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Montag, 27. Februar 2023

Auf dem Flusse Tschu - Nachdichtungen Chinesischer Lyrik

 



Ich möchte eine Auswahl von Nachdichtungen Chinesischer Lyrik vorstellen. Am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts gab es unter den deutschen Literaten eine Chinabegeisterung, die sich bis in die dreißiger Jahre fortsetzen sollte. Nicht nur Theosophen oder die Aussteiger rund um den Monte Verita in Ascona fanden im Tao Te King Weisheit, auch viele Schriftsteller orientierten sich an chinesischen Dichtern wie Li Tai Pe. Hermann Hesse war ein Verehrer dieses Dichters, und Klabund, Franz Blei, Hans Schiebelhuth, Albert Ehrenstein und viele andere widmeten sich Nachdichtungen chinesischer Lyrik.

Reise in die Nacht


Am Ufer bewegt leichter Wind die kurzen Gesträuche.
Einsam über den Fluss treiben die Segelmasten unseres Schiffes.
Die Sterne strahlen auf eine weite Öde herab.
Der aufgehende Mond bescheint die strömende Fläche.
Dichten allein gibt dem Namen nicht Ruhm.
Wenn man alt und krank ist, lässt man das Beamtentum.
Leben, streben, schweben wozu?
Einsam wie der Wasservogel, der zwischen Himmel und Erde treibt.

Du Fu, Nachdichtung Albert Ehrenstein

Wein

Die sinkende Sonne scheint nieder aufs Tor.
Dämmerung über dem Fluss.
Die Gerüche der Gärten hüllen das Ufer.
Auch Rauch, wo die Scharen der Schiffer
Ihre Boote verankern.
Schon zwitschern sich in der Laube
Die Vögel zur Ruh.
Und fliegende Käfer erfüllen die Luft ringsum mit Gesumm.
Rausch-Wein, wer gab dir die Kraft,
Tausend Sorgen zu ertränken in
Einem kleinen Becher!

Du Fu, Nachdichtung Albert Ehrenstein

Du Fu (chinesisch 杜甫, Pinyin Dù Fǔ, W.-G. Tu Fu; * 712 im Kreis Gong östlich von Luoyang, Provinz Henan; † 770 in der Gegend von Tangzhou (heute Changsha, Provinz Hunan) war einer der wichtigsten Dichter der chinesischen Tang-Dynastie und Zeitgenosse des Dichters Li Bai.

Der Fischer im Frühling

Die Erde trank den Schnee. Wie erste Pflaumenblüte
durch die Lüfte rudert!
Die Trauerweiden prunken golden.
Falter, die Flügel violett gepudert,
Tauchen samtene Köpfe in Blütendolden.

Wie eine Insel steht der Kahn im Teich, Der Fischer lässt
Sein Netz behutsam in den dünnen Silberspiegel springen.
Der klirrt, zerbrochen. Er gedenkt der Schwalbe fern im Nest;
Bald wird er ihr das Futter bringen.

Li-tai-pe, Nachdichtung Klabund, aus: Chinesische Gedichte, Nachdichtungen Gesamtausgabe, Wien, Phaidon, 1931

Auf dem Flusse Tschu

Blick ich aus dem blassen Kahne
Nieder in die Wasserwildnis:
Zwischen Schilf und Wolkenfahne
Schwimmt des Mondes goldnes Bildnis.
So in meiner Seele funkelt
Die Geliebte groß und prächtig.
Sonne tags den Mond verdunkelt:
Riesig strahlt er mitternächtig.

Thu-fu, (andere Schreibweise für Du Fu, siehe oben) Nachdichtung Klabund, aus: Chinesische Gedichte, Nachdichtungen Gesamtausgabe, Wien, Phaidon, 1931

In der Erzählung „Klingsors letzter Sommer“ (1919) von Hermann Hesse gibt sich der Maler Klingsor den Namen Li Tai Po, sein Dichterfreund Hermann den Namen Thu Fu. „Wie namenlos schön [ist] alles jetzt, wie ruhig, gut und spendend, wie voll von Gott!“ Aber er ist todmüde und er sagt sich ein Gedicht Thu Fus auf: „Vom Baum des Lebens fällt Mir Blatt um Blatt. […] Alles stirbt, alles stirbt gern.“

Albert Ehrenstein, geboren am 23. Dezember 1886 in Ottakring, Österreich-Ungarn; gestorben am 8. April 1950 in New York), Lyriker und Erzähler. 1910 wurde er durch das Gedicht Wanderers Lied, das Karl Kraus in der Fackel veröffentlichte, über Nacht bekannt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Ehrenstein, da er nicht kriegsdiensttauglich war, zur Arbeit im Wiener Kriegsarchiv verpflichtet. Während viele andere Künstler sich anfangs von der Kriegsbegeisterung mitreißen ließen, war Ehrenstein von Anfang an überzeugter Kriegsgegner, was er auch in einer Reihe von Artikeln und Gedichten (zum Beispiel Der Mensch schreit) klar artikulierte. Im Verlauf des Krieges kam er in Kontakt mit Walter Hasenclever und Martin Buber. 1916/17 gehörte er zum Kreis um die Zeitschrift Die Neue Jugend.

Zusammen mit vielen anderen Autoren stand Ehrensteins Name auf der Schwarzen Liste der Nazi-Studentenschaft. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wurden seine Bücher auf den Scheiterhaufen geworfen. In den nächsten Jahren publizierte er in Zeitschriften der Exilliteratur. Von 1939 bis 1941 lebte er mittellos in Zürich. Schließlich ging er nach England zu seinem Bruder Carl, von dort nach Frankreich, bis er 1941 schließlich von Spanien aus mit einem Notvisum in die USA ausreisen konnte. (Wiki)

Klabund, das ist Alfred Henschke (1890 – 1928) Für die Nazis, die seine Werke später verboten, seine Bücher verbrannten, war er ein „Asphaltdichter“, also in etwa ein entarteter und verjudeter Künstler, für die Kommunisten war er ein „bürgerlicher Individualitätstrottel“. Doch mit seinen Gedichten, die er in kleinen Heften, wie zum Beispiel der „Harfenjule“ veröffentlichen ließ, billig gedruckt und günstig zu haben, so wollte er es, traf er einen Volkston, der ihn bei den „kleinen Leuten“ beliebt machte. Er starb am 14. August 1928 an Tuberkulose.

Die Illustration zeigt den Dichter Du Fu, aus: Wan hsiao tang-Chu chuang -Hua chuan (1921).

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