Seiten

Donnerstag, 30. Januar 2025

Klarinetta Klaball: Ick bin in Tempelhof jeboren und andere

 



Ick bin in Tempelhof jeboren

Ick bin in Tempelhof jeboren
Der Flieder wächst mich aus die Ohren.
In meinem Maule grast die Kuh.

Ick geh zuweilen sehr und schwanger
Auf einem Blumen-i-o-anger
Mein Vater, was sagst Du dazu?

Wir gleichen sehr den Baletteusen,
Pleureusen – Dösen – Schnösen – lösen.
Gewollt zu haben – selig sein.

Verehrte Herrn, verehrte Damen,
Die um mich hören herzu kamen
Dies widmet der Gesangverein.

Und Jungfraun kamen wunderbar
Geschmeide scheidegelb im Haar
Mit schlankgestielten Lilien.

Der Kakagei und Papadu
Die sahen auch dabei dazu
Und kamen aus Brasilien.

Klarinetta Klaball (Hugo Ball) 

Unter dem Pseudonym Klarinetta Klaball erschienen 1914 gemeinsame Gedichte von Hugo Ball (1886 - 1927), Klabund (Alfred Henschke 1890 - 1928) und Marietta di Monaco (Maria Kirndörfer 1893 - 1981), der Freundin von Walter Serner. Die drei trugen auch im Münchner Simpl ein Gemeinschaftsgedicht vor, mit ähnlichem Text:

Ich bin in Tempelhof geboren
Der Flieder wächst mich aus die Ohren
In meinem Munde grast die Kuh. . .
O Edmund steck den Degen ein.
Was denkst du dir denn dadabei´n
Des Morgens um halb finfe?
Er sagte nichts mehr dadarauf.
Er stützt sich auf dem Degenknauf
Und macht sich auf die Strümpfe.

Dieser Text wird von einigen als Vorgriff auf den Dada gewertet, Marietta von Monaco beteiligte sich 1916 auch an den Veranstaltungen im legendären Cabaret Voltaire in Zürich. Nach dieser Lesart wären „dadabei`n“ und „dadarauf“ die ersten Erwähnungen von Dada. Doch vielleicht war das doch nur einfach ein Ulk, was Dada in Zürich keineswegs sein wollte.

Das Bild ist von John Lavery-Hazel (1856 - 1941)

Hätte da noch eine Version von letzterem, gefunden im Projekt Gutenberg:

O, Großpapa, o Graspopo
Wir sind bald wie, wir sind bald wo?
Wir sind warum? Weswegen?
Der Eduard zieht den Degen.
O Eduard steck den Degen ein.
Was denkst Du dir denn dadabei'n
Des morgens um halb fünfe?
Er sagte nichts mehr dadarauf.
Er stützt sich auf den Degenknauf
Und macht sich auf die Strümpfe.

Klarinetta Klaball


Marietta von Monaco über sich selber:

Eine Autobiographie

Manchmal weine ich keine Tränen.
Ich berausche mich täglich.
Gerne mache ich sündige Spiele.
Ich bin ein Knäuel von Sinnlichkeit.
Mein Kopf wird herumgeworfen.
Meine guten Gefühle werden von brutalen Händen erdrückt.
Ich schiele.
Ich rezitiere lyrische Anthologie.
Nachts tanze und schreie ich durch die Straßen.
Mein Mund ist ein Strich.
Meine Augen sind manchmal groß und leuchtend.
Mein Nacken ist ausrasiert.
Ich habe schlanke Beine.
Jeder Briefträger ist mein Vater.
In meinen Haaren beseitigt man den Schweiß der Hände –
Aber in der Sonne sind sie fließendes Gold.
Ich bin Marietta.

München, Frühling 1913


Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an!
Und halt ihn fest mit deinem ganzen Herzen,
Denn wer ihn nicht mehr halten kann,
Der kann ihn auch verschmerzen.
Verschmerzen kann er ihn jedoch
Bei Pommern und in Pasing.
Man fing ihn ein bei Biberoch
Bei Velhagen und Klasing.

Klarinetta Klaball 


O Marietta-Kripistika

O Marietta-Kripistika!
Thronkanapee im Serail von Sevilla!
Du bist wertvoller als die juchzende
Säubande von Hosenträgern,
Deren Rüssel
An deinem Bauch
Zu schnuppern
Gewohnt sein pflegt.

Hugo Ball

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen