Seiten

Samstag, 21. September 2024

Zur Erinnerung an Anita Augspurg

 



Weckruf zum Frauenstimmrecht

Heran! Ihr Schwestern allumher,
Der neuen Botschaft freudig lauscht.
Fühlt als Rechtlose euch nicht mehr,
Unsrer Freiheit Banner rauscht,
Unsrer Freiheit Banner rauscht!

Gleiches Recht für uns wie für euch,
So tönt unser siegender Ruf.
Der Gott, der die Menschen erschuf
Der wollte sie aufrecht und gleich.

Die Frau - will werden frei!
Die Frau - soll werden frei.

Voll Mut voran, die Stirne hoch!
Zerschellt das alte Joch!

Voran! Trotz Spott und Widerstand,
Wir kämpfen kühn, wir kämpfen heiß,
Tochterrecht im Vaterland,
Bürgerrecht ist unser Preis,
Bürgerrecht ist unser Preis!

Stehet fest im mutigen Ringen,
Steht treu und einig geschart;
Wir lassen von Macht uns nicht zwingen,
Wir sind nicht von minderer Art.

Aus der ersten Ausgabe der Zeitschrift Frauenstimmrecht von April/Mai 1912 mit dem von Anita Augspurg geschriebenen Lied „Weckruf zum Frauenstimmrecht“, die zur Melodie der Marsellaise gesungen werden sollte, mit dem damals zeittypischen Pathos.

Anita Augspurg, geboren am 22. September 1857 in Verden (Aller); gestorben am 20. Dezember 1943 in Zürich, Fotografin, Schriftstellerin, Juristin, Pazifistin und Aktivistin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung.

Seit 1889 unterhielt Augspurg Kontakte zu Hedwig Kettler in Weimar. Sie wurde Mitglied von deren Deutschen Frauenverein Reform (später Frauenbildungsreform), der sich für das Frauenstudium einsetzte, und trat der 1890 in München gegründeten Gesellschaft für modernes Leben bei. In beiden Vereinen engagierte sie sich durch öffentliche Auftritte als Rednerin und Rezitatorin, die Aufsehen erregten und sie bekannt machten. Spätestens jetzt begann Augspurg, sich in der Frauenbewegung für Frauenrechte zu engagieren.

Schon 1894 hatten Augspurg, Sophia Goudstikker und die vor kurzem von Wiesbaden nach München übergesiedelte Ika Freudenberg in München die liberale Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau als Sammlungsbewegung gegründet, der zahlreiche Prominente aus Politik, Wissenschaft und Kunst angehörten und die nach Augspurgs Austritt den Namen Verein für Fraueninteressen annahm, unter dem sie heute noch existiert. Augspurg und Goudstikker galten mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren öffentlichen Bekenntnissen für den Kampf der Frauenbefreiung und ihrem modernen Lebensstil als zwei auffällige Erscheinungen ihrer Zeit.

Um 1899 war es innerhalb der Frauenbewegung zu einem Zerwürfnis gekommen, das sich vordergründig am Umgang mit dem Thema Prostitution, grundsätzlicher jedoch auch an Fragen des Vorgehens entzündete. Augspurg und ihre Weggefährtinnen Minna Cauer, Katharina Erdmann sowie ihre spätere Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann befürworteten ein kritischeres, stärker programmatisches Vorgehen als die fortan als „gemäßigt“ bezeichnete, eher pragmatische Mehrheit um Helene Lange und später Gertrud Bäumer. Die „Radikalen“ um Augspurg und Cauer organisierten sich in der Folge im neu gegründeten Verband fortschrittlicher Frauenvereine, während der Bund Deutscher Frauenvereine die Mehrheitsfrauenbewegung repräsentierte. Um diese Zeit trennte sich Augspurg auch von ihrer bisherigen Lebensgefährtin Goudstikker, die in Bayern in der Frauenbewegung aktiv blieb und fortan mit Ika Freudenberg zusammenlebte. Augspurg selbst bezog nach einiger Zeit mit Lida Gustava Heymann eine gemeinsame Wohnung in München.

Augspurg und Heymann wurden in den Vorstand des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine gewählt. Anders als die „Gemäßigten“, die in erster Linie auf Mädchenbildung und praktische Verbesserungen setzten, priorisierten sie früh das Frauenwahlrecht und gründeten zu diesem Zweck 1902 in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht sowie 1907 den Bayerischen Landesverein für Frauenstimmrecht. Bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs übten sie in der sich zersplitternden deutschen Frauenstimmrechtsbewegung einen großen Einfluss aus. Von 1907 bis 1912 gab Anita Augspurg die Zeitschrift für Frauenstimmrecht heraus, von 1912 bis 1913 die Zeitschrift Frauenstimmrecht und ab 1919 die Zeitschrift Die Frau im Staat, in der feministische, radikaldemokratische und pazifistische Positionen vertreten wurden.

Im Ersten Weltkrieg nahmen Augspurg und Heymann an internationalen Frauen-Friedenskonferenzen teil, darunter am Internationalen Frauenfriedenskongress im April 1915 in Den Haag, und hielten illegale Versammlungen in ihrer Münchner Wohnung ab. Gemeinsam mit weiteren Pazifistinnen wie Frida Perlen aus Stuttgart verbreiteten sie Flugschriften gegen den Krieg.

Während der Machtübernahme der NSDAP waren Augspurg und Heymann auf einer Auslandsreise, von der sie nicht nach Deutschland zurückkehrten. Sie befürchteten Repressalien, da sie unter anderem 1923 beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler wegen Volksverhetzung beantragt hatten. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Ihre Bibliothek und alle Aufzeichnungen aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit in der nationalen und internationalen Frauenbewegung gingen verloren.

Augspurg und Heymann wohnten von 1916 bis zu ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten in Icking in der Villa Burg Sonnensturm, anschließend gemeinsam im Schweizer Exil. Ab 1937 war Augspurg stark pflegebedürftig. Heymann schrieb mit ihr die gemeinsamen Erinnerungen unter dem Titel Erlebtes-Erschautes bis 1941 nieder. 1943 starb Heymann an Krebs. Augspurg überlebte sie nur um wenige Monate. Die beiden Frauen, die mehr als vier Jahrzehnte zusammen gelebt hatten, wurden beide auf dem Friedhof Fluntern in Zürich beigesetzt. (Wiki)

Das Foto zeigt Anita Augspurg im Jahre 1902

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen