Es gibt die einen und es gibt die anderen Seiten. In diesem Blog möchte ich als Dingefinder die anderen Seiten desselben publizieren. Denn diese machten sich auf ihre Art selbstständig. . .
Samstag, 31. Mai 2025
Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche, oder: Weinbergschnecken
Donnerstag, 29. Mai 2025
Alma de l´Aigle: Begegnung mit Rosen
Königin von Dänemark |
Eines meiner Lieblingsgartenbücher ist das Buch "Begegnung mit Rosen" von Alma de l´Aigle, 1958 das erste Mal erschienen, welches der Dölling und Galitz Verlag dankenswerterweise wieder herausgebracht hat. Dieses Buch hat nichts mit unseren modernen Gartenbüchern gemein, die ja zum größten Teil aus Gartenbildern bestehen, die einen bestenfals neidisch machen. Da hat der Fotograf dann im richtigen Augenblick auf den Auslöser gedrückt und aus einer wohl ausgesuchten Perspektive ein Foto geknipst, welches einen Idealzustand aufzeigt, der weder Trockenheit noch Regengüsse, weder Schnecken noch Unkraut kennt.
Anders die "Begegnung mit Rosen": Ein Rosenbuch, fast 340 Seiten stark, und so gut wie keine Bilder, und die wenigen vorhandenen schwarzweiß. Heute unvorstellbar, doch Alma de l´Aigle hat ganz auf die Kraft ihrer bildhaften Sprache gesetzt. Zurecht. Ich habe noch nie vorher (und nachher) eine solch sprachmächtiges Kompendium zur Beschreibung von Rosendüften gelesen, wie ihr Buch. Immer wieder eine Freude, ihre Rosenbeschreibungen zu lesen, ihre Sprachmalereien rund um Farbe und Duft. Das einzig traurige daran ist für mich, dass ich so viele der beschriebenen Sorten nicht kenne.
Hier einige Auszüge:
Über Climbing Crimson Glory: "Und der Duft! Immer ist es der gleiche dunkle und ungetrübte Duft, zuverlässig in Sonne und Regen, vom ersten Öffnen der Knospe bis zum Verblühen. Es ist ein Duft wie Rotwein, am Abend getrunken, in stiller Ecke, wo die Hast des Tages sich legt".
Über Albertine: ". . . der Duft: zuerst ist es ein stark wellender, weicher, süßer Duft, der fast an Zentifolie gemahnt, dann wird er gebrochen canina mit etwas Nelke darin, und endlich, wenn die Aprikosenfarbe ganz dem fahlen Rosigweiß gewichen ist, wird der Duft trübe, fast dumpf."
Über die Gerberose, einer Kletterrose, die ganz oben auf meiner Wunschliste steht: "Aber - da kommt man sommers in den Garten, um zu sehen, wie die Bohnen angesetzt haben, und da wird einem plötzlich, als wenn die Fee - wie heißt sie doch noch? - eben durch den Garten geschwebt sei und den süßesten Rosenduft hinterlassen habe. Die ganze Luft ist erfüllt von diesem Duft.
Man sieht umher und sagt: Was duftet denn hier nach Rosen? Und da steht dann die Gerberose bescheiden in der Ecke, die Duftverschwenderin. Ehe unsere Blicke auf sie fielen, war ihre Seele uns schon entgegengekommen.
Ihr Duft hat, was sie nur mit ganz wenigen Rosen teilt, eine Ausdehnungskraft und ist sogar in der Verdünnung am lieblichsten. Kommen wir aber nahe an die Blüte heran, so erscheint uns der Duft gar nicht mehr so edel, mehr kompakt als klar."
Papa Mailland |
Rosenduft hat etwas ausgleichendes, stimmungserhellendes, antidepressives. Einmal, als ich ein Rosenseminar gab, inklusive Rosenverköstigung, es gab verschiedene Gerichte mit Rose, öffnete ich morgens die Türe, um eine Teilnehmerin hinein zu lassen, die einen entschieden traurigen Eindruck machte. Dunkel gekleidet war sie, und dunkel ihre Aura, Ringe schwarz unter ihren Augen, die Mundwinkel heruntergezogen, es war, als wäre eine dunkle Wolke um sie. Für die Herstellung des Sorbets mussten die Rosenblütenblätter gemörsert werden, und binnen kurzen war der ganze Raum mit Rosenduft fast gesättigt. Es war wunderbar die Wandlung der am morgen so düsteren Erscheinung zu beobachten: Das Gesicht klarte auf, ein Strahlen gelangte in die Augen, die Teilnehmerin wurde wach, anders kann man es nicht bezeichnen, und begann mit einem Male mit einer Herzlichkeit und Wärme in der Stimme zu erzählen, als wäre es eine ganz andere Person, als die, welche des morgens in der Türe stand. Das vermag der Duft der Rose.
Rose de Resht
Noch einige Duftbeschreibngen von Alma de l´Aigle: "Aber der Duft ist, besonders im Aufblühen, wunderbar, ein leichter Teeduft nach chinesischem Tee, manchmal ein leicht harziger Teeduft", oder, auch einmal kritisch: "Einen scharfen unreinen Fruchtgeruch bemerkte ich, wie nach künstlicher Roter Grütze; ein andermal einen leichten Apfelduft, aber keinen Reichtum, keine Tiefe."
Eine meiner Lieblingsbeschreibungen: "Ein Duft wie Teig von Zitronenkuchen, und Backpulver ist auch schon drin." Und, für heute zum Abschluss: "Es war, als wenn man eine große Schale mit vielerlei Früchten ins Zimmer trägt: Birnen, Gravensteiner, Pfirsiche und Himbeeren, all diese Düfte wehten einem entgegen als einheitlicher, köstlicher süßer und doch erfrischender Duft."
Nach dem Lesen dieses Buches geht man an keiner Rose mehr vorbei, ohne die Nase in die Blüte zu stecken. Es war ein beliebtes Spiel von mir und meinem damals drei und vier Jahre alten Sohn, die verschiedenen Rosen zu erschnuppern, und ich sehe noch bildhaft vor mir sein Gesicht, wenn er enttäuscht war, dass eine Rose nicht duftete, oder entzückt, wenn ihm etwas ganz Besonderes entgegenwehte, wie zum Beispiel bei der dunkelroten Edelrose Papa Meilland, die einen besonders schweren und starken Duft trägt.
Zitronenjette |
Dienstag, 13. Mai 2025
Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche oder: Auf einem Baum ein Kuckuck saß. . .
Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche oder: Auf einem Baum ein Kuckuck saß. . .
Heut in den frühen Morgenstunden hörte ich es laut und vernehmlich: Der Kuckuck ist wieder da. Schon vor einigen Tagen war er zu hören, etwas weiter entfernt, und ich hatte Glück: Ich hatte Geld in der Tasche. Denn es wird die Geschichte über die Generationen weiter getragen, dass, wenn im Jahre der erste Kuckucksruf gehört wird, die Geldbörse zu schütteln sei. Sofern darinnen Geld vorhanden ist. Dann werden das ganze weitere Jahr in dieser Geldbörse einige Piepen oder Moneten oder Thaler zu finden sein.
Nun bin ich nicht unbedingt leichtgläubig, oder gar abergläubisch, doch habe ich zur "Kuckuckszeit" immer etwas Geld im Säckel, Münzen tun es da am besten, die klimpern so lustig, wenn geschüttelt wird. Ihr wisst ja, wer beim ersten Kuckucksruf im Jahr Geld im Säckelhat, sollte diesen tunlichst schütteln, dann wird das gesamte weitere Jahr auch Geld darin sein. Auch wenn das Schütteln beim ersten Kuckucksruf des Jahres nicht unbedingt nützt, schaden tut es keinesfalls. Es ist also eine eher harmlose Marotte, wenn ich mich darüber freue, dass ich im richtigen Augenblick Geld dabei habe.
Manchmal reihen sich die Erinnerungen wie Perlen auf einer Kette aneinander. So ging es mir heute früh auch beim Kuckucksruf. Ich erinnerte mich an eine Begebenheit in meiner Kindheit, es müssen die Osterferien gewesen sein, denn ich war bei meiner Großmutter zu Besuch. In der Nähe ihrer Wohnung gab es den von mir so genannten Mirabellensee, ein kleines, stilles Gewässer mitten in der kleinen Stadt, um dessen Rund Mirabellenbäume wuchsen. Das war einer meiner Lieblingsorte in der kleinen Stadt, und wieder ging ich dort hin.
Unter einen dieser Mirabellenbäume standen zwei mir fremde Kinder an diesem Tag, und die beiden blickten nach oben und schüttelten dabei ihre Geldbörsen. Oben im Baum saß ein Vogel und rief laut und vernehmlich "Ruguuhruuh, ruguuhruuh". Die Kinder klärten mich auf, dass das ein Kuckuck sei, und dass daher die Geldbörsen zu schütteln seien.
Nun, ich wusste, wer dort oben "Ruguuuhruuhte", es hörte sich so ganz nach einer ordinären Stadttaube an. Doch mochte ich die beiden Kinder nicht durch mein Wissen aus ihren Träumen locken, sie waren einfach zu schön in ihrer Begeisterung. Nicht immer ist es wichtig, die "Wahrheit" zu sagen.
Als ich diesen Satz so für mich dachte, reihte sich die zweite Erinnerung ein. Da war ich schon älter, und eine liebe Freundin und ich saßen nächtens unter dem Sternenhimmel im Garten. Drinnen in dem kleinen Häuschen war Party, doch wir hatten uns in die Ruhe zurückgezogen. Zwischen all den Sternen des Himmels hindurch bewegte sich ein Stern besonders glänzend und funkelnd. "Oh, schau, ein wandernder Stern!", sagte die Freundin. Ich schaute, und ich wusste sofort: Das war ein Satellit, ödes Menschenmachwerk. Auch hier schwieg ich, denn die Freundin sah gar zu glücklich aus, ob ihrer Entdeckung.
Jahre später trafen wir uns wieder, und irgendwie und irgendwarum kam unser Gespräch auf die Begebenheit damals im Garten. Ich erzählte ihr, dass und warum ich da schwieg, und sie erzählte mir, dass sie im Moment des Aussprechens selber wusste, dass dort oben ein Satellit kreiste. Und dass sie mir sehr dankbar dafür war, dass ich sie nicht berichtigte. Denn sie wusste auch, dass ich es wusste.
Ja, Schweigen kann Gold sein. Nun ist es so, dass einige meiner Freundinnen und Freunde in unserem medialen Dschungel, in früheren, nicht digitalen Zeiten nannte man das "Blätterwald", unter einem medialen Baum stehen und in der Hoffnung auf eine goldene Zukunft verzweifelt ihre Geldbörsen schütteln. Solange oben auf dem Baum nur eine Taube oder ein Kuckuck sitzt, mag das ja ungefährlich sein, zumal, wenn es eine Friedenstaube ist.
Doch manchmal sitzt da oben auch der Geier oder gar eine Harpyie oder ein anderer Unglücksvogel, der sein "Ruguuuruuh, goldene Zukunft du, dort entlang du, ruguruuh" ruft. Ja, es kann durchaus sein, dass da unter dem falschen Baum geschüttelt wird.
Da ist es für schon schwieriger für mich, zu schweigen, doch das Sagen ist es genauso. Kaum jemand möchte darüber wissen, dass er oder sie unter dem falschen Baum dem falschen Vogel zugeschüttelt haben.
Eines weißt ich jedoch: Mit einer "Ich-weiß-es-aber-besser" - Mail, mit einem schadenfrohen "Ätsch, pass auf, dass Dir der Vogel nicht auf den Kopf scheißt" ist es nicht getan. Da braucht es die richtige Balance zwischen Abwarten und. . . ja, und persönlichem Gespräch. Dass der Mensch nicht nur hört, sondern auch sieht, spürt, fühlt, dass da jemand Besorgtes es Ernst meint. . . Da ruft der Kuckuck mir und uns zu: "Seit behutsam mit Euren Freundinnen und Freunden, kuckuck, kuckuck".
Diese Erkenntnis ist es, die ich an heutigen Morgen mitnehmen durfte. Allein schon dafür bin ich dem Kuckuck dankbar, selbst falls es mit dem Gelde mal nicht so klappen sollte. . .
Euch allen einen schönen Frühlingstag, wünscht Dingefinder Jörg
(Geschrieben 13. Mai 2020)
Samstag, 3. Mai 2025
Mynona, Robert Gernhardt über Sonette
In alte Schläuche taugt kein neuer Wein,
Der Dichter dichte, wie zum Beispiel Whitman;
Die Seele immer neu schafft ihre Rhythmen,
wer heut´ Sonette macht, ist nur ein Schwein.
Daher hüt` ich mich davor, allein
Ich bin darob beruhigt, denn ich glitt, wenn
Ich´s auch wollte, nicht diesen Ritt, denn
Grad zur Sonettform sag´ ich immer: nein!
Ich hoppse, wie die Muskeln mir´s diktieren,
will nicht in fremde Form gezwungen sein
und fühle mich ganz frei in meiner - meiner!
Pfui Teufel, sollt´ ich je Sonette schmieren:
Ich will ich selbst in meinen Lungen sein
Und niemals atmen in Petrarkas seiner.
Dieses Sonett von Mynona (Salomon Friedländer) dürfte wohl die Blaupause zu der etwas deftiger formulierten Sonettkritik von Robert Gernhardt sein:
Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut
hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, daß so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen.
Robert Gernhardt (1937 - 2006)
Nur ließ Mynona seinem Missgefallen am Sonett noch 99 weitere Sonette folgen, wie zum Beispiel dieses hier:
Susanne wandert nach dem Badezeltchen,
Die Glieder eingehüllt in seidnen Rips,
Ein Herr (Zylinder, Lack, Monokel, Schlips)
Folgt ihr verstohlen in das Tannenwäldchen.
„Zu mager“, urteilt er. Doch durch ein Spältchen
Schielt lüstern er, ein ganz infamer Fips,
Erblickt (statt des vermeintlichen Geripps)
In Wahrheit das graziöseste Gestältchen.
Anmutig hebt sie eine Wasserkanne,
Besprudelt ihren fabelhaften Wuchs.
Er, selbstvergessen, ungeheuer hastig
(So geht es dem überreizten Manne)
Tritt fehl, versinkt fast ohne jeden Murr
In einem Sumpf (die Gegend war morastig).
Aus: Hundert Bonbons, Sonette von Mynona, München bei Georg Müller, 1918; angemerkt sei noch, dass ich persönlich Sonette sehr schätze.
Salomon Friedländer, geboren am 4.5.1871 in Gollantsch/Posen; gestorben am 9.9.1946 in Paris. Der Sohn einer jüdischen Arztfamilie verbrachte seine Jugend in Posen und Berlin. In München studierte er ab 1894 Medizin, in Berlin Zahnmedizin und ab 1896 Philosophie (Promotion 1902 in Jena). 1906 siedelte er nach Berlin über und schrieb nun unter dem Namen Mynona (Anagramm von »anonym«) auch Gedichte und Grotesken; seine philosophischen Schriften erschienen unter dem Namen Friedlaender. 1933 emigrierte er nach Paris.
Das Foto ist aus dem Nachlass, Salomo Friedlaender Collection, Leo Baeck Institute, New York