichter angeht,

die Erd-Dichter,
die kleine Gedichte schreiben,
brauchen Hilfe von niemand.

Gary Snyder

Die Transsubstanziation der Oblate und des Weins in Leib und Blut des Heilands . . gibt das Theorem des lyrischen Gedichts. Notwendig erscheint der Glaube an die Möglichkeit: Visionäres zu fixieren.


Es soll nicht gesagt werden, daß grundlegende Faktoren allein, zwingend Lyrisches bedingen. Komparserie und Weihrauch . . sind erforderlich.


Bleibt zu notieren: daß das Originäre nicht absolut primär zu sein hat (Zeugung und Geburt!): wie das Erlebnis das Wort herbeiziehen kann (herbeizieht): so kann das Wort zum Erlebnis führen. 

 

Hans Leybold


„Wozu bin ich? Wozu nutzt dieses Leben? Die Antwort: Damit du hier bist."

Walt Withman