Licht
Einsam durchlebt´ ich den Morgen der Kindheit
Und strebte in Rätselwelten hinein,
Ich bangt´ aus der Tiefe der Welt nach dem Lichte
In mir war ein Fremdes wie gärender Wein,
Verstecke sucht´ ich und sank ins Betrachten,
Schien mir ein Seher, der Welten schaut,
Dort fand ich Freunde, empfing ihr Geheimnis
Und wahrte im Herzen, was sie mir vertraut.
Der Freunde wie viel! Jeder fliegende Vogel,
Der Bäume Schatten und Waldespracht,
Des Mondes keusches Antlitz im Fenster,
Der Keller, das Tor, welches knarrt und kracht -
Die Distel hinter dichtem Gezäune,
Der Strahl, den die Sonne zu mir gespannt,
Ein Lämpchen, ein Glas aus kristallenen Splittern -
Der Söller, die spinnwebdurchzogene Wand,
Süßgrauendes Dämmern in tiefen Brunnen
Und drin mein Echo und Spiegelbild,
Die Stimme der Uhr, die schneidende Säge
Im Holz, aus der´s wie ein Sprechen quillt,
Auch reife Birnen und herbe Äpfel,
Die nah´ in des Nachbars Garten hängen -
Der Bienen und Fliegen Summen und Drängen, -
Ich liebte sie alle, doch war mir nichts
So teuer, so hold, als die Geister des Lichts.
Im Sommer sah ich wohl solche Geister,
Wie leichte Cherubim, gezeugt im Glanz.
Wie sie zu Feld und zum Wasser schwebten,
Streifte auch mich ihr jubelnder Tanz,
Mich faßt´ ihre Wonne seelenbefreiend,
Zum erstenmal kindlich aufglänzte mein Blick.
Ich ward ihnen Freund, ihres Kreises Vertrauter -
Wir liebten einander in strahlendem Glück.
Am Morgen, ich bin noch schlummerumfangen,
Auf! pocht´s an mein Fenster, huschend und hell,
Noch bin ich nicht fertig, von Morgengesichten
Noch kaum ermannt, da blinzelt es: Schnell!
Kaum hab´ ich den Schuh, den verlegten, gefunden,
Ruft´s: Fort! Und geschwind! Die Sekunde verrinnt!
Und wie ich mich dränge, zu ihnen zu kommen,
Winkt´s: „In die Weite!“ Wir schweben, zerstreuen uns
Spielen und tollen im tauigen Grün,
Leuchten in Funken und reih´n uns in Perlen,
Auf grüner Decke rollen wir hin.
Dann sinken im Kreis wir, am Tau uns berauschend -
Jäh leuchtet in tausend Schimmern das Korn,
In tausend Lichtern strahlet das Grüne,
Mit sieben Augen lugt jeder Dorn.
An jedem Stachel Kristalle erzittern
Und bilden Säume aus dünnem Gold.
Da faßt das Lichtreich plötzlich ein Schwanken,
Daß Sonn` und Saphir wie durch Siebe nur blinkt -
Der Blick wird verdunkelt - das macht nur ein Kälblein,
Das leckend und fressend im Grase springt.
Nach Speise gräbt eine Kette von Hühnern,
Daß nickend die Häupter der Gräser beben -
Rings regt sich ein schwatzendes, gackerndes Leben.
Ich aber zitt´re im Glanz wie ein Vogel,
Die Seele im Netze des Lichtes gefangen,
Als ob feingoldene, zarte Fäden
An allen Gliedern mich fassen, umfangen.
Und neu verjüngt sich die leuchtende Kindheit,
Die Sonne des Sangs will im Herzen erstehen,
Ich selber möchte vom Kusse der Strahlen
Aufleuchten, aufjauchzen und selig vergehen.
Noch bin ich trunken, die Seele geschwellt,
Durchwoben vom Glanze, da tönt es: Zum Feld!
In leichtem Fluge der Geister Gemeine
Durchbreitet das Feld in blitzendem Scheine.
Auf Halmesspitzen, den spelzigen, hohen,
Die labungsdürstenden schweben und lohen.
„In diesem weiten Meere des Glanzes
O laßt uns, bis brennend der Mittag, uns baden,
Indes über uns wie Träume des Himmels
Ziehen der Wölkchen leichte Schwaden!
Jetzt birgt sie die Schar, als taucht´ sie in Fluten,
Jetzt blitzt sie empor zu jauchzendem Glüh´n,
Sie schütteln die Körper und schleudern wie Tropfen
Einer zum andern ihr Funkensprüh´n.
Es jauchzt das Gefild - wie im Schwunge von Schwalben,
Die schießen und zwitschern und eilend entflieh´n -
Viel leichtbeschwingte, hurt´ge Libellen
Auf lichten Flügeln blitzen und blüh´n,
Tanzen verweilenden Flugs auf den Garben
In weißen, roten und goldenen Farben,
Verschlungen im Glanz und wieder erglitzernd.
Es ist, als streut´ eine heitere Hand
Lebende Blumen über die Geister,
Die goldene Pfeile im Reigen besprengen -
Sie sprüh´n in Raketen, im Takt zu den Sängen
Des Heimchens, der Grille, der Feldmusikanten,
Die mit den Zimbeln zirpen und springen.
Die Luft, die glühende, schweigende schüttert,
Sie hüllt sich in girrendes Rauschen und zittert.
Schon müde des Lichts, den Weinberg durchrüttelnd,
Verkünden die Frohen: „Zum Weiher! vor!
Schon ward´s zum Verschmachten!“ - Sie schwingen die Flügel
Zum Weiher, gebettet in Schilf und Rohr.
In ruhigem Mittag die Wasser sich wiegen,
In Sonne und Schatten der Weiden gestreckt.
Hier ist es hell wie ein glatter Spiegel,
Es wölbt sich Azur, nur leise bedeckt
Von Wölkchen, zerfließend, wie Perlen so rein.
Die Welt ist verzaubert. Ein neuer Himmel,
Gekühlt die Sonne und reiner die Wesen,
Im Schleier ewiger Ruhe und Fülle,
Getaucht in die lauteren Wasser der Stille,
Und alles voll Leuchten, voll Frieden und Traum.
Und drüben Dunkel von dichten Schatten,
In Grün und in Frieden versunken die Flut,
Und beide Ufer bedecken mit Schatten
Die Welt, die stumm in der Tiefe ruht.
Da baden zwei Störche, ein weißer Schwan
Und schütteln und schwingen das nasse Gefieder,
Und alles gekühlt, voll Feuchte und Grün.
Dort wieder ein Meer von goldenem Glanze,
Lichtflecke und -brüche und leuchtende Falten,
Goldene Schuppen und glastende Ketten -
Zwei Sonnen, im Bruche der Wellen gespalten,
Wie reinen Kristalls ein glitzerndes Lohen -
Und alles blitzet und leuchtet und brennt.
Zum Weiher! Zum Weiher! In seligem Schrecken
Erschwankt all die Flut der goldenen Halle,
Daß Glanz um Glanz sich durchdringen, bedecken, -
Da regt´s sich in tausend Tönen und Farben,
Bewegt sich unten der wölbige Himmel,
Bewegt sich die Sonne und teilt sich in sieben,
Und sieben Sonnen im Tiefengetümmel
Küssen einander und mischen sich wieder,
Zerstückeln vollends. Ein Taumel umflicht
Jegliches Wesen im Chaos der Tiefe,
Im Flutmeer des Glanzes, im Ozean Licht.
In dieses Flammen und Glanzeswogen
Versank auch ich und sog von dem Lichte.
Wie kehrt´ ich wieder, gereinigt, geklärt!
An diesen tausend jubelnden Quellen
Zersprengte mein Inn´res in Meeresergüssen,
Vom Reigen der Klänge fortgerissen,
Die tausend seligen Harfen entschwellen.
Noch sitz´ ich, versunken, im Rasen des Weihers
Und seh´, wie die Welle sich sänftigt am Strand.
Noch wiegt sich ruhig auf ihrem Antlitz
Ein leichtes Zittern, macht funkeln den Sand,
Entzündet noch Zünglein und kleine Flämmchen
Und streut dazwischen ein leises Glimmen -
Es ist ein Glanz, der vertönt und erstirbt. -
Still wird der Weiher, sein Antlitz wieder
Wie früher schlummernd, glatt und durchhellt.
Und wieder zeigen sich deutliche Spuren,
Faltet sich unten im Schatten der Weiden
Im heimlichen Schilf eine schweigende Welt.
Dort drüben steht am Rande des Weihers
Bei leuchtender Flut ein Fischergreis,
Der hebt ein feines Netz aus dem Wasser,
Schüttelt es und in des Regenbogens
Farben blitzen die Tropfen im Kreis,
Als braute der Fischer in gleißenden Schalen
Zaubertränke mit goldenem Schaum.
Es springen zur Erde Tropfen und Blitze,
Aufleuchtet ein leichter und seliger Traum.
Plötzlich sah ich aus dem Teiche
Reih´ auf Reihe zart sich heben,
Auf die stille Fläche schweben
Kleiner Geister eine Schar,
Heil´ger Schwingen, rein und schön -
Ob sie sich nicht heut´ erst lösten
Von den Flügeln eines Cherubs
In den Höh´n?
Und noch blitzt aus ihren Augen
Höchstes Glänzen der Schechinah -
Wie sie Arm´ in Arme schlingen,
tönt ihr Singen:
Zu uns, du Knabe,
Zu uns, du Schöner
Und Lichtesdurst´ger,
Bis sinket der Tag!
Wir tauchen dich,
Wir tragen dich
Zu tief versunk´nen
Meeresschätzen.
Zu gläsernen Türmen,
Kristallpalästen,
Demant´nen Tempeln
Und Funkelsonnen
Mit Licht, durch sieben
Tage gehütet,
Tränken wir dich
Aus goldenen Kelchen.
Bis Licht dein Atem,
Bis Licht dein Schauen
In Herz und Bein
Dringt´s tief hinein
Von tausend Güssen
Und Strahlenküssen -
Viel sel´ger, ach!
Als du´s ertragen kannst.
Noch klang mir der feine Gesang in der Seele
Sie aber verschwanden im Waldesdicht,
Winkend mit dem letzte Blicke des Trostes,
Als gält´ es: Zum Morgen! - und nicht mehr in Sicht.
Und neulich war´s, nicht denk´ ich der Stunde,
Sah ich ihr Antlitz - von Ohngefähr -
Es schien voll Trübe und voller Erbarmen,
Ihr scheidender Blick aber sprach nichts mehr.
Und wieder weckt mich das Licht aus dem Schlummer,
Es sengt meine Lippen, es sticht meine Lider,
ich blicke zum Fenster und seh´ nur die Sonne -
Wie späh´ ich und harre - sie kehren nicht wieder,
Des Lichtes Gesang ist für ewig verstummt.
Nur tief im Herzen trag´ ich die Töne,
Unter den Lidern des Lichtes Gewalten.
Ich schöpfte des Lebens holdeste Träume,
Aus ihrem Auge die hehrsten Gestalten,
Am Quell vom Segen der Reine getränkt.
Ch. N. Bialik, aus: Gedichte, aus dem hebräischen übertragen von Ernst Müller, Buchschmuck von O. Herschdörffer, Jüdischer Verlag GmbH, Köln und Leipzig 1911
Chaim Nachman Bialik (jiddisch חיים נחמן ביאַלי , hebräisch חַיִּים נַחְמָן בִּיאָלִי , vereinzelt auch: Chaim Nachum Bialik; geboren am 9. Januar 1873 im Dorf Radin, in der Nähe von Schytomyr, Russisches Kaiserreich; gestorben am 4. Juli 1934 in Wien, war ein russisch-österreichischer jüdischer Dichter, Autor und Journalist, der auf Hebräisch und Jiddisch schrieb. Er ist einer der einflussreichsten hebräischen Dichter und wird in Israel als Nationaldichter angesehen.
Zudem übersetzte Bialik Shakespeares Julius Caesar, Schillers Wilhelm Tell, Cervantes’ Don Quichotte, Gedichte von Heine sowie Der Dybbuk des jiddischen Dichters Salomon An-ski ins Hebräische. Dabei war er sich der Grenzen des Übersetzens sehr bewusst: "Eine Übersetzung zu lesen sei wie die Braut durch den Schleier hindurch zu küssen."
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