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Sonntag, 19. Februar 2023

Im Frieden der wilden Dinge - Nachdichtung eines Poems von Wendell Barry

 



Eine Nachdichtung eines Gedichtes von Wendell Barry. Ich schreibe mit Absicht Nachdichtung und nicht Übersetzung, denn ich bin der Meinung, dass sich der gesamte lyrische Gehalt eines Gedichtes nicht eins zu eins übersetzen lässt, allenfalls nachempfinden.

Im Frieden der wilden Dinge

In manchen Nächten wächst eine große Trauer in mir,
mich lässt der kleinste Laut vor den Fenstern aufschrecken,
und die Sorge um unser aller Leben in dieser Welt nimmt überhand.
Dann stehe ich auf von meiner Bettstatt und folge den Wegen
in die nahegelegenen Wälder, wo die wilden Enten und die
schweigsamen Reiher wohnen an den stillen Waldweihern.
Wesen, die ihr Sein nicht in vorauseilender Trauer leben.
Über mir das sanfte Blinzeln der Sterne in ruhender Nacht,
besänftigend mit ihrem Licht. So ruhe ich eine Zeit
in der Gnade einer älteren Erde, und befreit von der
eben noch so übermächtigen Furcht lenke ich meine
Wege wieder heimwärts.

The Peace of Wild Things

When despair for the world grows in me
and I wake in the night at the least sound
in fear of what my life and my children´s lives may be,
I go and lie down where the wood drake
rests in his beauty on the water, and the great heron feeds.
I come into the peace of wild things
who do not tax their lives with forethought
of grief. I come into the presence of still water.
And I feel above me the day-blind stars
waiting with their light. For a time
I rest in the grace of the world, and I am free.

Aus: Wendell Berry - The Peace of Wild Things and other poems, Penguin 2018 Copyright by Wendell Berry 2012

Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa so: Im Frieden der wilden Dinge
Wenn die Verzweiflung um die Welt in mir wächst,
und ich wache in der Nacht beim geringsten Laut auf,
in Furcht davor, was aus meinem Leben und dem meiner Kinder werden mag,
dann gehe ich, lasse mich dort nieder, wo die Brautente
ruht in ihrer Schönheit auf dem Wasser, wo der Große Reiher sich labt.
Ich komme in den Frieden der wilden Dinge,
die ihr Sein nicht in vorauseilender Trauer leben.
Ich komme in die Gegenwart von stillem Wasser
und ich spüre über mir die tagblinden Sterne,
wartend mit ihrem Licht. Eine Zeit lang
ruhe ich in der Gnade der Welt, und ich bin frei.

Wendell Berry, geboren am 5. August 1934 in Henry County, Kentucky ist ein US-amerikanischer Essayist, Dichter, Romancier, Umweltaktivist und Landwirt. Ihn verbindet eine langjährige Brieffreundschaft mit dem Lyriker und Essayisten Gary Snyder. Wendell Berry engagiert sich für ökologischen Landbau und dafür, den Beitrag, den eine landwirtschaftliche Kultur mit kleinbäuerlichen Strukturen zur Kultur als Ganzer leisten kann, ins Bewusstsein zu rufen. Er ist ein dezidierter Gegner von agrarindustrieller Bodenbewirtschaftung, monokulturellem Anbau, Massentierhaltung und Atomindustrie.

Das Bild ist von Nicholas Roerich (1874 - 1947)

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